Am Freitag werden erstmals zwei Frauen ins oberste Gremium des Schweizerischen Fussballverbands gewählt. Dass es zwei Politikerinnen sind, stösst bei Protagonistinnen des Schweizer Frauenfussballs nicht nur auf Verständnis.
Bei einem 0:7 spricht man im Fussball von einer Kanterniederlage. Im Schweizer Fussball steht diese Differenz bis heute auch für das (Miss-)Verhältnis von Frauen und Männern im Zentralvorstand des Schweizer Fussballverbandes (SFV). Am Freitag ändert sich das, dann wird die Frauenquote im Exekutivorgan eines der grössten und einflussreichsten Sportverbände der Schweiz neu 22,2 Prozent betragen.
Die Wahl der Grünen-Nationalrätin Aline Trede (40) und der Waadtländer Staatsratspräsidentin Christelle Luisier Brodard (49, FDP) durch die Delegiertenversammlung des SFV ist so gut wie sicher – es gibt keine weiteren Kandidatinnen für die zwei neuen Sitze im Gremium.
Die Einbindung der Frauen ist längst überfällig, die Besetzung aber sorgt für Diskussionen. Dass bei der langersehnten Beteiligung im Führungsgremium keine zum Zug kommt, die den Frauenfussball in- und auswendig kennt und seit Jahren für dessen Weiterentwicklung kämpft, wird von einigen seiner Protagonistinnen als Affront empfunden.
Im vertraulichen Gespräch reden viele von einer verpassten Chance für den Schweizer Frauenfussball. Der Verband verfolgte allerdings von Beginn an offen eine andere Linie: Die zwei zusätzlichen Sitze sind nicht für den Frauenfussball geschaffen worden, die Aufnahme von Frauen erfolgt schlicht aus Diversitätsgründen.
Die Sportministerin Viola Amherd hat die Vorgabe gemacht, dass bis 2025 die nationalen Sportverbände sowie der Dachverband Swiss Olympic mindestens 40 Prozent Frauen in ihren Führungsgremien haben müssen. Wer dies nicht umsetzt, muss sich aber erklären und geplante Massnahmen aufzeigen. Der SFV änderte daraufhin die Statuten, um den Zentralvorstand von sieben auf neun Sitze aufzustocken.
Bisher bestand dieser aus dem Zentralpräsidenten und je zwei Vertretern der drei Abteilungen des SFV: Swiss Football League, 1. Liga und Amateurfussball. Gemäss den neuen Statuten sollen die beiden zusätzlichen Sitze mit «zwei unabhängigen Mitgliedern, die in keiner Verbindung zu einer Abteilung oder einem Klub des SFV stehen», besetzt werden.
Vorreiterinnen wie Haenni oder Lehmann wurden nicht angefragt – oder kamen nicht infrage
Das schloss Pionierinnen wie Tatjana Haenni im Vorhinein aus. Die ehemalige Frauenfussball-Direktorin des SFV ist heute die Direktorin der amerikanischen Frauenfussball-Profiliga. «Ich habe mich für einen Sitz beworben, da ich mich als qualifiziert empfunden habe», sagt sie. Sie wäre für das Amt auch zur Verfügung gestanden, obwohl sie in den USA lebt. «Wenn man mich oder andere Expertinnen nicht als Kandidatinnen sieht, dann beweist der Verband, dass er offenbar keinen Bedarf an Frauenfussball-Expertise im höchsten Gremium hat.» Andere Vorreiterinnen, die zurzeit keine Funktionen im Fussball ausüben, wie etwa die frühere Nationalspielerin Kathrin Lehmann, wurden nicht angefragt.
Der Verband möchte darauf erst nach der Wahl wieder ausführlicher eingehen, hat aber klargemacht, dass es ihm bei den beiden Sitzen nicht um die Fussballexpertise geht, sondern um einen Aussenblick. Die Suche nach Kandidatinnen lief unter anderem über einen Headhunter und konzentrierte sich auf Frauen aus den Bereichen Wirtschaft und Politik. Man wollte zwei objektive Mitglieder, um den Gesamtfussball weiterzuentwickeln – dies als Ergänzung zu den anderen Mitgliedern, die oft Eigeninteressen aus ihren Abteilungen verfolgen, sich bei Abstimmungen gegenseitig unterstützen.
Dennoch sollen Trede und Luisier laut dem Communiqué des SFV «besonders auch» die Förderung des Mädchen- und Frauenfussballs und die damit verbundenen Infrastrukturanpassungen unterstützen – den Frauen-Bereich also doch irgendwie abdecken.
Man will den Sog der Europameisterschaft 2025 in der Schweiz auf allen Ebenen für den Frauenfussball nutzen. So werden von Bund, SFV und weiteren Unterstützern insgesamt rund 12 Millionen Franken in Legacy-Projekte gesteckt. Unter anderem soll sich bis 2027 die Anzahl lizenzierter Spielerinnen in der Schweiz von 40 000 auf 80 000 verdoppeln. Die Infrastruktur wird dabei eine der grössten Herausforderungen sein.
Bereits die Sichtbarkeit von Frauen in einem Gremium macht einen Unterschied
Dass dabei ein direkter Draht nach Bundesbern und die Kenntnis der politischen Prozesse helfen, verstehen zwar alle. Viele hätten sich aber gewünscht, dass zumindest einer der beiden Sitze mit einer Frau besetzt würde, die die Probleme und spezifischen Herausforderungen des Frauenfussballs aus eigener Erfahrung kennt.
Was aber auch Kathrin Lehmann festhalten möchte: «Es ist ein Anfang, ein Aufbruch. Die beiden werden viel bewirken können.» Was für einen Unterschied allein die Sichtbarkeit in einem Gremium macht, spürt sie, seit sie als einzige Frau im Verwaltungsrat von Swiss Ice Hockey sitzt.
Viele erhoffen sich von den Frauen im SFV, dass sie gewisse Selbstverständlichkeiten hinterfragen, Verträge mit einem anderen Blick beurteilen, Unterschieden nachgehen statt sie zu übergehen.
Tatkraft spricht Trede und Luisier niemand ab. Beide engagieren sich bereits für die Heim-EM. Trede sitzt im Steuerungsausschuss der Host-Citys Bern und Thun, in der Tournament Steering Group des europäischen Fussballverbands (Uefa) und weibelte im Parlament intensiv dafür, dass der Bund die im Februar gesprochenen 4 Millionen Franken zur Unterstützung der Euro auf 15 Millionen anhebt. Luisier engagiert sich im Kanton Waadt für Infrastrukturprojekte und Mädchenfussballprogramme. Reden möchten die beiden erst, wenn sie gewählt worden sind.
Der Entscheid von Ende Mai, 15 Millionen Franken Bundesgelder zu sprechen, gibt dem hiesigen Frauenfussball einen Schub. In Kürze wird beim SFV auch die Direktion des Frauenfussballs ausgebaut. 2023 lag die Frauenquote bei Funktionären im gesamten SFV bei 13,2 Prozent. Auch diese Zahl soll bis 2027 verdoppelt werden. In der Geschäftsleitung des Verbands beträgt der Anteil 25 Prozent.
Und die 22 Prozent im Zentralvorstand sollen erst der Anfang sein: Frauen können künftig natürlich nicht nur für die unabhängigen Sitze kandidieren. Über die Sitze der drei Abteilungen sollen zeitnah auch Frauen direkt aus dem Fussball ins Gremium gewählt werden. Die Zeit der Kanterniederlagen ist vorbei – bis zu einem Unentschieden dauert es aber noch.