Das Stahlwerk Gerlafingen ist ein Opfer des Handelsstreits zwischen der EU und den USA. Die EU hat nun zugesichert, ab Anfang Juli wieder Importe von Schweizer Stahl zu ermöglichen.
Wenn die Grossen sich bekämpfen, können Querschläger auch die Kleinen treffen. Das kann die Schweizer Stahlindustrie bestätigen – besonders das Werk Stahl Gerlafingen, das zum italienischen Beltrame-Konzern gehört. Stahl Gerlafingen ist ein Opfer des Handelsstreits EU – USA. Dieser Streit begann schon 2018, als die USA auf Importen aus der EU, Kanada und Mexiko Strafzölle von 25 Prozent (Stahl) und 10 Prozent (Aluminium) verhängten. Die EU reagierte mit Gegenzöllen.
2021 sistierten beide Seiten ihre Zusatzzölle innerhalb gewisser Kontingente. Das Kontingentsregime der EU trifft auch Drittländer wie die Schweiz. Drastisch spürt dies Stahl Gerlafingen vor allem seit Juli 2023. Die quartalsweise vergebenen Kontingente für zollfreie Importe der EU wurden seit dann jeweils schon zu Quartalsbeginn durch vier Länder ausgefüllt: Japan, Vietnam, Ägypten und Taiwan. Für die anderen blieb nichts mehr übrig.
Somit bedeutete dies faktisch ein Verbot von Schweizer Stahlexporten in die EU – trotz dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Stahl Gerlafingen hat diesen März die Schliessung von einer der beiden Produktionsstrassen angekündigt und dabei die Exportblockade als einen der Gründe angeführt. Betroffen von der Blockade ist auch eine Produktekategorie, die das Exportprodukt Breitflachstahl aus Gerlafingen umfasst.
Maximal 15 Prozent pro Land
Die Schweiz wirft Brüssel einen Bruch des Freihandelsabkommens vor und hat das Problem wiederholt bei der EU vorgebracht. Es gibt zum Handelsabkommen einen Gemischten Ausschuss, der regelmässig über Probleme redet. Aber in Fällen ohne Einigung existiert kein Streitbeilegungsverfahren etwa via Schiedsgericht.
Immerhin ist nun ein Fortschritt zu vermelden. Diese Woche hat die EU Besserung im Stahlkonflikt versprochen, wie der Bundesrat mitteilte. Laut Angaben von Beteiligten und gemäss einem EU-Dokument für die Welthandelsorganisation sicherte die EU zu, ab Juli in der betroffenen Produktekategorie die Kontingente für die einzelnen Staaten auf jeweils 15 Prozent des Gesamtkontingents zu deckeln. Die vier Länder, die zuletzt das gesamte Kontingent beansprucht hatten, bekommen damit zusammen höchstens noch 60 Prozent des Gesamtkuchens. Damit entsteht Raum für Importe in die EU aus anderen Staaten wie der Schweiz.
Laut Bundesangaben geht die EU davon aus, dass so ab Juli wieder genügend Lieferungen kleinerer Lieferländer wie der Schweiz zur Verfügung stehen. Doch dies hänge davon ab, ob andere Länder mit bisher kleinen Lieferungen, aber hohem Ausfuhrpotenzial die frei gewordenen Kontingentsteile nicht jeweils rasch abgrasen würden.
Ähnlich tönt es auch bei Stahl Gerlafingen. «Das ist schön und gut, aber es gibt keine Garantie, dass wir wieder konstant in die EU exportieren können», sagt Agnes Hostettler, Leiterin Transporte und Spedition bei Stahl Gerlafingen. Ab Oktober (Beginn des dritten Quartals) könne es gut möglich sein, «dass einfach weitere Länder wie Saudiarabien, Kanada und die USA die frei gewordenen Kontingente schon am ersten Tag des Quartals beziehen werden». Als Kontingentskonkurrenten kommen auch Australien und Algerien infrage. Viele Produzenten aus anderen Ländern haben laut Hostettler Meeresanschluss und könnten Schiffe nutzen: «Das heisst, dass sie im Voraus Frachter vor der Seegrenze positionieren, die dann genau zu Beginn des Quartals grosse Mengen in die EU einführen.» Stahl Gerlafingen müsse dagegen mit Bahn und Lastwagen arbeiten.
Hohe Einbussen
Ob Stahl Gerlafingen trotz der angekündigten Schliessung der exportorientierten Produktionsstrasse künftig überhaupt noch genügend Stahl für den EU-Markt produzieren könnte, ist laut Angaben vom Freitag zurzeit nicht klar. Nach jetzigem Stand bleibe es beim Schliessungsentscheid.
Das Volumen verhinderter Exporte in die EU seit Sommer 2023 ist dem Vernehmen nach substanziell. Stahl Gerlafingen nannte allerdings keine genauen Zahlen. Gemäss Bundesangaben sind in der betroffenen Produktekategorie die Schweizer Stahlexporte in die EU von rund 47 000 Tonnen im Jahr 2022 auf 29 000 Tonnen im Jahr 2023 geschrumpft. 2017, vor Beginn des Stahlstreits zwischen der EU und den USA, waren es noch fast 60 000 Tonnen. 1000 Tonnen Breitflachstahl kosten eine halbe bis eine ganze Million Franken.
Die energieintensiven Industriesektoren in der Schweiz kritisierten oft, dass die EU auch mit ihren Energie- und Klimasubventionen den Wettbewerb zulasten der Schweizer Produzenten verfälsche. Für nächste Woche sind im Bundesparlament zwei Vorstösse traktandiert, die staatliche Unterstützung für die Stahlindustrie verlangen. Einer der Vorstösse fordert ausdrücklich die Rettung des Stahlwerks Gerlafingen – «gegebenenfalls mit Notrecht».