Stillgelegte Bahnstrecken reaktivieren – das könnte besonders auf dem Land neue Mobilitätsperspektiven eröffnen. Wie sich
eingleisige Strecken auf elegante Art gleichzeitig in beiden Richtungen befahrbar machen lassen.
Hier rollt Thusnelda. Sie ist rund fünf Meter lang und sieht aus wie ein Mix aus Hyperloop und Zeppelingondel, wenngleich ihr die aerodynamische Eleganz beider abgeht. Die braucht es auch nicht, denn Thusnelda ist mit höchstens Tempo 60 unterwegs und bleibt am Boden – auf der Schiene. Genauer: auf einer Schiene.
Thusnelda und Hermann, so heissen die beiden Prototypenkabinen des Projekts Monocab, könnten dem ländlichen Raum mehr Mobilität abseits des eigenen Autos bringen. Zumindest dort, wo stillgelegte Bahnstrecken vor sich hindämmern – Thusnelda könnte sie wachküssen, eingleisige Strecken aufdatieren und sie im Gegenverkehr befahrbar machen.
Monocab reicht eine Schiene. Die Kabinen sind so schmal, dass sie aneinander vorbeipassen. Das zeigen Thusnelda und Hermann bereits auf einem kurzen Abschnitt der stillgelegten Extertalbahn im deutschen Nordrhein-Westfalen.
Auch weiter südlich, unweit des badischen Schwetzingen, beschäftigt sich Egon Könn seit geraumer Zeit mit der Reanimation eingleisiger Altstrecken per Monorail. Technisch könnten die beiden Bahnen nicht unterschiedlicher sein.
Monorails sind prinzipiell nicht neu
Züge, das ist eigentlich ganz klar, benötigen zwei parallele Schienen, sonst kippen sie um. Das stimmt nicht ganz, denn 1910 zeigte Erfinder Louis Brennan auf einer Demonstrationsstrecke bei London, dass eine einzige Schiene ausreichen kann. Das ziemlich eigenwillige Gefährt hielt sich dank einem integrierten mechanischen Kreiselsystem im Gleichgewicht – und auf der Schiene.
Danach wurde es still um die Idee. Monorails wurden zwar auch später gebaut, etwa in Freizeitparks, als Airport-Shuttle oder für kurze, urbane Verbindungen – aber es blieb bei überschaubaren Insellösungen proprietärer Systeme.
Im Gegensatz zu Brennans Idee nutzen diese Bahnen aufgeständerte Trassees, sie sind also auf erhöhten, aus Stützen und Trägern bestehenden Schienen unterwegs. Zudem gibt es breite Fahrbalken, von Balancieren also keine Spur. Monocab greift das stabilisierende Kreiselprinzip wieder auf, während Egon Könn auf seitlich eingreifende Stabilisierungsrollen setzt.
Leichtbau und automatischer Betrieb
Egon Könn ist Maschinenbauingenieur und eigentlich im Ruhestand. Der 87-Jährige hat sich zeitlebens mit Energie befasst, hat grosse Industrieöfen konstruiert und gebaut. Irgendwann stellte er sich die Frage, ob der öffentliche Nahverkehr im ländlichen Raum, also genau vor seiner Haustüre, effizienter machbar wäre.
Seine Antwort ist im 2005 erteilten Patent nachzulesen: ein kleinformatiger Zug, der batteriegespeist, also ohne Oberleitung, alte Trassees befährt. Eine Überdachung mit Photovoltaikmodulen könnte die – noch namenlose – Bahn sogar energieautark machen. Auch weil Könn auf Leichtbau setzt und damit das zu beschleunigende oder zu verzögernde Gewicht so gering wie möglich halten will.
Auf sechs Tonnen schätzt er die Masse einer 20 Meter langen Zugeinheit, die bis zu 36 Passagieren plus Gepäck, Fahrrädern oder Rollstühlen Raum böte. Zum Vergleich: Der weitverbreitete DB-Triebwagen der Baureihe 650, auch «Regio-Shuttle» genannt, wiegt leer 40 Tonnen.
Eine Kreiselstabilisierung wie bei Monocab dachte Könn zwar ebenfalls an, verwarf sie aber – wohl auch ihres enormen Gewichtes wegen. Stattdessen setzt das Laufrad seiner Bahn auf einem Vierkantrohr auf, weitere Räder pressen sich hydraulisch von der Seite an die Traverse und halten die Bahn aufrecht. «Die Stabilisierung verlangt nur geringen Kraftaufwand», so Könn.
Quert eine Strasse die Bahnstrecke, klappen die Seitenräder in die Vertikale und positionieren sich als Stützräder. Auf diese Weise liessen sich, so Könn, auch kurze schienenlose Strecken überwinden. Und mit angetriebenen Stabilisierungsrädern wären Steigungen bis vier Prozent wohl kein Problem – für neue Streckenführungen ein interessanter Aspekt.
Um auf alten Trassees zu fahren, müssen diese jedoch – anders als bei Monocab – darauf vorbereitet werden. Auf die vorhandenen Gleise kommen Quertraversen, die dann ihrerseits die Basis für das erwähnte Vierkantrohr bilden. Ein nicht zu vernachlässigender Aufwand, doch zugleich optimiert man so die Qualität selbst stark vernachlässigter Alttrassees, was sich in Sachen Betriebssicherheit und Fahrkomfort auszahlt.
Ein Rendering als Vision
Freilich ist die Könnsche Bahn noch in einem frühen Entwicklungsstadium, die Basis steht, «aber auskonstruiert haben wir noch nichts», sagt der Ingenieur. Was es dafür braucht? Einen Investor und ein Startup.
Etwas jedenfalls gibt es schon: einen Designentwurf der Münchner Agentur N+P Innovation Design, die einst auch die Gestaltung des legendären ICE 3 verantwortete. Geschäftsführerin Christiane Bausback gestaltete mit ihrem Team ein sehr transparentes und kompaktes Fahrzeug, das kein vorn oder hinten kennt.
Weil es autonom unterwegs ist, entfällt die Fahrerkabine. Die freie Sicht nach vorn bringe «ganz neue Perspektiven», so Bausback. Sowohl die Passagierabteile wie der zentrale Cargobereich sind durch grosse Flügeltüren zugänglich. «Wir wollten eine Art Horizontallift schaffen, mit moderner und einladender Anmutung, die auch jüngere Nutzer begeistert und den Regionen Attraktivität verleiht», beschreibt Bausback den Designansatz.
Die regionale Wirkung hat auch Thorsten Försterling, zentraler Initiator des Projektes Monocab, im Blick: «Das Land darf nicht abgehängt werden.» Fast schon pathetisch nennt er die Bahn auch «Zuversichtsmaschine». Wie ein Paternoster beständig unterwegs, sollen die sechssitzigen, autonomen Kabinen eine flexiblere Nutzung des bislang fahrplanfixierten Nah- und Regionalverkehrs auf alten Strecken ermöglichen, wovon es in Deutschland immerhin 5000 Kilometer gibt.
«Einmal entwidmet, sind die Strecken verloren, neue Trassees wird es ganz sicher nicht mehr geben», so Försterling. Das dünn besiedelte Gebiet Ostwestfalens scheint dafür der ideale Trainingsort zu sein. Mit dabei sind die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe, die FH Bielefeld, die Landeseisenbahn Lippe e. V. sowie das Fraunhofer-Institut IOSB-INA.
Nachdem das Projekt im Herbst 2020 gestartet wurde, sind die beiden Prototypen Thusnelda und Hermann seit Ende 2022 als Demonstratoren auf einem kurzen Abschnitt der stillgelegten Extertalsperre bei Lemgo unterwegs – noch mit Sicherheitsabstützungen. Möglich machte dies eine Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen sowie den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). 3,6 Millionen Euro flossen bis Ende 2020 in die Entwicklung.
«Wir haben die Machbarkeit des Systems nachgewiesen», sagt Försterling, «als Nächstes stünde die Gründung eines Startups an.» Allein die Mittel dafür sind noch nicht da: Man warte auf die Zusage weiterer Fördermittel und auf den Einstieg von Investoren.
Obwohl es finanziell harzt, will das Team bis 2028 alles in trockenen Tüchern haben, das System soll dann ausrollbar sein. Eventuell klappt es auch vorher mit dem Aufbau einer campus- oder firmeninternen Bahn. Interessenten dafür scheint es zu geben.
Viel Gewicht für die Stabilisierung
Damit Thusnelda und Hermann reibungsfrei passieren können, sind sie nur 1,2 Meter breit – 50 Zentimeter misst die Kabine zur Gleisbettmitte hin, 70 Zentimeter nach aussen.
Der asymmetrische Querschnitt ist gewöhnungsbedürftig und technisch herausfordernd. Denn die Asymmetrie der Abmasse bedeutet zugleich auch eine Asymmetrie der Gewichtsverteilung, bei einer balancierenden Bahn ist das ein problematischer Punkt. Daher platzieren die Monocab-Entwickler alle Aggregate im Unterbodenbereich so, dass die Asymmetrie statisch ausgeglichen wird und der Gesamtschwerpunkt so niedrig wie möglich liegt.
Dazu kommt noch ein in Querachse verschiebbarer, 600 Kilogramm wiegender Masseblock, der ungleiche Gewichtsverteilungen durch Passagiere oder permanente Seitenwinde ausgleicht.
Für die dynamischen Einwirkungen von Gleisfehlern, Windböen oder zappelnden Mitfahrenden hingegen ist das erwähnte aktive Kreiselsystem zuständig. Zwei mit 4800 Umdrehungen pro Minute gegenläufig rotierende Massen verändern, von einer mikromechanischen Sensorik gesteuert, ihre Neigung um die Längsachse und gleichen so Kippmomente aus.
So kommt aber viel zusammen: Da wären die 600 Kilogramm für den statischen Ausgleich, 500 Kilogramm für die beiden Kreisel, die Kabine mit weiteren 500 Kilogramm, 260 Kilogramm für den Antriebsbereich und Batterien mit 250 Kilogramm.
In der Summe sind das 2,1 Tonnen Leergewicht, mit sechs Personen also mindestens 2,6 Tonnen, die beschleunigt und verzögert sein wollen. Energiesparender Leichtbau ist das nicht gerade. Dennoch dürfte die Belastung alter Strecken und Bauwerke geringer sein als bei konventionellen Bahnen.
Transparenz versus räumliche Enge
Bekanntlich ist die technische Seite aber nur ein Aspekt, wenn es um die Akzeptanz geht. Wie also wirkt das Kabineninnere auf die Reisenden? Bei der Könnschen Idee lässt sich das noch kaum sagen – immerhin legt das Design grossen Wert auf Transparenz, Sicht nach aussen und gute Zugänglichkeit.
Die Prototypen der Monocab werden da schon etwas konkreter und variieren zwischen Einzelbestuhlung vis-à-vis und sitzbankähnlich ausgestatteten Abteilen. Grosse Fensterbereiche und Flügeltüren öffnen die Abteile, Renderings zeigen eher wohnlich anmutende Interieurs mit natürlichen Materialien. Das mutet vertraut an und lädt ein – ob dies jedoch vandalismussicher ist, sei dahingestellt.
Beide Konzepte dürften vergleichsweise eng ausfallen, von Stehhöhe kann man nicht sprechen, daher sind die Flügeltüren nicht an der Aussenkante, sondern weiter zur Fahrzeugmitte hin angeschlagen. Die Barrierefreiheit lässt sich mit entsprechenden Bahnsteigen sicher gut realisieren. Wie das Fehlen von Personal, das auch für psychologisches Sicherheitsgefühl sorgt, einzustufen ist, bleibt offen.
Aber: Der Grundansatz der Streckenreaktivierung ist bestechend, allein in Deutschland liegen über 5000 Kilometer brach. Wer braucht da schon einen Hyperloop?