Auf Anhieb holte das neue Bündnis mehr als sechs Prozent der Stimmen. Für die Partei ist es eine erste Bewährungsprobe.
Bei Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen brandet beim Bündnis Sahra Wagenknecht gleich dreimal Jubel auf: zunächst, als die mageren Ergebnisse der Linkspartei und der Liberalen auf der Leinwand im Ostberliner Kino Kosmos eingeblendet werden. Noch grösser ist allerdings der Beifall, als der Balken der erst vor sechs Monaten gegründeten Wagenknecht-Partei auf 6 Prozent klettert.
Damit konnte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus dem Stand mehr als doppelt so viele Stimmen wie die Linkspartei (2,7 Prozent) einfahren und auch die FDP überholen (5,2 Prozent). In Ostdeutschland ist die Wagenknecht-Partei sogar deutlich zweistellig.
Die Parteigründerin und Namensgeberin Wagenknecht nannte das Ergebnis am Wahlabend historisch. Noch nie zuvor in der jüngeren Geschichte sei einer Partei auf Anhieb der Sprung über fünf Prozent bei bundesweiten Wahlen gelungen, sagte sie. «Wir werden die deutsche Politik verändern», rief Wagenknecht ihren Anhängern zu. Das Wahlergebnis zeige, dass die Gründung einer neuen Partei richtig gewesen sei.
Auch Union und FDP verlieren Wähler an Wagenknecht
Der Blick auf die Wähler der Wagenknecht-Partei bringt Überraschendes zutage. Die meisten Wähler kamen nämlich von der SPD, rund 580 000 wanderten von dort zur neuen Partei. Deutlich weniger Stimmen kamen hingegen von enttäuschten AfD-Wählern, dabei spekulierten insbesondere linke Beobachter, dass das Bündnis der AfD Stimmen abjagen würde. Es waren allerdings nur 160 000 und damit vergleichsweise wenige.
Bei zukünftigen Wahlen werde die Wählerwanderung ähnlich sein, schrieb die Hans-Böckler-Stiftung in einer neuen Studie. Für die Sozialdemokraten ist das Bündnis Sahra Wagenknecht damit der gefährlichste Konkurrent.
Punkten konnte die Wagenknecht-Partei erwartungsgemäss auch bei Wählern, die vorher der Linkspartei ihre Stimme gegeben hatten – insgesamt 470 000. Aber auch aus der Union (260 000 Stimmen) und von den Liberalen (230 000) sammelte Wagenknecht Stimmen ein.
Im Europa-Wahlkampf haben Wagenknecht und ihre Unterstützer vieles richtig gemacht. So hat die Partei ganz auf die Popularität ihrer Namensgeberin und auf das Friedensthema gesetzt. Wagenknecht war auf allen Plakaten zu sehen, obwohl sie nicht für die Europawahl antrat.
Auch der immer wieder geäusserte Vorwurf der Sozialdemokraten, die Wagenknecht-Partei mache Wahlkampf mit der Angst und Unsicherheit der Menschen, überzeugte nicht. Wagenknecht ist eine der schärfsten Kritikerinnen der Ukraine-Politik der Bundesregierung. Sie lehnt weitere Waffenlieferungen des Westens ab und fordert Verhandlungen über ein Kriegsende mit Russlands Machthaber Wladimir Putin. Diese Position, die im Bundestag nur noch die AfD vertritt, spricht offenbar viele Menschen an, besonders in Ostdeutschland.
Wagenknecht besetzt Leerstelle in der Parteienlandschaft
Laut Infratest Dimap bewerteten es 86 Prozent der BSW-Wähler positiv, dass in der Wagenknecht-Partei gleichzeitig auf mehr Soziales und weniger Zuwanderung gesetzt wird. In dieser Kombination werden die Themen von keiner anderen Partei bespielt. Wagenknecht besetzt damit eine Leerstelle in der Parteienlandschaft.
Im Übrigen kann sich Wagenknecht über eine relativ heterogene Wählerschaft freuen, was Alter, Geschlecht und Bildung anbelangt. Die Anhänger der Partei verdienen allerdings im Schnitt eher weniger.
Im Wahlkampf verlangte Wagenknecht eine Begrenzung der unkontrollierten Migration und benannte klar Probleme, wie die überproportionale Kriminalität in Einwanderermilieus. In der Sozialpolitik positioniert sich Wagenknecht als Anwältin der kleinen Leute: höherer Mindestlohn, mehr Steuern für Spitzenverdiener und eine sichere Rente.
Gesellschaftspolitisch vertritt die Partei konservative Positionen. 81 Prozent der BSW-Wähler finden, Meinungen würden ausgegrenzt. 79 Prozent halten den Islam für zu stark in Deutschland.
Wagenknecht gelang es mit dieser Mischung, die Stimmung von Menschen aufzunehmen, die sich bei den etablierten Parteien nicht mehr aufgehoben fühlen. Sie profitierte von der Enttäuschung ehemaliger «Ampel»-Wähler, die eine woke Symbolpolitik beklagen, während gleichzeitig die Belastungen für die arbeitende Mittelschicht zunehmen.
Landtagswahlen sind grösste Herausforderung
Nach der gelungenen Premiere bei der Europawahl schaut die Wagenknecht-Partei auf die für sie besonders wichtigen ostdeutschen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September. Hier erhofft sie sich deutlich zweistellige Ergebnisse – vorausgesetzt, der Aufbau der Landesverbände klappt wie geplant. Sollte das gelingen, käme der Wagenknecht-Partei eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung zu. Am Wahlabend warb die Parteichefin im ZDF mit dem Satz: «Wir sind eine seriöse Alternative.»
Der Vorwurf des Linkspopulismus prallt an Wagenknecht ab. Wenn populistisch heisse, «den Protest gegen die herrschende Politik zum Ausdruck zu bringen, dann sind wir das», sagte die Parteichefin unlängst.
Doch bei aller innerparteilichen Euphorie steht das Bündnis noch auf wackligen Füssen. Der Aufbau von Parteistrukturen ist schwierig. Für die Landtagswahlen werden in Brandenburg noch geeignete Leute für die Listen gesucht, was sich als schwierig herausstellt. Und ein Parteiprogramm gibt es auch noch nicht.
Die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali ist im Wahlkampf kaum in Erscheinung getreten. Alles dreht sich um Sahra Wagenknecht. 78 Prozent der BSW-Wähler gaben an: Ohne Sahra Wagenknecht hätten sie nicht das Bündnis gewählt. Mit ihrer Person steht und fällt die ganze Partei. Das ist das grösste Risiko.







