Leggeri war der angefeindete Exekutivdirektor von Frontex. Nun wurde er für das Rassemblement national ins Europäische Parlament gewählt. Dort will er für härtere Asylregeln kämpfen und bereitet sich auf eine Präsidentschaft unter Marine Le Pen vor.
Fabrice Leggeri hat sich nicht versöhnt mit seiner alten Widersacherin. Wenn der ehemalige Exekutivdirektor von Frontex über Ylva Johansson, die schwedische Flüchtlingskommissarin, spricht, dann verzieht sich sein Gesicht. Und dann erzählt er, wie sie ihn einmal davon abbringen wollte, Uniformen für seine Mitarbeiter zu kaufen. «Herr ‹Leggeri›, hat sie zu mir gesagt, ‹wozu brauchen Sie Waffen und Uniformen! Die Flüchtlinge kommen doch aus Liebe!›»
Sein erzwungener Rücktritt als Chef der Grenzschutzagentur; seine Kämpfe mit der Kommission; die Ermittlungen der Antibetrugsbehörde Olaf gegen seine Person – all das hätte Leggeri dazu bewegen können, dem EU-Apparat für immer den Rücken zu kehren. Doch seit Sonntag ist klar, dass ihn die Wähler für das Rassemblement national (RN), Frankreichs grösste Oppositionspartei, in das Europäische Parlament nach Brüssel und Strassburg gewählt haben.
Auf die andere Seite gewechselt
Der geschasste Spitzenbeamte wird also künftig Dinge tun können, die ihm früher verwehrt blieben. Er wird beispielsweise EU-Kommissare vorladen, möglicherweise auch Untersuchungen im Parlament anstrengen können. Überlegt er, an den Leuten, die ihm damals das Leben schwer machten, Rache zu nehmen? «Ich würde nicht sagen, dass ich mich rächen will. Ich kann aber dazu beitragen, die Europäische Union zu verbessern», sagt der 56-Jährige.
Wir treffen Leggeri während der Europawahl in einem Brüsseler Café. Mit dem sicheren dritten Platz auf der Liste des RN ist seine Wahl Formsache. Die Partei von Marine Le Pen feierte seine Verpflichtung als Coup. Schliesslich ist Leggeri in ihren Augen nicht nur ein intimer Kenner der Brüsseler Bürokratie, der sieben Jahre die grösste Agentur der EU geleitet hat. Er stellte sich obendrein als Fachmann der Migrationspolitik dar, der – wenn ihn die linken NGO nicht ständig bei der Arbeit behindert hätten – Europas Grenzen viel besser geschützt hätte.
Wie kam es zu seinem Wechsel in die Politik? Leggeri erzählt, dass er wenige Wochen nach dem Rücktritt bei Frontex im Juni 2022 von einer Gruppe Abgeordneter des RN aufgesucht wurde. Die Politiker befragten ihn zur Migrationskrise, und einer von ihnen, Jordan Bardella, der junge und charismatische Spitzenkandidat der Partei, hinterliess einen bleibenden Eindruck auf Leggeri: «Sehr höflich und fleissig!»
Diskretes Treffen in Paris
An einer privaten Party kam es dann zu einer zufälligen Bekanntschaft mit Marc Baudriller, einem katholisch-konservativen Journalisten mit besten Verbindungen zum Rassemblement national. Baudriller organisierte ein Treffen mit Le Pen, und irgendwann sassen die Galionsfigur der französischen Rechten und der frühere Frontex-Boss bei einem diskreten Mittagessen in Paris zusammen. Die Idee, den «Verteidiger der Aussengrenze» in die Partei aufzunehmen – und vielleicht auch als Minister für die Zeit nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2027 warmzuhalten – nahm Gestalt an.
War er schon immer ein Anhänger Le Pens? «Ich habe sie 2022 gewählt, aber ich fand ihre Ideen schon vorher gut», sagt Leggeri. «Ich war auch immer konservativ, aber normal konservativ.» Aus Sicht des frischen Europaabgeordneten ist das RN eben keine radikale, sondern eine vernünftige konservative Kraft, die freilich für eine ganz andere EU streitet: weniger Einfluss für die Institutionen in Brüssel, mehr Macht für den Nationalstaat, ein «Europa der Vaterländer». Auch weniger «woke» soll die Politik sein, auf nationaler wie auf europäischer Ebene.
Fabrice Leggeri, der Sohn eines italienischen Einwanderers, wurde 1968 im Elsass geboren. Er durchlief in der Hauptstadt eine erfolgreiche Schul- und Beamtenkarriere: zuerst im französischen Innenministerium, dann zeitweise als Experte bei der Kommission in Brüssel. Zusammen mit Kollegen schlug er der Kommission 2002 vor, eine europäische Grenzwache aufzustellen. Zwei Jahre später wurde Frontex gegründet, nach elf Jahren Leggeri an ihre Spitze berufen.
2015, im ersten Jahr der Flüchtlingskrise, machte sich die EU daran, die Agentur auszubauen und ihr Mandat zu erweitern. Die nationalen Behörden sollten an den Aussengrenzen besser unterstützt werden. Leggeris neuer Posten war von Anfang an politisch höchst exponiert, die Migrationspolitik polarisierte Brüssel, die Diskussionen verliefen oft emotional.
Machtkampf mit der Kommission
2020 platzte dann die Bombe. Ein Medienbericht klagte Frontex an, das verbotene Zurückdrängen von Migranten, sogenannte Pushbacks, in der Ägäis durchzuführen. Es tauchten Videos auf, die das zu belegen schienen, und schnell kam der Direktor ins Visier: Er, so der Vorwurf, habe die Vorfälle gedeckt. Leggeri winkt ab. Er bezeichnet die Berichte als fake und sagt: «Die Türkei steckte dahinter, eine Reihe von Soros-Journalisten und natürlich gewisse NGO.»
Der Skandal eskalierte schnell. Aus einem einfachen Grund, glaubt Leggeri. Die Innenkommissarin habe ihn als Exekutivdirektor ausbooten wollen. «Es war ein Machtkampf.» Und zwar aus ideologischen Gründen: «Sie sah doch hinter jedem meiner bewaffneten Beamten einen potenziellen rassistischen Gewalttäter.»
Diesen Frühling hat die EU ihre Asylpolitik verschärft. Die Verfahren sollen an den Aussengrenzen durchgeführt und beschleunigt werden, auch Rückführungen sollen konsequent vollzogen werden. Das müsste doch nach Leggeris Geschmack sein? Er schüttelt den Kopf. Das sei keine echte Verbesserung. Die Reisen hin zu den europäischen Aussengrenzen würden weitergehen, die Schlepperbanden davon profitieren und Migrantenboote im Meer versinken. «Schon gar nichts wird sich daran ändern, dass über 300 000 Migranten frei in Europa herumlaufen. Und obwohl sie keinen Flüchtlingsstatus haben, nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren.»
Was schlägt der Europaabgeordnete vor? In den Herkunftsländern, sagt Leggeri, sollten europäische Konsulate die Asylverfahren durchführen. Das sei möglich, wenn man sie personell aufstocke und die Europäische Asylagentur zu ihrer Verstärkung delegiere. Wer dann wirklich schutzbedürftig sei, könne legal einreisen. «Und natürlich müssen wir die Aussengrenzen für Illegale schliessen.»
Dem britischen «Rwanda-Modell», das Asylverfahren ausschliesslich in einem Drittland durchführen will, steht er skeptisch gegenüber. Es sei schwierig zu implementieren und sehr teuer. «Aber wir beobachten es.» Die Konsulatsverfahren hält er dagegen für mehrheitsfähig. Auf Initiative Dänemarks hätten 15 Mitgliedsstaaten der Kommission einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Leggeris Migrationskonzepte erscheinen nicht extrem. Sie könnten durchaus auch von einem Mitte-rechts-Politiker stammen, vielleicht sogar von der Kommissionspräsidentin von der Leyen?
Der Westen in Gefahr?
Leggeris Miene verdüstert sich, als die Rede auf seine frühere Vorgesetzte kommt und die Verfahren, die Ende 2020 gegen ihn angestrengt wurden. Es begann mit einer Büro-Razzia durch Olaf, die Antibetrugsbehörde der EU. «Das geschah ohne richterlichen Beschluss, ohne nichts – von wegen Rechtsstaat!», sagt Leggeri.
Olaf warf ihm Fehlverhalten, Belästigung und die Vertuschung von Straftaten vor. Alles vorgeschoben und widerlegt, sagt Leggeri, am Ende werde nichts an ihm hängen bleiben. «Aber in jener Zeit wurde mir klar, dass die EU nicht nur mein politischer, sondern auch mein persönlicher Feind geworden war.» Nach einem zermürbenden Jahr trat er im April 2022 zurück.
«Wissen Sie, es geht jetzt in Europa um mehr als um die EU. Es kommt auch nicht darauf an, ob wir hier ein paar Gesetze ändern: Wir befinden uns in einem Kampf der Kulturen.» Die westliche Zivilisation, glaubt Leggeri, stehe einer Koalition von Feinden gegenüber, unter ihnen die «woken» Ideologen, die den Kontinent von innen zerstörten.
«Wenn wir jetzt nicht kämpfen, dann werden wir sehr schnell durch andere Völker ersetzt – das ist der Plan!» Wessen Plan? «Der Plan der Migranten.» Ist das nicht die neurechte Verschwörungstheorie vom «grossen Bevölkerungsaustausch», Herr Leggeri? «Wir im RN benutzen den Begriff nicht, wir sprechen von der Überflutung durch Migranten», antwortet er. «Und wir wollen, dass Frankreich Frankreich bleibt.»







