Concordia, Groupe Mutuel und Sanitas haben in letzter Zeit unter den grösseren Krankenkassen netto am meisten Kunden gewonnen, Assura hat am deutlichsten verloren. KPT feiert ein unerwartetes «Wunder von Bern».
Die starken Erhöhungen der Prämien haben den Markt der Schweizer Krankenkassen durcheinandergewirbelt. Im Jahr 2023 sind sie im Durchschnitt um 6,6 Prozent, in diesem Jahr sogar um 8,7 Prozent gestiegen. Viele Versicherte begannen da verstärkt zu rechnen – und so nahmen fast ein Drittel der Versicherten Änderungen an ihrer Grundversicherung vor.
Laut einer neuen Studie des Beratungsunternehmens Deloitte wechselten rund 12 Prozent der Kundinnen und Kunden auf 2024 hin ihre Kasse. Weitere 18 Prozent blieben zwar bei ihrem Anbieter, änderten aber ihre Franchise oder ihr Versicherungsmodell.
Verschiebungen bei den Krankenkassen
Die hohe Wechselbereitschaft aufgrund der höheren Prämien hat bei den zwölf grössten Krankenkassen in der Schweiz für deutliche Verschiebungen gesorgt. Concordia gewann in diesem Jahr laut den von Deloitte zusammengetragenen öffentlich zugänglichen Daten netto 71 000 Kundinnen und Kunden in der Grundversicherung hinzu. Deutliche Nettozuwächse verbuchten auch Groupe Mutuel (+63 000), Sanitas (+40 000) sowie CSS (+30 000). Zusammen haben die grössten zwölf Krankenkassen laut Deloitte einen Marktanteil von 93 Prozent.
Die meisten Abgänge gab es indessen bei der Assura mit einem Minus von netto 115 000 Versicherten. Damit setzte sich bei dem Westschweizer Versicherer der Negativtrend der vergangenen Jahre fort. Laut der Untersuchung hat der Westschweizer Krankenversicherer in den letzten vier Jahren rund 300 000 Kundinnen und Kunden in der Grundversicherung verloren.
Auch in diesem Jahr bleibt der Druck auf die Krankenkassen, ihre Kundinnen und Kunden zu halten, hoch: Im kommenden Herbst wollen erneut 44 Prozent der Versicherten ihre bisherigen Prämien und Leistungen vergleichen, wie die Befragung von 1250 Personen ergeben hat. Die Gesundheitskosten dürften weiter steigen, und so dürften auch die Prämien erneut zulegen.
«Die Krankenkassen müssen folglich noch effizienter und innovativer werden und um ihre Kundschaft kämpfen», sagt Marcel Thom, Leiter Krankenversicherungen bei Deloitte. Laut dem Unternehmen sind die Prämien in der Grundversicherung im Zeitraum 2010 bis 2022 um 33 Prozent gestiegen, was einem jährlichen Wachstum von 2,4 Prozent entspricht. Die Löhne hätten im selben Zeitraum nur um 0,6 Prozent pro Jahr zugelegt.
KPT mittelfristig mit stärkstem Zuwachs
Im Zeitraum 2020 bis 2024 stechen bei den Gewinnern die Berner KPT und die Luzerner CSS heraus. Letztere ist ein Platzhirsch in der Branche und erreichte in diesem Zeitraum ein Kundenwachstum von netto 147 000 Personen in der Grundversicherung. Noch mehr Kundinnen und Kunden gewann indessen die Berner KPT mit 196 000. Dies schaffte sie mit einer waghalsigen Strategie.
Mit «Kampf-Prämien» gewann die mittelgrosse Krankenkasse auf das Jahr 2023 hin netto 204 000 Kundinnen und Kunden in der Grundversicherung hinzu, wie die Daten von Deloitte zeigen. Viele Marktbeobachter munkelten damals, KPT werde die Prämien später stark erhöhen müssen und viele Kundinnen und Kunden gleich wieder verlieren. Dies ist im Folgejahr 2024 nicht eingetroffen, der Versicherer verbuchte lediglich ein Minus von netto 7000 – eine Entwicklung, die in der Branche scherzhaft «Das Wunder von Bern» genannt wird.
Dies dürfte vor allem an den weiterhin konkurrenzfähigen Prämien gelegen haben. Wie ein öffentlich zugängliches Prämien-Tool des Beratungsunternehmens Accenture zeigt, war KPT im Herbst letzten Jahres in 12 von 42 Prämienregionen unter den drei günstigsten Anbietern.
Nach dem grossen Wachstum habe KPT proaktiv den Austausch mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) gesucht, sagt ein Sprecher. Der gegenseitige Dialog sei sehr konstruktiv gewesen. «Unser Ziel ist es, mittelfristig bis 2027 mehr als eine halbe Million Grundversicherte zu haben und unsere Marktposition in den Top acht zu festigen.» Laut Comparis hatte KPT dieses Jahr 546 100 Grundversicherte (vgl. Tabelle).
CSS mit Zuwachs
CSS hat mit Sicht auf die vergangenen Jahre einen deutlichen Nettozuwachs an Kunden in der Grundversicherung vorzuweisen. Die Gewinne in der letzten Wechselrunde erklärt eine Sprecherin damit, dass der Versicherer 2024 auf kompetitive Prämien in Kombination mit Rabatten bei den alternativen Versicherungsmodellen gesetzt habe.
Die Solvenzzahlen von CSS hätten sich mit dem deutlichen Wachstum der vergangenen Jahre indessen verschlechtert, sagt Thom. Zwischen 2021 und 2023 sei die Solvenz von mehr als 200 Prozent auf 111 Prozent gesunken, was einem Reservenabbau von über 700 Millionen Franken entspreche. Zugewinne auf Kundenseite hätten einen Einfluss auf die Solvenz, sagt die Sprecherin dazu. Mittelfristig verfolge CSS das Ziel, durch eine adäquate Prämienanpassung beziehungsweise ein positives Ergebnis eine Solvenzquote von über 100 Prozent zu erreichen.
Groupe Mutuel kehrt Trend um
Auf Zehn-Jahre-Sicht habe Groupe Mutuel Kundinnen und Kunden in der Grundversicherung verloren, sagt Thom. Die Kasse habe diesen Trend aber in den letzten Jahren umgekehrt. Sie sei bei den Prämien gut aufgestellt und habe auch wesentlich stärker auf das Geschäft mit Zusatzversicherungen gesetzt.
Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte bei dem Online-Vergleichsdienst Comparis, sieht dies ähnlich. Die Kasse sei bei den Prämien gut aufgestellt und könne mit vielen anderen Versicherungen viel mehr in die Neukundengewinnung investieren. Es sei das oberste Ziel, die bestehenden Kunden zu halten, sagt eine Groupe-Mutuel-Sprecherin. Ihr Unternehmen habe dafür den Kundenservice zur strategischen Priorität erklärt.
Concordia gilt als stabil
Concordia hat in der letzten Wechselsaison die Zahl der Versicherten in der Grundversicherung laut Comparis um 11,3 Prozent erhöht. Ein Sprecher zeigt sich zuversichtlich, dass die neuen Versicherten auch langfristig bei dem Versicherer bleiben werden – Concordia habe traditionell eine unterdurchschnittliche Kündigungsquote in der Branche.
Der Versicherer sei finanziell gut aufgestellt und allgemein bekannt für guten Kundenservice, sagt Thom. Je nach Prämienentwicklung werde Concordia im kommenden Jahr aber voraussichtlich nicht alle neuen Versicherten halten können. Laut Schneuwly dürfte der starke Kundenzuwachs den Versicherer nicht in Bedrängnis bringen. Concordia sei in den vergangenen Jahren einer der Anbieter mit den stabilsten Prämien gewesen.
Auch Sanitas habe über die Jahre hinweg Stabilität gezeigt und stetig Kundinnen und Kunden dazugewonnen – 2024 sogar überdurchschnittlich viele, sagt Thom. Das starke Wachstum beeinflusse in geringem Ausmass auch die KVG-Solvenz, gab ein Sprecher an. Sanitas sei aber finanziell gut aufgestellt.
Der Platzhirsch Helsana hat in der Grundversicherung indessen nach starken Abgängen im Jahr davor im vergangenen Jahr ein Netto-Plus von 1000 Versicherten verbucht und damit den Bestand stabilisiert. Wie ein Sprecher ausführt, mussten die Prämien für 2023 aufgrund der Kostenentwicklungen spürbar erhöht werden. Für 2024 habe Helsana dann wieder vergleichsweise moderat kalkulieren können.
Assura nicht mehr günstigste Kasse
Seit 2021 haben sich die Durchschnittsränge der Krankenkassen bei der tiefsten Prämie für Erwachsene massiv verändert. Stark davon betroffen war der ehemalige Preisführer Assura, der laut der Studie auf den durchschnittlichen 10. Rang zurückgefallen ist.
Bei den Prämien sei Assura nicht mehr so attraktiv wie früher, sagt Thom. Eine Assura-Sprecherin sagte dazu, ihr Unternehmen habe die Positionierung als «Billigkasse» aufgegeben und setze stattdessen Prioritäten in den Bereichen Servicequalität und Einfachheit bei der Interaktion mit den Kunden. Seit dem Start dieser neuen Strategie bestehe das Risiko, Kunden zu verlieren, die ausschliesslich nach der niedrigsten Prämie suchten.
Swica verliert Kunden
Im vergangenen Jahr sind bei Swica netto 45 000 Kundinnen und Kunden in der Grundversicherung abgewandert, im Zeitraum 2020 bis 2024 verbucht Swica noch ein Netto-Plus von 9000. Der Versicherer ist bei den Durchschnittsrängen bei der tiefsten Prämie für Erwachsene zurückgefallen – und zwar seit 2021 vom 6. auf den 16. Platz.
Swica habe wohl keine finanziellen Risiken eingehen wollen und habe mit Blick auf die Solvenz vorsichtig agiert, sagt Thom. Angesichts dieser Entwicklung hätte es Swica bei den Abgängen viel härter treffen können. Die Kunden des Versicherers gälten als loyal, Swica werde ein sehr guter Service bescheinigt. Zudem hätten viele Kunden sowohl ihre Grund- als auch ihre Zusatzversicherung bei Swica. Im Zusatzversicherungsgeschäft habe Swica mit den Marktführern CSS und Helsana mithalten können, sagt er.
Erste Mitbewerber seien deutlich unter die 100-Prozent-Solvenzquote gefallen, sagt ein Swica-Sprecher. Sein Versicherer wolle über dieser Grenze bleiben und habe sich deshalb entscheiden, für 2024 kostendeckende Prämien zu verlangen. «Dass viele Mitbewerber in der gleichen Situation weiterhin Reserven abbauen und der Regulator dies zulässt, hat uns überrascht.» Er gehe aber davon aus, dass das Swica-Angebot für 2025 im Vergleich attraktiver sein werde, weil viele Mitbewerber den Schritt hin zu kostendeckenden Prämien erst noch vollziehen müssten, um ihre Solvenz nicht zu gefährden.
Dynamische kleinere Krankenkassen
Thom weist darauf hin, dass auch bei kleineren Krankenkassen eine dynamische Marktentwicklung zu beobachten sei. Als Beispiele nennt er Kassen wie EGK, Agrisano oder Aquilana. 63 Prozent der Befragten in der Studie könnten sich vorstellen, zu einem kleineren Versicherer zu wechseln – vor allem, wenn dieser günstige Prämien anbietet. Allerdings gebe es bei manchen kleineren Anbietern kurzfristige Prämienausschläge sowie Herausforderungen mit Solvenzquote und Ressourcen. Langfristig gebe es solche auch bei den regulatorischen Anforderungen und den nötigen IT-Investitionen.
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