Roche und Novartis harren in Russland aus. Sie begründen dies mit ihrer Verantwortung gegenüber schwerkranken Patienten. Doch das Risiko, dass sie damit auch die russische Kriegsmaschinerie am Laufen halten, ist gross.
In Russland herrscht Kriegswirtschaft. Für die Versorgung der russischen Truppen im Ukraine-Krieg tut der Kreml alles. So arbeiten russische Rüstungsbetriebe rund um die Uhr, um zusätzliche Waffensysteme und Munition für den Kriegseinsatz herzustellen. Das kostet enorme Summen. Wachsende Teile des russischen Staatsbudgets sind denn auch für die Finanzierung des Militär- und Sicherheitsapparats des Landes bestimmt.
Der Kreml kassiert mit
Vor diesem Hintergrund müssen sich Schweizer Unternehmen gut überlegen, ob sie in Russland noch aktiv sein wollen. Wer weiterhin Umsätze im russischen Markt erwirtschaftet, finanziert via Mehrwert- und Ertragssteuern die Kriegsmaschinerie des Kremls mit. Dasselbe gilt für die Löhne von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ebenfalls besteuert werden. Und Firmen, die ihre Präsenz in Russland aufrechterhalten, müssen auch jederzeit damit rechnen, dass Beschäftigte, die sie mit grossem Aufwand ausgebildet haben, von Militärbehörden zum Kriegseinsatz eingezogen werden.
Wegen der vielfältigen Wirtschaftssanktionen, die gegen Russland verhängt worden sind, hat sich für die meisten Schweizer Unternehmen die Frage, ob man weiterhin im russischen Markt tätig sein will, allerdings von selbst beantwortet. Firmen aus zahlreichen Branchen wie der Maschinenbau-, Fahrzeug- und Elektronikindustrie können sowieso nicht mehr nach Russland liefern, weil sie Gefahr laufen, dass ihre Produkte ausser für zivile auch für militärische Zwecke verwendet werden. Der Export sogenannter Dual-Use-Güter ist streng untersagt.
Doch keine Regel ohne Ausnahme. Vom Sanktionsregime weiterhin ausgenommen sind Pharma- und andere Gesundheitsprodukte ebenso wie Nahrungsmittel.
Standhafte Medikamentenhersteller
Die Schweizer Pharmaindustrie ist bei ihren Russland-Geschäften bis anhin erstaunlich standhaft geblieben. Gefragt, weshalb man die Lieferungen nach Russland nicht freiwillig eingestellt habe, berufen sich die Firmen auf ihre Verantwortung gegenüber Patienten. Man wolle schwerkranken Menschen in Russland weiterhin Zugang zu lebensrettenden und unentbehrlichen Medikamenten sowie Diagnostikprodukten ermöglichen, teilt Roche mit.
Beinahe identisch fällt die Begründung des anderen Schweizer Branchenschwergewichts Novartis aus: «Wir setzen uns dafür ein, Patienten in allen Ländern, in denen wir tätig sind, Zugang zu unseren Arzneimitteln zu bieten.»
Die gesamten Warenexporte der Schweiz nach Russland haben im Zuge der Wirtschaftssanktionen deutlich nachgegeben. Sie bewegten sich im vergangenen Jahr mit 2,6 Milliarden Franken fast ein Viertel unter dem Stand von 2021. Die Ausfuhren der Pharmaindustrie nahmen im gleichen Zeitraum aber zu. Laut den Zahlen des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit wurden 2022 und 2023 chemisch-pharmazeutische Erzeugnisse im Gesamtwert von 2,3 beziehungsweise 2,1 Milliarden Franken nach Russland ausgeführt. 2021 waren es erst knapp 1,8 Milliarden Franken.
Dank ihrer Sonderstellung steigerte die Pharmabranche ihren Anteil an den gesamten Schweizer Exporten nach Russland wertmässig auf über 80 Prozent. Vor Kriegsausbruch machten chemisch-pharmazeutische Erzeugnisse jeweils nur ungefähr die Hälfte des Gesamtvolumens aus.
Im weltweiten Vergleich spielten Exportgeschäfte mit Russland für Schweizer Medikamentenhersteller allerdings weiterhin nur eine marginale Rolle. So entfielen auch 2022 und 2023 weniger als 2 Prozent ihrer gesamten Ausfuhren von je über 130 Milliarden Franken auf den russischen Markt. Wesentlich bedeutsamer für die Schweizer Pharmaindustrie sind die Absatzmärkte in der EU sowie die USA und China.
Schweizer Pharmaprodukte für russische Soldaten?
Je länger der Kreml den Krieg mit der Ukraine fortsetzt, desto mehr geraten nun auch die Pharmafirmen unter Rechtfertigungsdruck. Solange nur Krebspatienten oder Betroffene anderer schwerer Krankheiten von den Lieferungen profitieren, dürften die Pharmaunternehmen selbst bei scharfen Kritikern der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland auf eine gewisse Nachsicht stossen. Etwas anderes ist es, wenn russische Militärangehörige auf Behandlungen mit Therapeutika westlicher Hersteller zählen können.
Roche betont, bereits zu Beginn des Kriegs Lieferungen an militärische Gesundheitseinrichtungen eingestellt zu haben. Auch die russische Tochterfirma des Generikaherstellers Sandoz beteiligt sich laut eigenen Angaben nicht an Ausschreibungen von Militärkrankenhäusern oder vom Verteidigungsministerium.
CSL Behring hält sich bedeckt
Das Unternehmen CSL Behring hat den Hauptsitz zwar in Australien, betreibt aber in Bern eines seiner grössten Werke. 1800 Mitarbeiter stellen dort Medikamente aus Blutplasma her. In der Fabrik werden aus Plasma vorab von gesunden Spendern aus Deutschland und den USA Immunglobuline und Albumin produziert. Während die Immunglobuline besonders bei Immuntherapien gegen Krebs Verwendung finden, kommt Albumin ausser bei onkologischen Leiden auch bei Patienten zum Einsatz, die einen hohen Blutverlust wegen Verletzungen erlitten haben oder unter schweren Verbrennungen leiden.
Albumin ist so gesehen auch ein wichtiges Therapeutikum zur Behandlung verwundeter Soldaten. Zur Frage, ob Massnahmen ergriffen worden seien, um die Verwendung bei russischen Militärangehörigen zu verhindern, wollte CSL Behring keine Auskunft geben. Der Konzern lehnt es generell ab, sich zu seinen Aktivitäten in Russland im Detail zu äussern, und verweist dabei auf «kommerzielle Gründe».
Die Zollstatistik zu den einzelnen Kategorien exportierter Pharmaprodukte deutet aber darauf hin, dass zeitgleich mit dem Ausbruch des Kriegs im ersten Quartal 2022 die Ausfuhren bei Therapeutika aus Blut von der Schweiz nach Russland versiegten. Den Löwenanteil machen seither immunologische Erzeugnisse und Toxine aus, die besonders bei Krebsbehandlungen zur Anwendung kommen, sowie Vakzine. Die Schwergewichte Roche und Novartis sind beide stark auf Medikamente für den onkologischen Bereich ausgerichtet.
Ähnlich wie Roche und Novartis hält CSL Behring an Lieferungen von Medikamenten nach Russland fest, die der Behandlung von Patienten mit seltenen und schweren Krankheiten dienen. Auf Nachfrage sagt das Unternehmen, sämtliche Werbeaktivitäten in Russland eingestellt und keine weiteren Investitionen in die dortige Marktentwicklung getätigt zu haben.
Sandoz verliert einen bedeutsamen Absatzmarkt
Auch Novartis und Sandoz bewerben ihre Produkte nicht mehr. Wie ein Sprecher von Sandoz klarstellt, seien jegliche Werbeausgaben seit der Umstellung Russlands auf Kriegswirtschaft höchst problematisch geworden. Da sich die russischen Medien fast nur noch in Staatsbesitz befänden, drohe jeder Rubel, den man für Werbung aufwende, auf direktem Weg das Militärbudget aufzubessern. Man wolle auf keinen Fall Sponsor der russischen Aggression sein.
Sandoz hat laut eigenen Angaben die Geschäfte in Russland «auf ein Minimum» heruntergefahren und sich insbesondere aus dem Geschäft mit nichtrezeptpflichtigen Arzneimitteln verabschiedet. Noch vor wenigen Jahren zählte Russland für das Basler Unternehmen zu den fünf umsatzstärksten Absatzmärkten. Mittlerweile sei der russische Anteil am Gesamtumsatz auf einen niedrigen einstelligen Prozentwert gesunken.
Stada Arzneimittel vollzieht Kehrtwende
Auch bei der ehemaligen Muttergesellschaft von Sandoz, Novartis, hatte man bis vor wenigen Jahren hohe Erwartungen an den russischen Markt. Erst 2017 wurde ein grosses neues Produktionswerk in St. Petersburg in Betrieb genommen. Inzwischen würde der Pharmakonzern die Fabrik wohl lieber heute als morgen loswerden.
Wie radikal sich die Bedingungen für westliche Medikamentenanbieter in Russland verändert haben, zeigt auch das Beispiel des deutschen Generikaherstellers Stada Arzneimittel. Die Firma aus dem hessischen Bad Vilbel verfolgte ehrgeizige Ziele und übernahm noch vor vier Jahren für 660 Millionen Dollar das russische Produktportfolio des japanischen Pharmakonzerns Takeda. Per Ende vergangenen September wurden die russischen Aktivitäten mitsamt zwei Fabriken in eine Luxemburger Holdingfirma ausgegliedert.
Die Finanzinvestoren Bain und Cinven, in deren Eigentum sich das Unternehmen seit 2017 befindet, hatten keine andere Wahl. Sie drängen seit längerem auf einen Exit, und das Russland-Standbein stand ihnen dabei zunehmend im Weg.
Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Dienstagabend mit Verweis auf gut informierte Kreise berichtete, gibt es offenbar mehrere Interessenten, die ebenfalls aus dem Private-Equity-Bereich stammen und bereit wären, Bain und Cinven Stada abzukaufen. Als Alternative wird eine Rückkehr des Generikaherstellers an die Börse genannt.
Ohne die toxischen Russland-Aktivitäten scheint Stada zurück im Spiel zu sein. Ob die bisherigen Eigentümer den geforderten Preis von angeblich 11 Milliarden Euro durchsetzen können, wird sich zeigen. 2017 hatten sie Stada für 5,3 Milliarden Euro übernommen.
Mitarbeit: Florian Seliger.