Nitazene – synthetisches Heroin – sind bis zu zehnmal so stark wie Fentanyl. Sie gelangen immer häufiger nach Europa. Noch nie konnten Drogenkonsumenten so günstig so viele verschiedene Drogen kaufen.
Wenn die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht ihren jährlichen Bericht vorstellt, gibt es Substanzen zu entdecken, von denen die meisten noch nie gehört haben. Das macht diesen Papiertiger vermutlich zu einem der interessanteren Dokumente aus der EU-Amtsstube. «Pink Cocaine»? Nitazene? Das Erste ist nicht etwa das, was es dem Namen nach vorgibt zu sein. Und das Zweite ist noch viel gefährlicher.
Fentanyl, das synthetische Opioid, dessen Konsum in den Vereinigten Staaten seit Jahren für eine Massenverelendung von Drogenabhängigen und rund 70 000 Tote pro Jahr sorgt, kommt im Bericht auf 17 Seiten vor. Daraus, aber auch aus dem Text lässt sich schliessen, dass diese Substanz, in den USA breit gegen Schmerzen verabreicht, in Europa noch kein grosses Thema ist. Wie die Verfasser des Berichts schreiben, sind von den rund 6300 erfassten Drogentoten nur wenige auf Fentanyl zurückzuführen. 2022 gab es 163 Personen, die an einer Fentanyl-Überdosis starben.
Die EU-Drogenexperten warnen aber vor einem anderen synthetischen Opioid, das bis zu zehnmal so stark ist wie Fentanyl und eine andere chemische Struktur aufweist: Nitazene. Diese waren 2023 vor allem im Baltikum, aber auch in Irland und Frankreich für einen starken Anstieg von Todesfällen verantwortlich, wird vermutet. Nitazene würden in Pulverform zunehmend Heroinkonsumenten als echtes Heroin verkauft oder Heroin beigemischt. Nur kleine Mengen könnten dazu führen, dass Menschen an einer Überdosis stürben.
Die Taliban-Herrschaft und ihre Auswirkung auf Europa
Die EU-Drogenexperten warnen davor, dass der Konsum von Nitazenen in Europa in den kommenden Jahren noch zunehmen könnte. Denn seit 2022 darf in Afghanistan kein Mohn mehr angebaut werden, aus dem Opium gewonnen und das dann zu Heroin weiterverarbeitet wird. Dieses Anbauverbot unter der Taliban-Herrschaft hat sich bisher nicht auf den europäischen Drogenmarkt ausgewirkt, noch nicht.
Die Beobachtungsstelle geht davon aus, dass im letzten Jahr Heroin aus Opium hergestellt wurde, das sich noch in Lagern befand. Die Lagerbestände könnten allerdings bald aufgebraucht sein. So sei damit zu rechnen, dass Nitazene, in Labors in Asien hergestellt, künftig vermehrt nach Europa eingeführt und hier an Heroinsüchtige verkauft werden.
Die Drogenexperten fordern die europäischen Staaten schon jetzt auf, zu handeln und Vorkehrungen zu treffen. Ein Anstieg des Konsums dieses «synthetischen Heroins» könnte bald zu mehr Drogentoten führen. Bisher war «natürliches» Heroin das am meisten konsumierte illegale Opioid in Europa. Opioide sorgen in den Ländern Europas für drei Viertel der Todesfälle verursacht durch Drogenkonsum.
Cannabis und Kokain werden am meisten konsumiert
Cannabis und Kokain bleiben die am meisten konsumierten illegalen Substanzen in Europa. Ihre Verfügbarkeit und Qualität sind auf einem Höchststand, die Preise auf einem verhältnismässig tiefen Niveau stabil. Drogen kommen längst nicht nur über die grossen Häfen wie Rotterdam oder Antwerpen nach Europa, sondern werden vermehrt über viele kleine Häfen gedealt. Spanien und die Türkei scheinen hier Einfallstore zu sein. In diesen Ländern ist die Anzahl Konfiszierungen seit 2020 stark angestiegen.
Was europaweit weiter Sorge bereitet: Konsumenten kaufen vermehrt Substanzen, deren Inhalte sie nicht kennen. In der Namensgebung und im Marketing zeigt sich die vereinigte Drogenmafia kreativ: «Pink Cocaine» ist zwar manchmal rosafarben oder kommt sonst poppig daher. Kokain ist da aber keines drin, sondern das Halluzinogen Ketamin und MDMA.
Drogenkombinationen und neuartige synthetische Substanzen sind für Konsumenten nicht nur gefährlich, sie sorgen auch dafür, dass Ärzte im Notfall nicht wissen, wie sie Konsumenten unter anderem bei Überdosis behandeln sollen.







