Dem EU-Parlament gehören künftig mehr europaskeptische und nationalistische Abgeordnete an denn je. Doch von einer gemeinsamen Strategie sind die rechten Parteien weit entfernt. Ob sich Meloni und Le Pen verbünden oder ob die AfD wieder salonfähig wird, ist offen.
Es sieht auf den ersten Blick nicht schlecht aus für Europas Parteien vom rechten Rand. In grossen Mitgliedstaaten wie Frankreich, Deutschland und Italien haben sie bei den Europawahlen kräftig zugelegt. Zwar schnitten euroskeptische und rechtsnationalistische Kräfte in vielen Ländern des Ostens und Nordens des Kontinents weniger stark ab als erwartet. Der vielbeschworene Rechtsruck, so zeigt sich, ist kein gesamteuropäisches Phänomen.
Dennoch gehören dem neuem EU-Parlament mehr Abgeordnete rechts von der zentristischen Europäischen Volkspartei (EVP) an denn je. Fast ein Viertel der 720 Sitze fällt auf sie. Das wirft Fragen auf für die nächste Legislaturperiode in Brüssel und Strassburg. Werden die Volksvertreter von Rechtsaussen, die sich bisher vor allem in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und der Fraktion Identität und Demokratie (ID) sammelten, künftig grösseren Einfluss auf die EU-Politik nehmen?
Meloni bleibt ambivalent
Eine Bündelung der Kräfte wäre dafür hilfreich. Schon seit Jahren gibt es Anläufe, die wichtigsten EKR- und ID-Parteien in einer «Supergruppe» zu vereinen. Vor den Europawahlen nährten Äusserungen von Marine Le Pen, der Frontfrau des französischen Rassemblement national (RN), und Giorgia Meloni, der italienischen Ministerpräsidentin und Parteichefin der Fratelli d’Italia, Spekulationen, dass es mit einer solchen Allianz dieses Mal ernst werden könnte.
Gegenüber einer italienischen Zeitung hatte Le Pen ausrichten lassen, sie sei bereit für ein rechtes Grossbündnis. Kurz darauf gab Meloni ein Interview und sprach von der Notwendigkeit, Europas Linke «in die Opposition zu schicken». Das wurde als Bereitschaft interpretiert, sich eine Zusammenarbeit mit Le Pen mindestens warmzuhalten. Doch zugleich blieb die Machtpolitikerin Meloni, die gute Verbindungen zur Kommissionschefin Ursula von der Leyen unterhält, bewusst ambivalent.
Ein Insider im Parlament hält die «Superfraktion» für eine Schimäre. Le Pens Freundschaft mit Matteo Salvini, dem Chef der italienischen Lega, der mit Meloni über Kreuz sei, und nicht zuletzt die familiäre Fehde zwischen Le Pen und ihrer Nichte, Marion Maréchal, sprächen klar dagegen, sagt er. Maréchal ist verheiratet mit Vincenzo Sofo, einem Europaabgeordneten der Fratelli. Und politisch zögen die Transatlantikerin Meloni und die Putin-Versteherin Le Pen sowieso nicht an einem Strang.
Geht es um Themen wie die Migration oder die Rechtsstaatlichkeit, gibt es keine Unterschiede zwischen den EKR (wo die Fratelli und die polnische PiS-Partei den Ton angeben) und der ID-Fraktion (in der das Rassemblement dominiert). Das zeigt auch ein Blick auf das nahezu identische Abstimmungsverhalten der beiden Fraktionen bei diesen Fragen. Anders sieht das bei der Haltung zu Russland und zur Nato aus, wo sich die EKR bisher konsequent auf die Seite der Ukraine schlugen, während die ID mit latent russlandfreundlichen Erklärungen auffiel.
Und doch könnten nun ausgerechnet die 11 Europaabgeordneten der ungarischen Regierungspartei Fidesz zur EKR dazustossen, wie in Brüssel zu hören ist. Die Partei von Viktor Orban gehörte im alten Parlament zu den Fraktionslosen, seit sie vor drei Jahren mit der EVP brach. Die EKR, die bei der Europawahl 73 Sitze gewann, würde in diesem Fall auf 84 Sitze anschwellen und so zur drittstärksten Kraft im neuen Parlament werden – noch vor den Liberalen. Allerdings haben andere, Orban-kritische Mitglieder wie die tschechische Bürgerpartei schon angekündigt, die Fraktion dann zu verlassen.
Ein Opfer für Le Pen
Auch die AfD ist seit der Kontroverse um ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah fraktionslos. Krah hatte in einem Interview die Verbrechen der Waffen-SS heruntergespielt und damit den Zorn Le Pens auf sich gezogen. Auf ihr Betreiben hin wurde Mitte Mai die gesamte AfD-Delegation aus der ID geworfen. In das neue Europaparlament zieht die deutsche Rechtspartei nun mit 15 Abgeordneten ein. Und gleich als ersten Amtsakt nach der Wahl, gewissermassen um Le Pen zu versöhnen, schlossen ihre Abgeordneten Krah am Montag aus der Delegation aus.
In einem Brief an die Chefs der anderen Delegationen bittet die AfD, wieder in die ID aufgenommen zu werden. Man habe Verständnis für den Rauswurf, heisst es in dem Schreiben, das der NZZ vorliegt. Krah habe den Partnern während des Wahlkampfes Schaden zugefügt. Doch der Wahlkampf sei nun vorbei, und die AfD setze sich für die Fortführung der ID-Gruppe ein, «die wir 2019 gemeinsam gegründet haben».
Aus Paris, so ist zu hören, gibt es bis anhin keine Reaktion auf den Brief. Auch ein Treffen der ID-Spitzen am Mittwoch in Brüssel verlief eher unerfreulich für die AfD. Le Pen, Salvini, der Niederländer Geert Wilders, der FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky und andere Parteichefs, die an den Gesprächen teilnahmen, entschieden sich vorerst dagegen, die Deutschen wieder in die Fraktion aufzunehmen.
Keine Reue zeigt Krah, der seinen Rauswurf sowieso für einen strategischen Fehler hält, wie er der Presse sagte. Man solle sich als deutsche Partei in Brüssel von ausländischen Parteien nicht die Personalentscheidungen diktieren lassen. Wie wird er künftig Politik im EU-Parlament betreiben? Zuletzt sah es nach Totalopposition aus. Nur wenige Tage vor der Wahl versuchte er, eine dritte, noch weiter rechts stehende Fraktion zu schmieden, die sie in Brüssel die «Hooligan-Fraktion» nannten. Mit dabei gewesen wären etwa die rechtsradikale polnische Konfederacja, die Kleinstpartei Alternative für Schweden oder die Pro-Putin-Truppe Wiedergeburt aus Bulgarien.