Wer in seiner Familien-AG angestellt ist, zahlt Beiträge an die Arbeitslosenversicherung, hat bei Erwerbslosigkeit aber nur beschränkten Zugang zu ALV-Geldern. Der Nationalrat will dies nun ändern.
Die Arbeitslosenversicherung (ALV) versichert nur Angestellte. Selbständige zahlen keine ALV-Beiträge und haben bei Erwerbslosigkeit oder Kurzarbeit auch keinen Anspruch auf ALV-Gelder. Grund: Selbständige können ihre Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sozusagen selber bestimmen, weshalb die Gefahr eines Missbrauchs der ALV gross wäre.
Doch es gibt eine Gruppe von Erwerbstätigen, die auf den ersten Blick zwei schlechte Welten kombiniert: Diese Personen zahlen monatliche ALV-Beträge, aber im Fall einer Arbeitslosigkeit haben sie nur beschränkten Anspruch auf ALV-Gelder. Typische Vertreter dieser Gruppe sind Besitzer oder Teilhaber einer Familien-AG. Formal sind diese Personen angestellt (bei ihrer eigenen Firma) und müssen deshalb ALV-Beiträge zahlen. Doch faktisch sind das selbständige Unternehmer. Im Fachjargon geht es um «arbeitgeberähnliche Angestellte». Laut Bundesschätzung könnte dies etwa 6,4 Prozent aller Arbeitnehmer betreffen, was rund 300 000 Personen entspricht.
Das geltende Gesetz schliesst Personen, die als Gesellschafter, Finanzbeteiligte oder Mitglied des obersten Entscheidungsorgans «die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können», zwecks Verhinderung von Missbräuchen ausdrücklich vom Anspruch auf Kurzarbeitsgelder aus. Das Gleiche gilt für den mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt dieser Ausschluss in vielen Fällen auch für reguläre Arbeitslosengelder.
Bisher starke Einschränkungen
Anspruch auf Arbeitslosengelder haben arbeitgeberähnliche Angestellte zwar im Prinzip schon jetzt, aber im Vergleich zu «normalen» Angestellten nur unter strengeren Bedingungen. Zum Beispiel wenn die Betroffenen ihre Stellung definitiv aufgegeben haben (etwa wegen Verkauf oder Liquidation der Firma) und sie mindestens sechs Monate in einem anderen Betrieb ohne arbeitgeberähnliche Stellung erwerbstätig waren.
Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt erachtet die Kombination von voller Beitragspflicht mit nur beschränktem Anspruch auf Arbeitslosengelder als ungerecht. Er lancierte deswegen eine parlamentarische Initiative, die für arbeitgeberähnliche Angestellte einen ähnlichen Anspruch auf Arbeitslosen-Gelder fordert wie für alle anderen Angestellten.
Daraus entstand ein konkretes Gesetzesprojekt, das am Donnerstag in den Nationalrat kam. Laut dem Gesetzesvorschlag sollen künftig arbeitgeberähnliche Angestellte Anspruch auf 70 Prozent des versicherten Lohns haben, wenn sie die normalen Anspruchsvoraussetzungen wie Arbeitslosigkeit, Beitragszeit und Vermittlungsfähigkeit erfüllen, nicht mehr im eigenen Betrieb sind und zuvor mindestens zwei Jahre lang in jenem Betrieb tätig waren. Und wer während der Rahmenfrist für den Leistungsbezug oder innert drei Jahren danach wieder im gleichen Betrieb angestellt wird, muss die erhaltenen ALV-Gelder zurückzahlen. Die vorgeschlagenen Regeln sollen auch für (ehemals) mitarbeitende Ehegatten gelten.
Eine Ausnahme von der Vorgabe zur mindestens zweijährigen Tätigkeit im betroffenen Betrieb ist vorgesehen für «Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen». Damit sind vor allem Berufe im Kultursektor gemeint.
Ablehnung im Bundesrat
Der Initiant Silberschmidt nannte im Nationalrat drei Beispiele von Falltypen, bei denen Betroffene nach geltendem Recht nicht rasch ALV-Gelder bekommen: Man bleibt in einem laufenden Konkursverfahren bis zur Liquidation im Verwaltungsrat der Firma; man hat einen Konflikt mit dem Ehepartner und bleibt bis zum Vollzug der Scheidung in der Firma; man hat eine Minderheitsbeteiligung und wird vom Mehrheitsaktionär entlassen, doch bis zum Verkauf der Minderheitsanteile kann es eine Weile dauern.
Der Bundesrat war nicht glücklich über das Gesetzesprojekt. Er lehnte in seiner Stellungnahme von diesem April die Reform ab und warnte dabei vor einer signifikanten Erhöhung des Missbrauchsrisikos – etwa indem die ALV Personen entschädigen müsse, die zwar nicht mehr im Betrieb seien, aber zum Beispiel als Mitgesellschafter immer noch massgebenden Einfluss ausüben könnten.
Die Regierung warnte zudem vor bedeutendem administrativem Zusatzaufwand für die Kontrollen. Man könnte auch anfügen, dass arbeitgeberähnliche Angestellte ihren Status in Kenntnis der Spielregeln frei gewählt haben und in anderen Bereichen Vorteile geniessen – wie die Kombination des Unternehmertums mit beschränkter Haftung und unter Umständen steuerliche Vorteile.
Doch im Nationalrat drang die Regierung mit ihrer Skepsis nicht durch. Nur die SVP lehnte eine Gesetzesrevision grundsätzlich ab. Eine Allianz von SVP und Mitte wollte allerdings die mutmassliche Benachteiligung der arbeitgeberähnlichen Angestellten statt durch Erweiterung der Ansprüche auf ALV-Gelder durch ein Streichen der Verpflichtung auf ALV-Beiträge ausmerzen. Ein Antrag dazu scheiterte aber mit 90 Ja gegen 101 Nein-Stimmen. Die Gegner hatten betont, dass bei Erfolg des Antrags die Betroffenen ihre Absicherung gegen Arbeitslosigkeit verlieren würden und ein erheblicher administrativer Zusatzaufwand die Folge wäre. Zudem würde die ALV pro Jahr Beiträge von etwa 500 Millionen Franken verlieren.
Mehrkosten von 300 Millionen?
Auch die vom Nationalrat favorisierte Version wird die ALV belasten, obwohl bei den Kurzarbeitsentschädigungen wegen den besonders grossen Missbrauchsgefahren keine Erleichterungen vorgesehen sind. Unter der Annahme, dass die arbeitgeberähnlichen Angestellten im Mittel gleich viel ALV-Gelder beziehen wie «normale» Angestellte, könnte dies Zusatzkosten für die ALV von etwa 300 Millionen Franken pro Jahr bedeuten. Wegen der Schätzunsicherheiten und der Ungewissheit über das Ausmass von Verhaltensänderungen sind aber deutliche Abweichungen in beide Richtungen gut möglich. Das Gesetzesprojekt geht nun in den Ständerat.