Der russische Machthaber reist am Dienstag nach Nordkorea. Wladimir Putin braucht Rüstungsgüter für den Krieg gegen die Ukraine. Aber auch Kim Jong Un hat eine lange Wunschliste.
1. Worum geht es bei dem Staatsbesuch?
Offiziell erwidert der russische Präsident Wladimir Putin den Besuch des nordkoreanischen Führers Kim Jong Un vom September 2023. Damals kamen die beiden Diktatoren im russischen Weltraumzentrum Wostotschny zusammen. Dass Putin der Einladung Kims schon ein halbes Jahr später Folge leistet, hängt wohl mit der wachsenden Bedeutung des bilateralen Verhältnisses zusammen.
Grund dafür ist der Ukraine-Krieg. Kim sicherte dem früheren kommunistischen Bruderland nach dem Überfall auf die Ukraine seine bedingungslose Unterstützung zu. Als Putin die «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk im Donbass als Staaten anerkannte, zog Nordkorea beflissen nach. Bereits nach der Annexion der Krim solidarisierte sich Kim mit Putin. Trotz Dementi aus Moskau und Pjongjang ist davon auszugehen, dass Nordkorea seine Verbundenheit zu Russland mit Waffenlieferungen unterstreicht. Putin sagte während des letzten Gipfels mit Kim, sein Gast sei an Raketentechnik «sehr interessiert».
2. Setzt Russland nordkoreanische Waffen gegen die Ukraine ein?
Daran bestehen praktisch keine Zweifel mehr. Im Januar 2024 identifizierte Geschossüberreste in der ukrainischen Stadt Charkiw stammten von einer nordkoreanischen Rakete. Zu diesem Schluss kamen die Waffenexperten der britischen Conflict Armament Research. Manche der gefundenen Raketenteile sind mit einem Datum versehen. Die Angaben legen nahe, dass die Lieferung der ballistischen Rakete mit einer vermuteten Reichweite von 450 bis 700 Kilometern nach dem russischen Überfall auf die Ukraine erfolgt ist.
Über Liefermengen gibt es keine belastbaren Angaben. Gemäss der Defence Intelligence Agency (DIA) – dem Geheimdienst der amerikanischen Streitkräfte – soll Russland Dutzende von ballistischen Raketen aus Nordkorea erhalten haben. Wie die beiden nachfolgenden Bilder aus dem DIA-Bericht vom Mai illustrieren, taucht derselbe Raketentyp, wie er in nordkoreanischen Fabriken zu sehen ist, im Kriegsgebiet auf.
Abgesehen von Raketen soll Nordkorea mindestens drei Millionen Einheiten Artilleriemunition geliefert haben. Zudem bemüht sich Russland auch um Panzerabwehrwaffen und Mehrfachraketenwerfer. Nordkorea stützt sich primär auf sowjetische Waffensysteme. Daher passen Kims Rüstungsgüter zum russischen Arsenal. Für die Gütertransporte werden Zug, Containerschiffe und Flugzeuge eingesetzt. Auswertungen von Satellitenbildern (vgl. unten) zeigen, dass vier Cargo-Schiffe vom nordkoreanischen Hafen Rajin aus regelmässig den nahe gelegenen ostsibirischen Militärhafen Dunai anlaufen.
3. Wie leistungsfähig sind die nordkoreanischen Waffen?
Informationen aus ukrainischen Militärquellen deuten auf massive Qualitätsprobleme hin. Ein Grossteil der vergleichsweise billigen Raketen soll fehlerhaft sein. Rund die Hälfte der Raketen, die auf ukrainische Städte abgeschossen würden, explodiere frühzeitig, berichten ukrainische Militärs. Dennoch haben die Waffen ein erhebliches Zerstörungspotenzial, zumal Nordkorea offenbar in grossen Mengen liefern kann.
4. Welche Gegenleistungen bekommt Kim Jong Un?
Nordkorea kämpft chronisch mit gravierenden Versorgungsproblemen und lässt sich seine Waffenlieferungen mit Nahrungsmitteln und Energieträgern entgelten. Auf Kims Wunschliste dürften zudem atombetriebene U-Boote stehen. Es gilt aber als fraglich, ob Moskau bereit wäre, diese Technologie mit Pjongjang zu teilen. Unterstützung habe Nordkorea bei seinem Programm für Spionagesatelliten erhalten, erklärte der südkoreanische Geheimdienst. Pjongjang vermeldete im November 2023 den erfolgreichen Start eines Satelliten. Das untenstehende Bild stammt laut Militärangaben aus Seoul von einem gescheiterten Versuch im Mai 2024.
Die mutmasslichen Rüstungsgeschäfte zwischen Moskau und Pjongjang verletzen das Sanktionsregime gegenüber Nordkorea. Bis vor kurzem war ein hochspezialisiertes Uno-Gremium Sanktionsbrechern in Russland, China und zahlreichen weiteren Ländern auf der Spur und baute dadurch politischen Druck auf. Mit einem Veto verhinderte Russland aber, dass die Uno dieses Mandat weiterführen kann.
5. Was bedeutet Nordkoreas enges Verhältnis zu Russland für China?
Peking beobachtet Kims Avancen gegenüber Putin mit Argwohn. Man befürchtet einen Bedeutungsverlust. Als nach dem Kollaps der Sowjetunion die Geldströme aus Moskau versiegten, sprang China in die Bresche. Die Volksrepublik sicherte der Kim-Dynastie mit Wirtschaftshilfe das Überleben und wurde zum engsten Partner Nordkoreas. Jetzt muss China davon ausgehen, dass die Führung in Pjongjang wieder auf eine Taktik aus der Zeit des Kalten Kriegs zurückgreift: Die beiden Grossmächte gegeneinander ausspielen, um dadurch das Maximum für sich herauszuholen.
Gleichzeitig gibt es Hinweise, dass China die nordkoreanischen Waffenlieferungen nach Russland indirekt unterstützt. Unlängst war auf Satellitenbildern ein russisches Frachtschiff zu sehen, das in einem chinesischen Hafen repariert wurde. Die «Angara» soll mehrfach Rüstungsgüter aus Nordkorea transportiert haben.