Die Windschlüpfigkeit von Fahrzeugen ist massgeblich für den Verbrauch verantwortlich – und damit auch bei E-Autos für die Reichweite. Ein Rückblick auf mehr als 120 Jahre Entwicklung.
Wie ein Fremdkörper ragt die riesige Kanzel aus der Karosserie heraus. Doch was so unelegant aussieht, hat einen wichtigen technischen Hintergrund: eine möglichst gute Aerodynamik zu erzielen. Die Jaray-Stromlinien-Limousine von 1922 und der Rumpler-Tropfenwagen von 1921 sind zwar nicht die ersten Autos, die windschlüpfig gebaut werden. Aber sie führen erstmals die wissenschaftliche Idee von Aristoteles und Archimedes sowie den Gedanken an die Kraft des Windes in ein Automobil über: Mit möglichst wenig Angriffsfläche und einer langen Karosserie fliesst die Luft ums Fahrzeug.
Windschlüpfigkeit und cw-Wert
Der cw-Wert ist eine Angabe für die Aerodynamik eines von Luft oder einer Flüssigkeit umströmten Körpers. Bei Automobilen ist der cw-Wert ein Mass für ihre Windschlüpfigkeit. Der Wert lässt sich bei Fahrzeugen aus der Stirnfläche, der Dichte der Luft und dem Strömungswiderstand errechnen. Je geringer der cw-Wert, desto besser für die Effizienz. Werte unterhalb 0,25 gelten derzeit als besonders gut.
Bei 100 km/h ist der Luftwiderstand der grösste Fahrwiderstand. Er wächst im Quadrat zur Geschwindigkeit. Das bedeutet: Bei doppelter Geschwindigkeit vervierfacht sich der Luftwiderstand.
Besonders strömungsgünstig sind glatte und langgezogene Flächen ohne Kanten, an denen der Luftstrom abreissen und zu Verwirbelungen führen kann.
Damals war die Erkenntnis revolutionär, heute ist sie zentral. Denn je geringer der Luftwiderstand ausfällt, desto weniger Energie benötigt der Antrieb für eine höhere Geschwindigkeit. Edmund Rumpler, Paul Jaray und Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld entwickelten daher kurz nach 1900 aerodynamische Konzepte für Autos und passten insbesondere die Fahrzeugkabinen dem Luftstrom an. Erstaunliche Ideen mit tropfenförmigen Vehikeln entstanden, inspiriert aus der Natur und der noch jungen Luftfahrt.
Auch wenn die Grundprinzipien schon lange erforscht sind, setzen sie immer noch nicht alle Hersteller um. Die Geschichte der Aerodynamik lässt sich in drei verschiedene Abschnitte unterteilen. Das Audi Museum Mobile in Ingolstadt widmet sich noch bis Ende Juni 2024 mit der Ausstellung «Windschnittig» der Aerodynamik zwischen 1900 und 1945 und ab dem 27. Juli mit der Ausstellung «Form vollendet» der Aerodynamik im Automobildesign ab 1945 bis heute.
«Vor rund 100 Jahren war das Auto als Nachfolger der Kutsche eine reine Entwicklung von Ingenieuren. Aerodynamik und Design spielten keine Rolle», sagt Paolo Tumminelli, Professor für Designkonzepte an der Köln International School of Design. Erst als Flugzeugingenieure auf die Idee kamen, das Auto für höhere Geschwindigkeiten strömungsgünstig zu bauen, änderte sich bei einigen Fahrzeugen die Form – die erste Phase begann.
Paul Jaray, seit 1914 Mitarbeiter der Zeppelin-Werke, entwickelte strömungsgünstige Luftfahrzeuge und kam auf die strömungsideale Tropfenform. Einige kuriose Autos mit aufgesetzter Kanzel entstanden in den 1920er und 1930er Jahren. «Diese Form war allerdings für Autos problematisch, da sie sehr lang wurden und aufwendig in der Produktion waren», sagt Professor Tumminelli.
Die ersten Autos kamen auf einen Luftwiderstandsbeiwert, den sogenannten cw-Wert, von 0,6 bis 0,7. Der Rumpler-Tropfenwagen, gebaut nach dem Vorbild eines fallenden Tropfens mit seinen kleinen Tragflächen, erreichte 1921 für die damalige Zeit sensationelle 0,28 cw. Diese Idealvorstellung übertraf damals aber die Produktionsmöglichkeiten für Serienautos.
Von der Rennstrecke auf die Strasse
Während des und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war Aerodynamik nur bei Rennwagen ein Thema. Mit dem Typ C Stromlinie baute die Auto Union AG einen Stromlinien-Rennwagen, der ab 1937 über 400 km/h schnell fuhr – mit einem cw-Wert von 0,237. Der VW Käfer als Massenfahrzeug glich zwar optisch der Tropfenform, besass aber mit 0,48 eine mangelhafte Aerodynamik.
Erst nach der zweiten Ölkrise 1979 begannen Autohersteller über spritsparende Motoren und Aerodynamik nachzudenken, die zweite Phase begann. Bei neu entwickelten Fahrzeugen stand erstmals eine strömungsoptimierte Karosserie im Lastenheft. «Autos mussten insgesamt verbessert werden, damit sie weniger Kraftstoff verbrauchen», sagt Professor Tumminelli.
Anders als zuvor folgten Karosserien nun aber nicht der Tropfenform. Sie wurden lediglich an einigen Karosseriestellen optimiert. Dazu zählten unter anderem eine bündige Seitenverglasung, aerodynamisch geformte Aussenspiegel, flache Raddeckel, eine flachere Front und versenkbare Scheibenwischer. Der Audi 100 von 1982 besass einen cw-Wert von 0,3 – damals Weltrekord für Strassenfahrzeuge. Der Mercedes-Benz 190 gleichen Jahrgangs kam auf 0,33, ebenso wie der Fiat Uno.
Zum Vergleich: Der erste VW Golf von 1974 hatte einen cw-Wert von 0,42. 1984 kam der Golf der zweiten Generation bereits auf 0,34. Nahezu alle Marken erkannten nun die Zeichen der Zeit und boten besonders effiziente Modelle an, auch wenn der Trend zum Ende des Jahrzehnts verebbte.
Erst mit der zweiten Generation des Toyota Prius ab 2003 kam die Tropfenform in neuer Ausprägung wieder auf die Strasse. Mit einem cw-Wert von 0,26 und seiner zukunftsweisenden Form setzte der Toyota einen Trend – es war der Start zur dritten Phase. Neben Effizienz wurde erstmals die elektrische Reichweite zur Triebfeder einer ausgeklügelten Aerodynamik. Denn mit einer strömungsgünstigen Karosserie liess sich die Reichweite erhöhen.
Das wussten auch die Designer um Elon Musks Elektroautofirma. Beim Tesla Model S (cw-Wert 0,24) sorgten ab 2012 der Verzicht auf einen Frontgrill und die versenkbaren Türgriffe für eine strömungsgünstige Karosserie – zwei Innovationen, die effektiv Windverwirbelungen minimierten.
Da ein Verbrennungsmotor mit Kühlbedarf fehlte, konnte die Luft vor allem zur Batterie im Unterboden geleitet werden – der für die Aerodynamik ungünstige offene Kühlergrill entfiel. Seither verzichten Designer bei Elektroautos oft auf die charakteristische Öffnung an der Fahrzeugfront. Bei der Konzeptstudie Vision EQXX reizte Mercedes-Benz 2022 die derzeitigen Möglichkeiten aus und erreichte einen cw-Wert von 0,17.
«Aerodynamisch optimierte Karosserien werden flacher und länger, setzen auf flache Windschutzscheiben, Fliess- oder Schrägheck», sagt Professor Tumminelli. «Ein möglichst langes, fliessendes Heck reduziert die Windverwirbelungen am Heck. Modelle wie Hyundai Ioniq 6, Audi e-tron GT oder Mercedes-Benz EQS interpretieren die Tropfenform neu.»
Doch daraus ergibt sich auch ein Nachteil: Autos werden länger, aber nicht unbedingt im Innenraum grösser. «Mit den Fliessheck-Limousinen gibt es eine Rückbesinnung auf intelligente und effiziente Automobilformen.» Und dann spekuliert Tumminelli: «Vielleicht wird das ein neuer Trend, der die SUVisierung ablöst.»
SUV bieten deutlich mehr Luftwiderstand
Allerdings lässt sich der Strömungswiderstandskoeffizient cw-Wert nicht mit dem Luftwiderstand gleichsetzen. Der errechnet sich aus dem cw-Wert und der Stirnfläche. Je flacher und schmaler Autos sind, desto besser für den Luftwiderstand.
«Die Aerodynamik der Autos hat sich in den vergangenen 100 Jahren zwar stark verbessert», so Tumminelli. «Aber nun vergrössert sich durch die Stirnflächen grösserer Autos der cw-Wert wieder. Damit minimieren sich die aerodynamischen Vorteile.» So besitzt etwa das kompakte SUV VW T-Roc aufgrund seiner grossen Stirnfläche mit 0,35 einen schlechteren cw-Wert als eine deutlich grössere Mercedes S-Klasse von 1990, die sogenannte «Helmut-Kohl-Limousine» (0,31).
Auch wenn die Erkenntnisse der Aerodynamik schon sehr lange existieren, kommen erst jetzt viele Massnahmen beim Automobilbau zum Tragen. In Computersimulationen, numerischen Analysen und modernen Windkanälen lässt sich heute wesentlich genauer erkennen, wo Luftströme abreissen und die Strömung nicht mehr dicht an der Karosserie entlangläuft.
Wolfgang Schröder, Professor für Strömungslehre am Aerodynamischen Institut der RWTH Aachen, erläutert: «Der Wechsel vom Verbrenner auf Elektromotoren gibt der Aerodynamik einen Schub. Ein aerodynamisch optimiertes Auto kann im Bereich zweistelliger Prozentzahlen mehr Reichweite generieren, und dies bei gleich grossem Akku.» Wenn statt 400 Kilometer plötzlich 480 Kilometer mit einer Batteriefüllung möglich würden, sei das ein grosser Schritt.
Sehr effektiv wären ein geglätteter Unterboden, geschlossene Radkästen, schmale Reifen, auch für den Rollwiderstand, und beispielsweise die Form einer zugespitzten Haifischnase, bei der die Strömung gezielt über und unter die Front geleitet wird. Wenig Anbauten, eine glatte A-Säule, sanfte Übergänge von der Motorhaube zur Windschutzscheibe und ein Heck ohne scharfe Kanten sorgen zudem dafür, dass die Strömung eng am Fahrzeug anliegt und nicht abreisst.
Alles, was Ecken und Kanten habe, verursache Verwirbelungen und erhöhe die Verluste in der Strömung, erklärt der Aerodynamik-Professor Schröder. Und trotz all diesem Wissen: «Die Aerodynamik stand in der Vergangenheit, bis auf Ausnahmen, weniger im Vordergrund der Fahrzeugentwicklung – dafür vielmehr ein gefälliges Design.» Ein SUV mit breiten Reifen sei genau das Gegenteil eines effizienten Fahrzeuges: «Die Form eines stumpfen Körpers sollte aus aerodynamischer Sicht vermieden werden.»
Für den Stadtverkehr mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 bis 30 km/h sei eine ausgeklügelte Aerodynamik allerdings weniger hilfreich und dazu teuer, so Schröder. Flache und besonders aerodynamische Sportwagen können bei tiefen Geschwindigkeiten eine strömungsgünstige Karosserie nicht ausschöpfen. Bei Kleinwagen lohnt es sich also nicht, auf die Aerodynamik zu achten. Das macht die Entwicklung günstiger und die Preise geringer.