Die Spannungen zwischen den USA, Indien und China erhöhen das Konfliktpotenzial im Indopazifik. Drei Entwicklungen, die zu weiteren Problemen führen könnten.
Die sicherheitspolitische Lage im Indopazifik ist angespannt. Und die Situation verändert sich stetig.
Daher ist es wichtig, frühzeitig Probleme und Trends zu erkennen. Zum zehnten Mal versucht das International Institute for Strategic Studies (IISS) in seinem Asia-Pacific Regional Security Assessment genau dies. Das britische Forschungsinstitut in London gilt als eine der weltweit führenden Denkfabriken, wenn es um sicherheitspolitische Fragen geht.
In ihrem aktuellen Bericht schauen sich die Experten Themen wie die Entwicklung der chinesischen Luftwaffe, den Krieg in Myanmar und Chinas Desinformationskampagnen genauer an.
Daneben gehen sie auf drei grosse Trends ein:
- Die USA führen mit vielen Ländern Asiens Militärmanöver durch, für China sind solche gemeinsamen Manöver mit befreundeten Staaten hingegen weniger wichtig.
- Indien sieht sich im Himalaja und im Indischen Ozean von China bedrängt. Delhi versucht dem entgegenzutreten, indem es seine militärische Diplomatie in der Region verstärkt.
- Die Rivalität zwischen Grossmächten birgt die Gefahr von Unfällen. Damit diese nicht in militärischen Konflikten münden, braucht es offene Kommunikationskanäle und Deeskalationsmechanismen. Diese gibt es zwar, doch die Wirksamkeit ist umstritten.
Trend 1: Die USA setzen auf Militärmanöver
Die militärische Stärke der USA in Asien basiert stark auf der Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Zuvorderst stehen die Allianzpartner Südkorea, Japan, Australien, Philippinen und Thailand. Doch auch mit anderen Ländern suchen die USA die Zusammenarbeit.
Ein Indikator dafür, wie eng die militärische Zusammenarbeit ist, sind gemeinsame Manöver. Eine ganze Reihe davon finden seit Jahren regelmässig statt. Beispiele dafür sind die Militärübungen «Balikatan» mit den Philippinen, «Talisman Sabre» mit Australien oder «Freedom Shield» mit Südkorea. Jeweils mehrere tausend Soldaten nehmen teil, die Komplexität der Übungen wird stetig gesteigert.
Insgesamt führten die Amerikaner zwischen 2003 und 2022 laut IISS 1113 Manöver mit asiatischen Ländern durch. «Die USA können in Asien nur einen Krieg führen, wenn sie auf ihre Alliierten und Partner zählen können», sagt Evan A. Laksmana vom IISS. Der Hauptgrund dafür ist die grosse Distanz zwischen den USA und dem Westpazifik. Selbst Hawaii liegt rund 7000 Kilometer von China oder Nordkorea entfernt.
Für China sei das Bedürfnis nach Partnern daher viel kleiner, sagt Laksmana. Darum führt es nur wenige gemeinsame Manöver mit anderen Ländern durch, insgesamt 128 im gleichen Zeitraum. Als einziges Land nahm Russland an mehr Manövern mit China als mit den USA teil.
Die IISS-Experten weisen darauf hin, dass mehrere europäische Länder – insbesondere Frankreich, Deutschland und Grossbritannien – vermehrt militärische Manöver mit Ländern der Region durchführen würden. Es bleibe jedoch unklar, inwieweit die Europäer zu glaubwürdigen und dauerhaften Partnern bei Militärübungen in der Region werden könnten, schreibt das IISS. Denn Rhetorik und Realität klafften teilweise auseinander.
Trend 2: Indien schliesst Bündnisse gegen China
In Indien sitzt der Schock tief, seitdem im Jahr 2020 ein jahrzehntealter, fragiler Status quo an der gemeinsamen Grenze zu China zerstört wurde. 20 indische Soldaten starben bei Zusammenstössen im Himalaja. Indien empfand das als hinterlistigen Überfall Chinas.
Daneben betrachtet Indien mit Sorge den wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas in ganz Asien, insbesondere in seiner Nachbarschaft, etwa den Malediven oder Sri Lanka. Peking ist zudem immer häufiger militärisch im Indischen Ozean präsent.
Indien versucht militärisch darauf zu reagieren. Seine traditionelle Position der Blockfreiheit ist einem Netz von militärischen Kooperationen gewichen: Indien geht mit verschiedenen Ländern militärische und politische Partnerschaften unterschiedlicher Tiefe und Ausprägung ein. Die Beziehungen zu den Streitkräften anderer Länder finden dabei auf mehreren Ebenen statt: gemeinsame Manöver, Ausbildung, Waffenexporte oder militärdiplomatische Besuche.
Indien engagiert sich aktiver im Quad, der gemeinsamen Gruppierung mit den USA, Australien und Japan. Die vier Länder verbinden das Misstrauen gegenüber China und der Wille, das zunehmend aggressive Verhalten Pekings einzuhegen. Während Indien in der Gründungszeit des Quad eine eher bremsende Rolle spielte, ist es heute einer der Treiber.
Gleichzeitig verstärkt Indien die Zusammenarbeit mit Partnern in Europa, im Nahen Osten und im asiatisch-pazifischen Raum. Indiens Rolle als Mittelmacht sei gewachsen, bilanzieren die Experten des IISS, ebenso seine Rolle als Gegengewicht zu Chinas wachsendem Einfluss im asiatisch-pazifischen Raum.
Sie sehen aber eine Diskrepanz zwischen Indiens Rhetorik, eine globale Macht zu werden, und seinen wirtschaftlichen, diplomatischen und verteidigungspolitischen Fähigkeiten, dies zu erreichen. Hinzu komme: Indiens wachsende Rolle im Verteidigungsbereich und seine Partnerschaften trügen zur zunehmenden Rivalität mit China bei.
Trend 3: Die Länder hoffen auf eine offene Kommunikation
Je mehr die Spannungen steigen, desto grösser ist die Gefahr eines Zusammenstosses. Immer häufiger kommen sich Flugzeuge oder Schiffe aus China und anderen Ländern gefährlich nahe, insbesondere aus den USA, Australien, Kanada oder den Philippinen.
Insgesamt haben die amerikanischen Streitkräfte zwischen Herbst 2021 und 2023 rund 180 Zwischenfälle mit chinesischen Einheiten bekanntgegeben, die sie als unsicher oder unprofessionell bezeichnen.
Ohne Kommunikationskanäle und Deeskalationsmechanismen kann aus einem Unfall leicht ein bewaffneter Konflikt werden. Mitte 2022 nach dem Besuch der amerikanischen Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan und Anfang 2023 nach der Affäre um den chinesischen Spionageballon über den USA war diese Gefahr besonders hoch.
Zwar gebe es bereits zahlreiche Mechanismen zur Deeskalation zwischen China und den anderen Ländern der Region, schreiben die Experten des IISS. Die Massnahmen der Länder, die auf China zielten, würden jedoch nur selten genutzt – und seien daher von zweifelhafter Wirksamkeit.
Die Verteidigungsminister Chinas und der USA haben am Rande des diesjährigen Shangri-La-Dialogs im Juni mehr als eine Stunde miteinander gesprochen. Hinterher betonten sie vor dem Publikum der wichtigsten Sicherheitskonferenz in der Region, wie wichtig der direkte Austausch sei.
Offen bleibt die Frage, ob der Austausch bei der nächsten Verstimmung weitergeht oder ob China den Kontakt abbricht. Offene Kommunikationskanäle wären in Krisenzeiten besonders wichtig.
Publikation: Institute for International and Strategic Studies (IISS): Asia-Pacific Regional Assessment 2024: Key Developments and Trends.