Warum löst eine banale, gedankenlos gemachte Aussage Millionen Reaktionen auf Tiktok aus?
Als die 21-jährige Hailey Welch an einem Abend Anfang Juni mit ihrer Freundin unterwegs ist, wird sie von einem Youtuber bei einer Strassenumfrage gefragt, welcher Trick einen Mann im Bett wahnsinnig mache. Während die Freundin herumdruckst, sagt Welch ohne Umschweife: «Aaah, you gotta give ’em that hawk tuah and spit on that thing, you get me?»
Der Interviewer versteht nicht. «Hawk tuah?», das müsse sie ihm zeigen. Welch wiederholt den Satz und macht dazu eine Gestik, als würde sie auf das Mikrofon spucken. «Hawk Tuah» ist eine Lautmalerei, ein Geräusch, das jemand macht, wenn er Speichel hochwürgt und ausspuckt.
Das Video wurde auf dem Tiktok-Kanal von Tim & Dee TV gepostet. Seither ist der neu geprägte Ausdruck für Oralsex als Meme oder Reel explodiert, mit Millionen Aufrufen.
Die 15 Sekunden im Video machten Hailey Welch, Angestellte einer Bettfedernfabrik in Nashville, Tennessee, weltberühmt.
Sofortige Vermarktung
Vergangenen Montag trat Welch in Shorts, weissen Stiefeln und Cowboy-Hut im Podcast «Plan Bri Uncut» auf und sprach über ihre unverhoffte Bekanntheit. «Es ist Glückssache, was aus meinem Mund kommt – ich rede einfach drauflos», sagte sie.
Welch sieht gut aus, hat ein ansteckendes Lachen, einen breiten Südstaatenakzent und Charisma. Da ist eine selbstbewusste junge Frau, die sich etwas traut. Das Internet liebt ihre freche, ungezwungene Antwort zu ihren Sexualpraktiken, die gute Laune, die Welch dabei verströmt. Immer gilt: Sex sells.
Aus dem viralen Moment lässt sich prima Kapital schlagen. So begann fast sofort eine Merchandise-Kampagne. Weil viele der Caps und T-Shirts mit dem aufgedrucktem Spruch ohne Lizenz kursieren, will Welch «Hawk Tuah» als eingetragene Marke schützen lassen und so die Kontrolle über ihre Geschichte zurückerlangen.
Einzig der Inhaber einer Bekleidungsfirma in Tennessee, Jason Poteete, soll offizielle Mützen verkaufen. In einem Interview mit dem «Rolling Stone» Ende Juni sagte er, er habe bereits über 65 000 Dollar erwirtschaftet, wovon ein Teil an Welch gehen soll. Poteete sagt: «Ich glaube, dass die Welt einen Lacher brauchte, und den hat sie geliefert.»
Aber auch die Perversitäten liessen nicht lange auf sich warten: Jemand habe Poteete 600 Dollar angeboten, wenn er Welch dazu bringen könne, in ein Glas zu spucken und es ihm zu schicken. So verbreitete sich der Spruch möglicherweise auch deshalb so rasant, weil er die Phantasie der heterosexuellen Männer anregte. Pornhub rechne bis Dienstag mit 4,7 Millionen Suchanfragen für «Hawk Tuah», sagte ein Vertreter der amerikanischen Nachrichtenseite TMZ. Vielleicht hoffen die Leute, in den Pornovideos zu finden, was Welch nur vage andeutete.
Viele Falschnachrichten
Im Podcast fragte die Interviewerin auch, ob Welch bestimmten Celebrities ein «Hawk Tuah» geben würde, und spielte wohl auf einen Blowjob an. Bei Donald Trump verneinte Welch.
Daraufhin schrieb die rechtsextreme Aktivistin Laura Loomer auf X, das «Hawk-Tuah-Mädchen» sei Anti-Trump. Man solle aufhören, ihr Aufmerksamkeit zu schenken, «keine Frau, die sich selbst respektiert, redet darüber, auf P*****e zu spucken». Dabei hat Welch kein politisches Statement abgegeben, sondern nur klargemacht, dass sie keine sexuelle Beziehung zum 78-jährigen Trump eingehen möchte.
Es scheint, dass manche den Witz nicht ganz verstanden haben und bloss so tun, als wüssten sie, wovon Welch spricht. «Hawk Tuah» hat sich jedenfalls längst verselbständigt. Wegen des Zusatzes «Spuck auf das Ding» wird es sowohl als Zustimmung wie Ablehnung verwendet. Auch Unterstützer von Trump verkaufen mittlerweile damit bedruckte T-Shirts, um sein Image als Regelbrecher hervorzuheben.
Seit sich das Video weiterverbreitet, kursieren viele Falschnachrichten über Welch im Internet, die zu ihrer Bekanntheit beitrugen und möglicherweise ein Versuch sind, die Sitten wiederherzustellen. Es wurde behauptet, ihr Vater sei ein Prediger, der durch ihr skandalöses Verhalten gedemütigt worden sei. Oder Welchs vulgärer Ausdruck habe sie die Stelle als Lehrerin an der Epstein Day School gekostet. Spätestens da hätte man aufhorchen sollen, doch es fehlte an Medienkompetenz. Nichts davon stimme, erklärte Welch, die selbst keine Social-Media-Accounts hat.
Ihren Job in der Bettfedernfabrik, für den sie jeweils um halb vier Uhr früh aufstand, hat sie inzwischen gekündigt. Sie wolle nicht für immer das Image des «Hawk-Tuah-Girl» haben. Sie engagierte ein Management-Team und will «eine Show machen und in einer Reihe von Podcasts auftreten». Der Countrysänger Zach Bryan holte sie bereits an seinem Konzert vor 800 000 Fans auf die Bühne.
«Vor zwei Wochen gab es nur meine Oma und mich im kleinen Belfast, Tennessee. Dann sage ich etwas Dummes, und jetzt hat sich mein Leben verändert», sagt Welch. Egal wie zufällig und absurd die Inhalte im Internet sein mögen, es ist stets denkbar, dass sie millionenfach geteilt und vervielfältigt werden. Authentizität und Originalität in Kürzestform kurbeln die Dynamik eines Tiktok-Phänomens an. Anklang findet, was anregt, amüsiert – und ein provokanter Spruch wie «Hawk Tuah» von einem «American Sweetheart», das kein Tabu kennt, sowieso.