Derzeit fliesst viel Geld in private Finanzierungen. Angesichts der ausbleibenden Transparenz sollten sich Investoren allerdings mehrere Fragen stellen und den wichtigsten Timing-Indikator im Auge behalten.
Ist Ihre Inbox auch voll mit Broschüren, die für Investments in Private-Debt-Vehikel werben, auch von Adressen, die Ihnen bis dato nichts sagen? Mit happigen Renditeversprechen wie «10% oder mehr» und der Aussicht auf historisch marginale Ausfallraten, geringste Preisschwankungen und dazu noch völlig unkorreliert mit den ach so risikobehafteten konventionellen Anlageklassen Aktien und Bonds?
Wenn Sie in konventionelle Obligationenprodukte (selbst im High-Yield-Segment) investieren, dann haben Sie normalerweise die Möglichkeit, vom Verkäufer dieser Produkte Informationen zu einer Reihe von wichtigen Fragestellungen zu erhalten: Renditeverteilung im Portfolio, Diversifikationsaspekte, Gebühren, Total Expense Ratios (TER), Klumpenrisiken oder Leverage, und natürlich fehlt auch ein Track Record nicht.
Transparenz ermöglicht eigene Schlüsse
Und noch wichtiger, Sie können die Holdings im Produkt regelmässig überprüfen, denn Sie wissen dank den «10 grössten Positionen», wo der Fonds oder das Produkt schwerpunktmässig investiert ist, sie können die Bilanzen und Erfolgsrechnungen der einzelnen Holdings anschauen und Bonitätstrends verifizieren. Je akribischer Sie dies machen, desto klarer wird Ihre Einschätzung zu den Risiken dieses Investments. Auch wenn sich die wenigsten diesen Aufwand aufbürden: Sie haben es in Ihrer Hand. Bei uns und unseren Fondsanlagen ist dies der Normalfall und Teil des Risikomanagements.
Sie werden jetzt einwenden, dass die Informationen umso unleserlicher und kryptischer werden, je strukturierter das Anlageprodukt ist. Und Sie haben natürlich recht, jeder, der jemals ein zwei Finger dickes, selbstverständlich auch für den Schweizer Investor in Englisch gehaltenes, in menschenverachtendem Beamten/Juristen-Angelsächsisch geschriebenes, vorzugsweise in zu kleiner Schrift gedrucktes, abstossendes Regelkonvolut in den Händen gehalten hat, weiss, wovon ich rede.
Aber immerhin: Wenn Sie ausgebildeter Investmentbanker mit Jurastudium sind und im Nebenfach Altphilologie studiert haben, haben Sie eine minimale Chance, den Prospekt zumindest teilweise zu verstehen.
Private Debt ist: private
Bei Private Debt geht das nicht. Private Debt ist private. Unsere Definition für Private Debt lautet wie folgt:
Private Debt = Hochzinsfinanzierungen unter Umgehung des Bankensystems für privat gehaltene Unternehmen, Buyouts oder Projekte, vorrangig oder nachrangig, die nicht handelbar und nicht standardisiert sind, von unterschiedlicher Grösse, die weder mit einem Rating versehen sind noch Wertpapiere darstellen.
Sie haben richtig verstanden: Keine Ratings, keine Bilanzen, kein Track Record, keine Liquidität. Keine Möglichkeit, vor Ablauf der Laufzeit des Produkts auszusteigen. Keine verifizierten Preise (deshalb auch keine Korrelation, Markowitz würde sich im Grab umdrehen), keine Default Rates, kaum Standards. Und immer öfter: keine Klauseln.
Mag sein, dass es Anbieter gibt, die auskunftsfreudiger sind als andere, aber gehen Sie davon aus, dass Sie nichts Handfestes erfahren werden.
Transparenz und Information sind also fast gar nicht vorhanden. Das ist nicht (nur) der kompletten Ahnungslosigkeit der netten Private-Debt-Verkäufer über ihr eigenes Produkt zu verdanken, sondern liegt in der Natur der Sache («nicht standardisierte, komplizierte Finanzierungen» mit Covenants etc), aber vielleicht hat sie auch Methode. Da Transparenz in der heutigen Zeit sonst überall hochgehalten wird, ist diese Sondersituation ein klares Indiz für einen Verkäufermarkt: Am Anfang der Nahrungskette befindet sich der Investor, am Ende der Emittent, der sich die Finanzierung aussuchen kann.
Branche bleibt verblüffenderweise unreguliert
Was ich damit sagen will: Sie als Investor sind ein Aussenstehender. Ich auch, und das trotz meinem sündhaft teuren Finanzinformationssystem. Der nette Produktverkäufer aber auch. Nur der Frontspezialist und der CFO der Unternehmen im Pool sind Insider. Nur sprechen die nicht mit uns.
Wie ist diese Anlageklasse, die keineswegs neu ist, aber seit einiger Zeit so viel Geld anlockt wie keine andere, entstanden?
Wenn der Regulator will, dass seine Banken ein gewisses Geschäft nicht mehr tätigen sollen, verbietet er es ihnen nicht, sondern belegt es mit prohibitiven Kapitalunterlegungsvorschriften. So geschehen im Kreditgeschäft der Banken mit Firmenkunden nach der grossen Finanzkrise («Dodd Frank»). Das Geschäft wurde den Banken von einem immer grösser werdenden Schwarm von renommierten bis obskuren Private-Debt-Anbietern aus der Hand gerissen. Trotz explosionsartigem Wachstum ist diese Branche verblüffenderweise weitgehend unreguliert geblieben.
Und die ausgezeichnete Performance bei gleichzeitiger hoher Resilienz –Private Debt hat die Finanzkrise offenbar komplett ungeschoren überstanden – und der unschlagbaren Attraktivität der ausbleibenden Kursschwankungen hat zu einem stark anschwellenden Zustrom an Neugeldern von institutionellen Kunden gesorgt. Dafür sprechen die Performancedaten der etwas transparenteren «Leveraged Loans», die mit Private Debt korreliert sein dürften.
Fragen an den Verkäufer
Bevor Ihnen nun angesichts der Renditeversprechen von 10% und mehr das Wasser im Mund zusammenläuft, empfehlen wir Ihnen, dem Verkäufer ein paar Fragen zu stellen. Die erste Frage richtet sich jedoch an Sie selbst:
1. Soll ich dem Anbieter von Finanzprodukten mein uneingeschränktes Vertrauen aussprechen?
Anlagen in Private Debt bedeuten eine radikal andere Anlageform als öffentlich gehandelte Aktien und Obligationen, weil der Stiftungsrat einen kompletten Vertrauenstransfer macht. Er muss seine Ansprüche an die Due Diligence über Bord werfen. Wenn z.B. ein Stiftungsrat einer Pensionskasse Private Debt zeichnet, ist die Chance hoch, dass er die darauffolgende mehrjährige Reise in einem kompletten Blindflug macht.
Möglicherweise können sich grössere institutionelle Anleger einen Spezialisten oder gar Insider leisten, der die Due Diligence leistet, aber eine Schweizer Sammelstiftung? Konkret: Wer ist schuld, wenn etwas schiefläuft? Der Stiftungsrat? Ist jemand, der ohne minimale Information in risikobehaftete Anlagen investiert, haftbar?
2. Wie wird der für alle offensichtliche Interessenskonflikt gelöst?
Bei einer Anleihe können Sie davon ausgehen, dass der Ofen spätestens dann aus ist, wenn das Rating des Emittenten auf «D» für Default gesenkt wird. Bei Private Debt gibt es keine Ratings. Es gibt wohl auch keinen geregelten, standardisierten, objektiven Prozess, wenn der Schuldner überschuldet, illiquid oder defizitär ist. Genaueres wissen wir nicht, weil wir alle Aussenstehende sind.
Der Interessenskonflikt ist klassisch: Der Anbieter von Private Debt kassiert Fees. Er hat ein Interesse, einen Halbtoten am Leben zu lassen. Auch dann, wenn es noch früh genug wäre, das Investment abzustossen.
Ich sage nicht, dass von der Industrie sehenden Auges gutes Geld schlechtem Geld nachgeschossen wird. Wie gesagt, die Transparenz ist nicht gegeben. Wie wird der Preis der einzelnen Beteiligungen festgelegt, wenn kein Handel und keine Marktpreise existieren. Wird konsequent abgeschrieben, wenn etwas aus dem Ruder läuft? Oder ist in den Private-Debt-Portfolios eine Horde von Untoten versteckt, so wie früher jahrzehntelang in den Bilanzen von japanischen Banken, die Kredite an Zombieunternehmen weiterrolliert haben («Kicking the Can», «Extend and Pretend»)?
Das Problem ist nicht neu, auch bei Private Equity existieren solche Fragestellungen. Aber dort besteht immerhin die Aussicht auf eine Vervielfachung des Kapitals, also auf ein ungleich höheres Upside-Potenzial.
3. Stimmen die Prämissen von 2008 noch? Ist Private Debt immer noch die robuste, resiliente Allwettervermögensklasse, die quasi risikolos zweistellige Renditen verspricht?
Der Business Case von Private Debt ist geradezu sensationell. Doch womöglich ist die Tatsache, dass Private Debt als einzige Vermögensklasse unbefleckt aus der Finanzkrise gekommen ist, auf Faktoren zurückzuführen, die heute nicht mehr gegeben sind. Damals erfolgten Private-Debt-Ausleihungen gemäss meinen Recherchen v.a. vorrangig, also abgefedert durch eine Menge von subordiniertem Fremdkapital. Das sorgt für hohe Verwertungsraten, wenn etwas schief geht, weil diese mit der Seniorität zusammenhängen. Zudem bestanden starke Verträge («Covenants»), welche die Verhandlungsposition der Fremdkapitalgeber und damit der Investoren stärkten, sowie – angesichts der Überlebensrate – mutmasslich eine gute Bonität der Schuldner, bzw. eine gute Selektion durch die Private-Debt-Industrie.
Allerdings perlte die Korrektur der Finanzmärkte nicht nur 2008, sondern auch 2022 an der Private-Debt-Industrie ab: Der Floating-Rate-Charakter der Ausleihungen immunisierte die Private-Debt-Portfolios gegen steigende Zinsen und zog den Neid von konventionellen Zinsinvestoren auf sich.
Aber ist das auch weiterhin der Fall? Es wird von Deals gemunkelt, bei denen Private Debt die gesamte Fremdkapitalquote von einzelnen Schuldnern übernimmt. Falls das stimmt, dürften die Verwertungsquoten mangels Subordination künftig signifikant dünner ausfallen. Angesichts des vielen Neugelds und der verbesserten Marktposition der Schuldner hat sich zudem eine Covenant-Light-Kultur ausgebreitet, die den Schutz des Investors merklich reduziert hat, und womöglich hat eine Race to the Bottom stattgefunden, weil viel zu viel Geld viel zu wenigen lukrativen Projekten nachgelaufen ist. Mehr Anbieter = weniger Sorgfalt?
Zudem hat der Vorteil von Floating Rates, also die Absenz von Durationsrisiken für den Investor, auch eine Kehrseite, weil Private-Debt-Schuldner durch die steigenden Zinsen, die ihnen voll weitergegeben werden, in Schieflage geraten könnten. Ist die Durchschnittsbonität in Private-Debt-Portfolios gesunken? Das wäre fatal, aber eigentlich angesichts der Übungsanleitung klassisch. Es kursieren wilde Gerüchte über deutlich niedrigere Fixkostendeckungsgrade. Das wäre ein klares Indiz für einen überhitzten Markt.
Andererseits: Es wird gesagt, dass der Eigenkapitalanteil heute speziell bei Private-Equity-Finanzierungen viel höher ist als früher, das wäre positiv. Wie gesagt, wir wissen es nicht. Nur schlechtes Gerede von neidischen Verkäufern konventioneller Anlagen?
4. Was sind die Stärken und Schwächen des Intermediärs? Ist er vertrauenswürdig?
Viele Private-Debt-Anbieter sind unbekannt. Auf Bloomberg wurde ein Artikel geschaltet, gemäss dem für identische Beteiligungen bei verschiedenen Private-Debt-Portfolios massiv unterschiedliche Bewertungen figurierten. Das ist unausweichlich in einer illiquiden Vermögensklasse, doch gehört mein Anbieter zu den konservativen oder nicht?
Wie ist sein Zugang zum Deal Flow? Kann er griffige Covenants durchsetzen? Kann das überhaupt noch ein Anbieter im Private-Debt-Markt? Wie gross und gut sind seine Ressourcen speziell für Restrukturierungen, also dann, wenn sich die Spreu vom Weizen trennt und die hohen Fees gerechtfertigt werden müssen? Das Recovery-Management ist zentral und grenzt diese Anlageklasse deutlich von Anleihen mit Anlagequalität ab. Wie um Himmels Willen soll ich das beurteilen können?
5. Wie hoch ist der Anteil der Rendite, der bei Ihnen als Investor ankommt?
Die Arbeit des Private-Debt-Anbieters ist zweifellos anspruchsvoll. Das kostet. Eine Pensionskasse, die stolz auf ihre tiefen Gesamtkosten ist, muss in eine sehr saure Gurke beissen, wenn sie in Private Debt investiert. Auch hier gibt es wenig Transparenz, aber machen Sie sich auf hohe Gebühren und allenfalls Performance-Beiträge an den Private-Debt-Anbieter gefasst. Werden sämtliche Cashflows vom Schuldner an die Investoren weitergeleitet? Wieviel bezahlen die Unternehmen im Loan Pool, wieviel davon kommt bei den Investoren an?
Sind Sie immer noch begeistert von den 10%? Dieser Artikel mag angesichts der makellosen mehrjährigen Performance der Anlageklasse komplett unfair sein. Bisher wurden sämtliche Stresstests bravourös bestanden. Allerdings finden sich im Dollar-Raum inzwischen Alternativen. Für «risikofreie» und hyperliquide Treasury Bills, die Sie in Sekundenbruchteilen verkaufen können, bekommen Sie auch über 5%. Und wenn Sie wie wir eine Illiquiditätsprämie von 5 Prozentpunkten für Private Debt einrechnen, relativiert sich das Bild.
Der beste Timing-Indikator
Vielleicht ist der Entscheid, ob man in Private Debt investieren sollte, auch ganz einfach: Sobald Sie etwas von «Demokratisierung von Private Debt» auch für Kleinanleger hören, ergreifen Sie unverzüglich die Flucht. Das war in der Vergangenheit zuverlässig das beste Signal dafür, dass eine Vermögensklasse stinkt.
Jürg Lutz
Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Der Bündner ist Vater von zwei Kindern und beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.