Vor fünf Jahren ergriffen die USA beispiellose Massnahmen gegen den chinesischen Tech-Konzern. Was zu Huaweis Untergang führen sollte, war der Beginn einer neuen technologischen Ära.
So geschehen im April, als Huawei seinen neuen Laptop MateBook X Pro vorstellt. Amerikanische Abgeordnete fordern umgehend ein härteres Vorgehen gegen Huawei. Es dauert nur wenige Tage: Bereits anfangs Mai verschärft das US-Handelsministerium die Exportkontrollen und untersagt den amerikanischen Chipherstellern Intel und Qualcomm, Huawei jene Komponenten zu liefern, die das Unternehmen für das MateBook X Pro braucht.
Huawei ist schon seit 2019 Ziel von amerikanischen Exportkontrollen. Diese sollen das Unternehmen von amerikanischer Technologie abschneiden. Die USA müssten Huawei erwürgen, beschrieb ein US-Senator die Strategie damals. Heute, fünf Jahre später, ist Huawei quicklebendig.
Das Unternehmen präsentiert immer wieder Produkte, die mit der westlichen Konkurrenz mithalten können. Und dies trotz jahrelanger Sanktionen. Wie ist das möglich? Konnten die Handelsbeschränkungen Huawei etwa nicht schaden? Haben sie dem Unternehmen vielleicht sogar genützt?
Die Auswirkungen der Sanktionen sind zunächst dramatisch
Die USA sehen Huawei mindestens seit 2012 als Sicherheitsrisiko. Man fürchtet, dass chinesische Anbieter wie Huawei oder ZTE ihre Geräte mit Hintertüren versehen, die der chinesische Staat für Spionage ausnutzen könnte. Mit der Einführung der 5G-Technologie rückt die Mobilfunk-Infrastruktur in den Fokus.
2018 verbietet Präsident Trump Regierungsangestellten, Handys von ZTE oder Huawei zu nutzen. Im Mai 2019 schliesslich setzt das US-Handelsministerium Huawei auf die sogenannte Entity List: Fortan ist es amerikanischen Firmen verboten, Huawei ohne Sonderlizenzen zu beliefern. Ausnahmebewilligungen erteilen die Behörden immer seltener.
Die Auswirkungen auf Huaweis Geschäft sind dramatisch. Huaweis Verkäufe brechen ein. Die Firma verliert Marktanteile, weltweit und in China.
Ohne Zugang zu modernen Computerchips muss Huawei die Produktion von 5G-Handys stoppen. Eine Software und Hardware, die ohne amerikanische Technologie auskommt, muss her. Firmengründer Ren Zhengfei führt für 10 000 Mitarbeitende im Hauptquartier in Shenzhen einen 24-Stunden-Schichtbetrieb ein.
Für China wird Tech-Unabhängigkeit zur Notwendigkeit
Huawei kämpft ums Überleben, muss sich strategisch neu ausrichten. Vor den amerikanischen Sanktionen war der Konzern ein normales Unternehmen. Der Fokus lag auf globalem Wachstum. Nun muss Huawei dafür sorgen, dass all seine Komponenten aus China stammen. Dereinst will der Konzern auch selbst Chips produzieren.
Ab 2019 verfolgt Huawei, von den USA gezwungen, dasselbe Ziel wie der Staats- und Parteichef Xi Jinping. Der propagiert bereits seit 2015 die Strategie «Made in China 2025»: Möglichst viele westliche Technologien wie etwa Computerchips sollen durch chinesische ersetzt werden.
Für die chinesische Regierung sind die amerikanischen Sanktionen gegen Huawei und ZTE ein Erdbeben. Schon lange strebt China nach mehr Unabhängigkeit. Doch davon ist man 2019 im Bereich Technologie noch weit entfernt. Kendra Schaefer ist Head Tech Policy Research bei der Beratungsfirma Trivium China. Sie sagt: «Die amerikanischen Sanktionen veränderten das Vorgehen der chinesischen Regierung grundlegend.» Lange war technologische Unabhängigkeit ein Fernziel. Durch die Sanktionen wird sie eine absolute, dringende Notwendigkeit.
Die Regierung startet eine massive Kampagne. Sie verbessert die politischen und administrativen Voraussetzungen für technologische Innovation. Und sie investiert Geld, spricht Subventionen und beschliesst Steuererleichterungen. Über die vergangenen Jahre soll der Staat über 300 Milliarden Dollar in die heimische Halbleiter-Industrie investiert haben, schätzt die Analysefirma Semianalysis auf Anfrage.
Huawei etabliert sich als entscheidender Akteur
Die chinesische Regierung profitiert davon, dass Huawei nun notgedrungen die nationalen Ziele verfolgt. Huawei profitiert von enormer staatlicher Unterstützung bei seiner Bemühung um chinesische Lieferketten. Huawei wird für Chinas Strategie entscheidend.
Die Lokalregierung von Shenzhen gründet 2019 zum Beispiel einen Investmentfonds. Dieser beteiligt sich an zahlreichen Firmen, die mit Huawei in Verbindung gebracht werden, beispielsweise solchen zur Chip-Produktion. Gemäss der Nachrichtenagentur Bloomberg erhielt Huawei zudem vom Staat 30 Milliarden Dollar zum Bau eigener Chip-Fabriken.
Unterdessen investiert Huawei über seine eigene Investmentgesellschaft Hubble Technology Investment selbst in Tech-Firmen. Seit ihrer Gründung 2019 hat Hubble gemäss dem Finanzdaten-Dienstleister Pitchbook in 111 Tech-Firmen investiert. Die meisten davon sind in der Halbleiterbranche tätig. Die Beteiligungen erstrecken sich über die gesamte Lieferkette: von Lieferanten von Rohmaterialien über Firmen, die auf Chip-Design spezialisiert sind, bis hin zu Zulieferern von Chips.
Gleichzeitig sind nicht alle Beteiligungen von Huawei bekannt. Vermehrt unterstützt es auch kleinere Firmen mit Geld oder Expertise, ohne das publik zu machen. So soll verhindert werden, dass die betroffenen Unternehmen von den USA sanktioniert werden.
Chinesische Firmen arbeiten zusammen
Normalerweise ist der innerchinesische Wettbewerb in allen Branchen unerbittlich. Innerhalb der Halbleiterindustrie führen die amerikanischen Sanktionen zu einer Art Waffenruhe. Ab 2019 beginnen Firmen laut Technologiepolitik-Expertin Schaefer zusammenzuarbeiten, um amerikanische Lieferanten zu ersetzen.
Der Erfolg dieser Bemühungen zeigt sich im Spätsommer 2023: Huawei präsentiert das 5G-Smartphone Mate 60 Pro. Ein grosser Erfolg für Huawei und die gesamte chinesische Halbleiterindustrie, ein Schock für die Befürworter der amerikanischen Sanktionen-Strategie. Die «New York Times» bezeichnet das Handy als jüngsten Schlag im Tech-Krieg zwischen den USA und China.
Für die chinesische Regierung ist das Mate 60 Pro die perfekte Gelegenheit, den USA zu zeigen, wozu man trotz Sanktionen fähig ist. Sie veranlasst, dass Huawei das Handy präsentiert, während die US-Handelsministerin Gina Raimondo China besucht. Raimondos Ministerium ist verantwortlich für die Massnahmen gegen Huawei.
Grosser Aufwand, mangelhafter Prozess
5G ist eine jener Technologien, in denen die USA China entscheidend zurückbinden wollen. Huawei müsste es wegen der amerikanischen Sanktionen unmöglich sein, ein Handy wie das Mate 60 Pro zu entwickeln. Dass es Huawei trotzdem gelingt, zeugt von der Entschlossenheit Chinas.
Der 5G-Chip für das Mate 60 Pro wurde von Huawei entwickelt und vom chinesischen Chip-Produzenten SMIC hergestellt. SMIC steht selbst seit Dezember 2020 auf der Entity List. Das sollte verhindern, das SMIC an Technologie gelangt, mit der sich kleinste Chips, von zehn Nanometern Grösse oder kleiner, produzieren lassen. Solche braucht es für 5G-Technologie.
Experten gehen davon aus, dass SMIC im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz veraltete Produktionsmaschinen benutzt und dieselben Produktionsschritte mehrfach wiederholt, anstatt mit neuen Maschinen jeweils nur einen Produktionsschritt zu machen. Das macht die Chips gemäss Experten deutlich teurer. Doch Aufwand, Mängel im Prozess und Mehrkosten sind egal, wenn die staatliche Unterstützung kaum Grenzen kennt.
Huawei steht im Zentrum von Chinas Strategie
Geht es darum, die Auswirkungen der Sanktionen zu beurteilen, sind die Experten uneins. Dylan Patel, der Gründer von Semianalysis, zieht etwa ein positives Fazit: «Ohne amerikanische Sanktionen wäre Huawei heute noch viel mächtiger.» Der Konzern würde heute mit seiner Technologie die Mobilfunk-Netzwerke in Europa und den USA beherrschen und hätte den höchsten Marktanteil bei Smartphones, davon ist Patel überzeugt. «Und alle diese Geräte enthielten wahrscheinlich Hintertüren.»
Mit Blick auf den Mobilfunk-Sektor mag Patel recht haben. Die Sanktionen haben durchaus einen Effekt erzielt. Huawei hat in den vergangenen Jahren in diesem Bereich an Bedeutung verloren, allen voran im Westen.
Doch das Huawei von heute ist nicht mehr das Huawei von 2019. Der Fokus liegt längst auf Computerchips. «Huawei wurde durch die amerikanischen Sanktionen zur Speerspitze der chinesischen Entwicklungsoffensive hin zu einem heimischen Halbleiter-Ökosystem», sagt Schaefer, die Expertin für chinesische Tech-Politik.
Was in den vergangenen fünf Jahren begonnen hat, wird sich in Zukunft fortsetzen. Die Unabhängigkeit von westlicher Technologie wird für den chinesischen Staat noch wichtiger. Im März erklärte die Kommunistische Partei Chinas an der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses das Streben nach Technologie-Autarkie zur obersten Priorität. Dazu passt, dass die chinesische Regierung nach und nach westliche Chips verbannt. Die heimische Chip-Industrie soll weiter wachsen.
Die USA wollten Huawei vor fünf Jahren erwürgen und seine Rolle im weltweiten Technologie-Wettbewerb marginalisieren. Erreicht haben sie das Gegenteil. Huawei spielt im chinesischen Technologie-Ökosystem eine Schlüsselrolle. Sie ist entscheidend für Chinas Unabhängigkeit. Früher war Huawei für China bedeutend. Heute ist Huawei für China unersetzlich.