Bei der Kapitalrendite kann der Sportwagenhersteller mit dem französischen Luxus-Primus fast mithalten. Doch niemand weiss, ob die Kunden den für Ende 2025 versprochenen ersten Ferrari mit Elektromotor akzeptieren werden. Daher wäre ein Bewertungsabschlag zu Hermès sinnvoll statt der Prämie.
Am Freitag, 21. Juni, lüftete Ferrari-CEO Benedetto Vigna ein bis dahin strengstens gehütetes Geheimnis: Er öffnete das Tor der neuen Fabrikhalle, in der Anfang 2026 die ersten vollelektrischen Ferraris in Serie gefertigt werden sollen.
Unter den Besuchern waren die für Batterie-Ferraris eher skeptischen Analysten von JPMorgan. «Ferrari steht einzigartigen Herausforderungen gegenüber bei der Transition zu E-Autos», warnten sie noch in ihrem Bericht über den Besuch. Die Kunden würden den charakteristischen Klang und die Vibrationen der mächtigen Verbrennungsmotoren mit der Ferrari-Erfahrung assoziieren.
Ferrari-Chef Vigna bekräftigte vor den versammelten Analysten das Versprechen (oder, je nachdem, die Drohung), Ende 2025 den E-Ferrari vorzustellen. JPMorgan erwartet den Beginn der Serienproduktion für Anfang 2026. Die Investitionen dafür sind hoch, wie das neue Werk zeigt. Noch höher sind augenscheinlich die Erwartungen der Investoren.
Der 1947 von Enzo Ferrari in Maranello gegründete Autohersteller fuhr schon immer in einer eigenen Liga. Bereits zwei Jahre nach der Gründung gewann Ferrari den Rennfahrklassiker «24 Stunden von Le Mans». In den Fünfzigerjahren etablierte sich der Rennstall mit dem ikonischen Logo des springenden Pferds zum Nonplusultra der Formel 1: 1952 und 1953 gewann Ferrari die Weltmeisterschaft.
Den Kultstatus kapitalisierte Enzo Ferrari, indem er in den Sechzigerjahren begann, Fahrzeuge für den Strassenverkehr zu produzieren, die Motorleistung und Luxus verschmolzen. Auf dem Automarkt punktete die italienische Luxusmarke seither mit Hochleistungsfahrzeugen, die in limitierter Stückzahl hergestellt werden und für ihre Exklusivität bekannt sind.
Am 20. Oktober 2015 debütierte die Ferrari-Aktie an der Börse in New York. Auch danach hielt Fiat Chrysler Automobiles noch 80% der Anteile, stieg in der Folge jedoch aus. Die grössten Aktionäre sind heute Exor, die Holding der Industriellenfamilie Agnelli (25,65%), und der Trust Piero Ferrari (10,48%).
Ferrari-Aktie jagt Rekordkurs hinterher
Für 52 $ pro Titel nahmen die Ferrari-Aktien damals das Rennen an der Wallstreet auf – und das zu einer Bewertung von lediglich 9,8 Mrd. $. Knapp neun Jahre später leuchten nach einer beeindruckenden Rally von über 670% Notierungen von zeitweise mehr als 400 $ auf den Trading-Bildschirmen auf. Der Börsenwert ist auf umgerechnet mehr als 70 Mrd. € gewachsen. Seit April ist Ferrari noch vor dem Fiat-Mutterkonzern Stellantis das wertvollste Börsenunternehmen Italiens.
In der chronisch kompetitiven Automobilbranche ist die Bewertung des prestigeträchtigen Premiumherstellers aus Maranello mehr als bemerkenswert und nur schwer mit klassischen Kriterien zu erfassen. Im vergangenen Geschäftsjahr setzte Ferrari mit gerade mal 13’663 verkauften Fahrzeugen 5,97 Mrd. € um und fuhr dabei einen Nettogewinn von 1,25 Mrd. € ein (Gewinn je Titel: 6.90 €). Die Ferrari-Aktie wird auf Basis des für 2024 erwarteten Gewinns mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 48 gehandelt.
Die Bewertung als «sportlich» zu bezeichnen, erscheint mehr als ein Wortspiel, werden die anderen Autohersteller der gehobenen Preisklasse wie BMW oder Mercedes doch mit Multiplen wie 5 oder 10 bewertet. Selbst für den Luxussportwagenanbieter Porsche wird ein KGV von lediglich 15 aufgerufen. Nach dem Börsenwert ist Ferrari damit wertvoller als alle deutschen Autobauer wie Porsche, BMW, Mercedes oder Volkswagen, die 2023 mehr als 9 Mio. Fahrzeuge verkaufen konnten. Lediglich BYD, Toyota oder Tesla bringen es auf eine (deutlich) höhere Marktkapitalisierung.
Traummargen: Ferrari ist keine herkömmliche Autoaktie
Wie sind der Triumphzug und die gleichzeitige Abkopplung vom Rest der Automobilbranche zu erklären?
Mit einer anderen Klassifizierung. Für die Börse war und ist Ferrari genauso wenig ein normaler Autohersteller wie etwa Tesla, die regelmässig im Tech-Komplex der «Magnificent 7» zusammengefasst wird. Bei Ferrari liegt die Peer Group eindeutig im Bereich der europäischen Luxusgüterindustrie: Wie LVMH oder Hermès gilt Ferrari als Ausweis von Wohlstand, gutem Geschmack und mondänem Lebensstil – entsprechend grosszügig gehen Anleger mit den Bewertungskennziffern um. Allerdings ist die Ferrari-Aktie inzwischen sogar im Vergleich zu manch anderem Luxuskonzern auffällig teuer.
Das Erfolgsgeheimnis der Luxusbranche liegt in den hohen Margen, die der traditionellen Automobilindustrie fremd sind. So fuhr Ferrari-CEO Benedetto Vigna im vergangenen Geschäftsjahr eine traumhafte Ebitda-Marge von 38% ein; nach Bloomberg-Schätzungen könnte im nächsten Geschäftsjahr gar die 40%-Marke geknackt werden.
Ferrari liegt damit mit grossem Abstand vor der Konkurrenz der Automobilbranche. Das Niveau von Hermès erreicht der Sportwagenhersteller jedoch bei weitem nicht, trotz der (wie oben gesehen) ähnlich hohen Bewertung.
Für Agnelli-Clanchef John Elkann gilt Hermès als Vorbild, weil sich das Unternehmen vor hundert Jahren vom Hersteller von Reitsätteln und Reiseutensilien für das Pferdezeitalter rechtzeitig zum Taschenhersteller für die Autoära und später zum Luxuskonzern gewandelt hat. Näher an das Idol als bei der Marge kommt seine grösste Beteiligung bei der Kapitalrendite.
Das Geschäft gilt als besonders konjunkturresistent. Denn Ferrari bedient die wirklich reichen Menschen, nicht die bloss wohlhabenden oder gar diejenigen, die monatelang auf eine Handtasche von Hermès sparen. Das zeigt schon der Durchschnittsumsatz pro verkauftem Auto.
Wie Branchenanalyst Felipe Munoz vorrechnet, hat Ferrari 2023 operativ 117’927 € pro verkauftem Auto verdient. Bei Porsche blieben als gutem Zweitplatzierten dagegen nur 22’747 € hängen. Porsche muss also sechsmal so viele Fahrzeuge verkaufen wie Ferrari, um den gleichen Gewinn zu erzielen. Bei den weitaus umsatzstärkeren Massenautoherstellern fällt das Verhältnis eklatanter aus: Tesla muss dafür 27 Autos verkaufen, der chinesische Elektroautoanbieter BYD gar 73.
Anhaltend zweistelliges Wachstum erwartet
Und die Fahrt an der Spitze dürfte auf absehbare Zeit weitergehen, wie der Konzern bei der jüngsten Bilanzvorlage im jüngsten Quartalsbericht andeutete. In den ersten drei Monaten steigerte er den Umsatz um knapp 11% auf 1,58 Mrd. € und den Nettogewinn um 19% auf 351,4 Mio. €.
Die Anfang des Jahres herausgegebene Prognose für 2024 erscheint inzwischen markenuntypisch zurückhaltend: Ferrari-CEO Vigna hatte seinerzeit einen Erlös von 6,4 Mrd. € und einen Gewinn je Aktie von 7,50 € in Aussicht gestellt – ein Plus von 7 und 9%.
Viele Analysten sind optimistischer. So liegen die Bloomberg-Schätzungen aktuell bei einem Umsatz von 6,53 Mrd. € (+9%) und einem Gewinn je Aktie von 7.77 € (+13%). Für die kommenden Jahre rechnen die befragten Analysten mit einem weiterhin (knapp) zweistelligen Wachstum: Der Umsatz könnte demnach bis 2026 auf 7,57 Mrd. € und der Gewinn je Titel auf 9,57 € anziehen.
Wachsende Dividende und Aktienrückkäufe
Doch selbst in 24 Monaten würde die Motorsportikone dann noch mit einem erwarteten KGV von 46 gehandelt werden. So teuer Ferrari nach klassischen Bewertungskriterien ist, so attraktiv sind die Massnahmen zur Kapitalrückführung an die Aktionäre, die die Italiener seit Jahren forcieren. So schüttet der Luxussportwagenhersteller seit dem IPO eine Dividende aus, die derzeit 2,44 € pro Anteilschein beträgt. Zwar beläuft sich die Dividendenrendite damit aktuell nur auf wenig spektakuläre 0,61%, doch dafür fiel das Dividendenwachstum (CAGR) mit 18,9% in den vergangenen fünf Jahren umso rasanter aus. Wer seit dem Börsengang investiert ist, bringt es heute schon auf eine persönliche Dividendenrendite von knapp 5%. Zusätzliche Anreize bietet das 2022 aufgelegte Programm für Aktienrückkäufe, nach dem bis 2026 eigene Anteile in Höhe von 2 Mrd. € vom Markt genommen werden sollen.
Höheres Risiko im Vergleich zu Hermès und LVMH
Trotz der Erfolge und der starken Marke ist die Bewertung auf einem Niveau mit Hermès bedenklich hoch. Denn Ferrari steht vor enormen Herausforderungen, die Hermès oder LVMH nicht zu bewältigen haben.
Schon 2030 sollen nur noch 20% der verkauften Ferraris ausschliesslich einen herkömmlichen Verbrennermotor besitzen. 40% sollen dagegen einen Hybridmotor haben und 40% vollelektrisch fahren. Nur sechs Jahre bleiben noch bis zu diesem Ziel, und kein Mensch hat je einen vollelektrischen Ferrari-Strassenwagen gesehen. «Die Einführung elektrischer Technologie bei unseren Autos ist teuer und der langfristige Erfolg ist unsicher», lautet eine Überschrift im Geschäftsbericht 2023.
Ferrari werde letztlich die Kunden bestimmen lassen, wie der Produktmix aussehe, vermeldeten die Analysten der Bank of America nach einer Investorentour mit CEO Vigna im Herbst 2023. Und die Analysten von JPMorgan zeigten sich nach der Tour durch das neue Produktionsgebäude erfreut, dass dort auch reine Verbrennermodelle und Hybridautos gebaut werden sollen. In vielen Märkten wird der Sportwagenhersteller jedoch darauf angewiesen sein, dass ihm die Kunden auch bei Elektromotoren einen technischen Vorsprung vor der Konkurrenz zutrauen und dafür einen hohen Aufpreis zahlen, weil die CO2-Emissionen zum Beispiel in der EU, in China oder in US-Bundesstaaten wie Kalifornien immer stärker reglementiert und gesenkt werden.
Welch grosse Notwendigkeit Agnelli-Clanchef John Elkann zum Umbruch bei Ferrari sieht, zeigt nicht zuletzt die Besetzung der Unternehmensspitze. Der seit 2021 amtierende CEO Vigna war zuvor beim Halbleiterhersteller STMicroelectronics tätig. Die Chefin für Digitales, Silvia Gabrielli, wirkte zuvor bei Microsoft. Zentrale Führungsaufgaben für Forschung und Entwicklung sowie Qualität leiten ehemalige Vigna-Getreue aus STMicroelectronics-Zeiten. Trotz der geballten Tech-Expertise ist Ferrari nicht grundsätzlich davor gefeit, dass es auch hier irgendwann Probleme mit der für Autos immer wichtigeren Software gibt. Diese war schliesslich nicht von jeher Kernkompetenz der Ingenieure in Maranello, anders als das Bauen hochleistungsfähiger Verbrennungsmotoren.
Bei Parfüm, Ledertaschen, Schuhen oder Anzügen schreitet der technologische Wandel dagegen eher gemächlich voran. Das macht das Geschäft von LVMH oder Hermès langfristig gesehen berechenbarer als das von Ferrari – auch wenn die besonders zahlungskräftige Klientel des Sportwagenherstellers Konjunkturdellen besser ignorieren kann als ein Teil der übrigen Luxuskundschaft.
Wegen des Technologierisikos wäre aus Anlegersicht ein Bewertungsabschlag im Vergleich zu Hermès und LVMH angebracht. Grund genug für The Market, demnächst einen der Fabrikanten herkömmlicher Luxusgüter in den Blick zu nehmen. Bei Ferrari scheint auf dem derzeitigen Bewertungsniveau für Investoren Vorsicht geboten.