Die Rede des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu vor dem amerikanischen Kongress wirkt wie erwartet. Der Gaza-Krieg ist zurück in den Schlagzeilen, linke Aktivisten demonstrieren auf den Strassen, und die Demokraten streiten über die Nahost-Politik.
Benjamin Netanyahus Botschaft an den amerikanischen Kongress und das Fernsehpublikum war vorhersehbar. In einer knapp einstündigen Rede zeichnete er den Krieg im Gazastreifen als einen Kampf zwischen Gut und Böse, Freiheit und Tyrannei, Leben und Tod. Es handle sich nicht um einen Konflikt zwischen Zivilisationen, sondern zwischen der Barbarei und der Zivilisation, sagte Netanyahu.
Die propalästinensischen Proteste in den USA seien von Iran finanziert, erklärte der israelische Ministerpräsident. Die Tausende von Menschen, die in Washington am Mittwoch gegen seinen Besuch demonstrierten, seien «Irans nützliche Idioten». Das Regime in Teheran wolle seine islamische Revolution in die ganze Welt exportieren. Wobei Amerika das eigentliche Ziel sei. Israel komme zuerst, Amerika danach. «Unsere Feinde sind eure Feinde. Unser Kampf ist euer Kampf. Unser Sieg wird euer Sieg sein.»
Harris bleibt der Rede fern
Gleichzeitig bedankte sich Netanyahu bei Präsident Joe Biden und dem früheren Präsidenten Donald Trump für deren grosse Unterstützung für Israel. Damit konnte er jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie stark er mit seinem Besuch in den USA polarisierte. Die Demokraten wollten ihn eigentlich gar nicht einladen. Die Initiative ging von Mike Johnson, dem republikanischen Speaker des Repräsentantenhauses, aus. Er wollte mit der Einladung die Demokraten spalten und damit – wie er vergangene Woche sagte – klarstellen: «Es gibt wirklich nur eine echte proisraelische Partei, und das ist die Republikanische Partei.»
Johnsons Kalkül ging auf. Die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris, die eigentlich solche gemeinsamen Versammlungen der beiden Kongresskammern auf der Bühne hinter dem Rednerpult leitet, blieb Netanyahus Auftritt fern. Die voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten begründete dies mit einem Wahlkampfauftritt in Indianapolis. Speaker Johnson kritisierte Harris jedoch scharf dafür: «Wir wollen die Anführer der freien Welt sein und können uns nicht dazu bringen, hinter unserem wichtigsten strategischen Verbündeten zu stehen.»
Neben Harris blieben gemäss unterschiedlichen Zahlen zwischen einem Viertel und der Hälfte der demokratischen Kongressabgeordneten der Rede fern. Unter ihnen befanden sich auch jüdische Politiker wie die kalifornische Abgeordnete Sara Jacobs. Sie wolle Netanyahus Verhalten in den vergangenen zehn Monaten nicht billigen, sagte sie gegenüber dem Fernsehsender CNN. Sie habe Familie in Israel, und die Sicherheit des Landes sei ihr wichtig: «Aber wie Netanyahu diesen Krieg geführt hat, wie er im Westjordanland vorgeht, das macht Israel nicht wirklich sicherer.»
Die vormalige und legendäre Speakerin der Demokraten, Nancy Pelosi, zerriss Netanyahus Rede auf dem Kurznachrichtendienst X: «Das war bei weitem der schlechteste Auftritt eines ausländischen Würdenträgers, der die Ehre und das Privileg erhielt, eine Rede im Kongress der Vereinigten Staaten zu halten.»
Netanyahus Besuch wurde bereits am Dienstag von Protesten begleitet. Rund 200 antizionistische Aktivisten der Organisation «Jüdische Stimme für Frieden» versuchten, ein Bürogebäude des Kongresses zu besetzen. Sie setzten sich um ein kreisrundes Transparent am Boden, auf dem stand: «Stoppt die Bewaffnung Israels. Niemand ist frei, bis alle frei sind.» Dazu sangen sie «lasst Gaza leben» und «beendet den Genozid».
Gedemütigter Senatsführer
Johnson indes spaltete die Demokraten nicht nur mit seiner Einladung, er demütigte auch insbesondere deren Senatsführer Chuck Schumer. Er ist der erste jüdische Mehrheitsführer der kleinen Kongresskammer. Doch im März hielt er im Senat eine scharfe Rede gegen Netanyahu. Dessen Ablehnung eines palästinensischen Staats sei «ein schwerer Fehler». Der israelische Ministerpräsident und die rückständige Vision seiner Regierung seien ein Hindernis für den Frieden. Es brauche deshalb Neuwahlen: «Israel kann nicht überleben, wenn es zum Paria wird.»
Kurz darauf kündigte Johnson die Einladung für Netanyahu an. Schumer sah sich gezwungen, diese ebenfalls zu unterzeichnen. Johnson drohte damit, Netanyahu nur durch das Repräsentantenhaus einzuladen, sollte der Senatsführer nicht einwilligen. «Ich habe immer gesagt, dass unsere Beziehung mit Israel felsenfest ist und jeden Ministerpräsidenten überdauert», erklärte Schumer.
Auch für Präsident Joe Biden ist Netanyahus Visite wenig erfreulich. Sie dürfte ihn an die Episode vor knapp zehn Jahren erinnern, als er selber Vizepräsident war. Ohne eine Einladung von Präsident Barack Obama reiste der israelische Ministerpräsident 2015 nach Washington, um vor dem Kongress das von den USA ausgehandelte Atomabkommen mit Iran als «sehr schlecht» zu zerreissen.
Im Gegensatz zu Obama wird sich Biden indes am Donnerstag mit Netanyahu treffen. Der amerikanische Präsident hofft noch immer, dass er vor den Wahlen im November einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg herbeiführen und die Befreiung der verbleibenden Geiseln verkünden kann. Nun, da Biden auf eine Wiederwahl verzichtet hat, dürfte er Netanyahu aber noch weniger zu einem Kompromiss mit der Hamas bewegen können. Im Mai wollte das «Time Magazine» vom Präsidenten wissen, ob Netanyahu den Krieg aus eigenen politischen Interessen in die Länge ziehe. Biden antwortete: «Die Leute haben jeden Grund, um zu diesem Schluss zu kommen.»
Treffen mit Trump in Florida
Während der Krieg im Nahen Osten die gespaltenen Demokraten im Herbst vielleicht den Wahlsieg kostet, sichert er Netanyahu vorderhand das politische Überleben. Auch für Kamala Harris kann der Konflikt zur Belastung werden. Die Vizepräsidentin will sich in Washington separat mit dem israelischen Ministerpräsidenten treffen. Sie soll Biden hinter den Kulissen dazu gedrängt haben, das Leid und die humanitäre Not der Palästinenser verstärkt anzusprechen. Ein Bruch mit Israel, etwa durch ein Ende der Waffenlieferungen, ist jedoch auch von Harris nicht zu erwarten.
Unabhängig davon dürfte Netanyahu nun aber auf einen Wahlsieg der Republikaner und Trumps hoffen. Er wird den konservativen Präsidentschaftskandidaten am Freitag in seinem Wohnsitz in Florida treffen. Trump soll zwar immer noch verärgert sein, weil Netanyahu Biden 2020 als einer der ersten ausländischen Spitzenpolitiker zum Wahlsieg gratulierte. Zudem kritisierte er Netanyahu auch dafür, dass dieser die gezielte Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani nicht mittrug. Netanyahu werde zudem zu Recht für das Versagen der israelischen Sicherheitsdienste vor dem Attentat der Hamas am 7. Oktober kritisiert, meinte Trump in einem Interview im April. Im Gegensatz zu den Demokraten fordert er jedoch keine Zweistaatenlösung. Diese sei heute «sehr, sehr schwierig» umzusetzen. Und auch von irgendwelchen Bedingungen für Waffenlieferungen an Israel wollen Trump und die Republikaner nichts wissen.







