Futurismus
Eine neue Generation von Designer-Sonnenbrillen macht dem Begriff «Statement Piece» gerade alle Ehre. Als Gesichtsaccessoires signalisieren sie auf fast schon bedrohliche Art: Bewundern erlaubt, aber auf Abstand, bitte!
«Böser Blick, arroganter Chic», denkt man sich, wenn man die neuen Sonnenbrillen mit ihren komplexen und anspruchsvollen Designs, mit ziemlich überdrehten Formen und Proportionen anschaut. Hinter ihnen wirkt jede und jeder ein wenig wie ein kämpferischer Avatar aus Fortnite. Ja, vielleicht sogar ein bisschen unsympathisch – aber eben auch faszinierend.
Diese Brillen sind jedenfalls das pure Gegenteil vom diskreten Chic zeitloser Klassiker wie die «Wayfarer» von Ray-Ban oder den Modellen von Persol – und für Undercover-Agenten und Möchtegern-Mister-Ripleys wohl gar nichts. Wer mit solch einem Modell herumläuft, zieht mit Sicherheit die Blicke auf sich, signalisiert aber auch: Lasst mich bloss in Ruhe! Es ist ein Spiel der Paradoxe: auffallen und verkleiden, aber dennoch anonym bleiben.
Bis vor kurzem wurde diese Art grotesker Statement-Sonnenbrillen meist nur als reines Showteil für Modeschauen produziert, nun lancieren immer mehr Luxusmarken sie auch für den Verkauf. Dank Internet und Social Media findet sich unter der modisch immer besser informierten und wachsenden Käuferschaft einige hundert Fans und Sammler, die in ein abgefahrenes Accessoire ihrer Lieblingsmarke investieren wollen.
1. «Spiral 01» von Mugler und Gentle Monster
Dass es offensichtlich ein Publikum für solche Kreationen gibt, beweist die Kollaboration zwischen der Pariser Modemarke Mugler und dem Brillenlabel Gentle Monster. Für die «Spiral 01»-Sonnenbrille überarbeitete der Mugler-Kreativchef Casey Cadwallader die insektenenartige «Fourmis»- oder «Fly»-Brillen, die der Gründer der Marke und Modedesigner Manfred Thierry Mugler (1948 – 2022) für seine Haute-Couture-Kollektion «Les Insectes» 1997 entwarf.
Für diese neue Kollaboration wurde ein ziemlich hoher Marketingaufwand betrieben – mit Erfolg: Einen Tag nach dem Launch am 18. Juli waren im Online-Shop alle drei Farbvarianten der «Spiral 01» ausverkauft.
2. «5G»-Sonnenbrille von Balenciaga
Ein weiteres aktuelles Sonnenbrillen-Highlight ist die «5G»-Sonnenbrille von Balenciaga. Die Entwürfe des Balenciaga-Kreativchefs Demna sind immer ein Aufbrechen gängiger Betrachtungsweisen, das sich vor allem in Form von Spielereien mit Klischees, vor allem aber in dekonstruierten Kleidungsstücken, zeigt.
Als Abgänger der renommierten Modeschule in Antwerpen zitiert Demna gerne einmal den Altmeister dieses Genres, den Belgier Martin Margiela. Die neue «5G»-Sonnenbrille erinnert als schwarzes Band aus biobasiertem Inkjet-Nylon stark an die «Incognito»-Sonnenbrille von Martin Margielas Kollektion für Frühjahr/Sommer 2008, die wie ein schwarzer Balken die Gesichter der Models «zensierte».
Die Balenciaga-Neuinterpretation ist dynamischer und trägt Demnas typische Handschrift: Von der spitzen Nasenpartie und bedrohlichen Einbuchtung zwischen den Brauen steigt die Sonnenbrille steil über die Ohren hinauf.
3. «VeryDior M1U»-Sonnenbrille von Dior
Eine elegantere, klassischere Version der Balkenbrille findet man bei Dior. Die Pariser Maison mag ihre Wurzeln in den adretten Kostümen des Gründers Christian Dior haben, bedient aber heute als eine der grössten und bekanntesten Luxusmarken überhaupt ein breites Publikum. Unter dem Schirm der französischen Eleganz wird so auch ein jüngeres Publikum beworben, jüngst etwa auch mithilfe des jungen spanischen Pop-Stars Rosalía als neue Markenbotschafterin.
Das maskenartige Design hat etwas Derbes und Rebellisches, ist aber mit «CD»-Logo und in glänzendem Schwarz dennoch sehr chic.
4. «1.0 Millionaires Sunglasses» von Louis Vuitton
Anno 2004 entwarf Louis Vuitton – damals unter der kreativen Leitung von Marc Jacobs – mit dem Musiker Pharrell Williams und dessen Kollege Nigo die «Millionaires»-Sonnenbrille. Die Liaison zwischen angesehenen Hip-Hop-Musikern und einer traditionellen Luxusmaison schlug damals hohe Wellen. Zwanzig Jahre später sind die beiden noch berühmter und sogar Kreativchefs von Pariser Luxusmarken: Nigo für Kenzo, Pharrell für die Herrenlinien von Louis Vuitton. Nach einem Redesign im Frühjahr 2019, dem Modell «1.1 Millionaires» des damaligen Herren-Kreativchefs Virgil Abloh (1980 – 2021), folgt nun eine weitere Neuinterpretation der Pilotenbrille.
Das Redesign 2024 kommt in zwei Formen: Die «1.0 Millionaires» in schokoladenbraunem Schildpatt, die mit goldenen, mit den Symbolen des Louis-Vuitton-Monogramms geprägten Metallstreifen an der Stirnseite dem Original genau nachempfunden ist. Und das neue Modell «3.0 Millionaires» aus Kohlefaser, mit silbernen Scharnieren und Metallstreifen mit Damier-Muster auf der Oberseite. Beide sind wuchtig und so unbescheiden wie ihr Name.
5. «Triomphe Metal Racer» von Celine
Ein feminines Gegenstück dazu findet man bei Celine. Das neue Brillenmodell «Triomphe Metal Racer» hat den Look jener Maskenbrillen der 2000er Jahre, wie sie einst Paris Hilton oder Victoria Beckham gern zum teuer aussehenden Beverly-Hills-Look trugen. Protzige Arroganz pur strahlt diese Brille aus goldenem Metall mit barockem Logo und bedrohlich geschwungener Brauenpartie aus.
6. «Amelia» von Saint Laurent
Einen Tick eleganter, aber nicht minder überheblich ist die Pilotenbrille «Amelia» von Saint Laurent. Leicht monströs wirken deren Proportionen, ragen doch die tropfenförmigen Gläser weit über die Wangenpartie, während ein goldfarbener Metallsteg zwischen den Brauen gleich auch als eleganter Brillenbügel dient.
An der Modeschau für die Kollektion Frühjahr/Sommer 2024 trug das Supermodel Eva Herzigova die Sonnenbrille zu riesigen, skulpturalen Ohrringen, schwarzen Lederhandschuhen und einem schulterfreien Bustier-Overall. Ein mondäner, kraftvoller Auftritt.