Forscher wollen den Regolith auf dem Mond nutzen, um daraus Häuser, Strassen und Solarzellen für künftige Siedlungen herzustellen. Die Technologien könnten auch auf der Erde hilfreich sein.
Auf den Animationen der Raumfahrtagenturen schaut es so einfach aus: Da steht eine Mondstation mit mehreren Gebäuden, im Hintergrund hebt eine Rakete ab – buntes Treiben auf dem Nachbarn der Erde. Die Realität ist freilich anders. Die Rückkehr der Menschen zum Mond verzögert sich. Derzeit heisst es: nicht vor 2026. Noch länger wird es dauern, bis dort erste «Häuser», Tankstellen und Startplätze für Raketen entstehen. An den dafür erforderlichen Technologien wird längst geforscht, doch auch dabei erweist sich der Mond als herausforderndes Terrain.
Während in der Apollo-Ära sämtliche Gerätschaften von der Erde mitgebracht wurden, wollen Raumfahrtagenturen und Firmen nun verstärkt Ressourcen vor Ort nutzen, auch um den teuren Transport von der Erde zu vermeiden. Unter dem Akronym ISRU («in situ resource utilization») entwickeln sie Verfahren, um aus Mondstaub beispielsweise Baumaterialien für Häuser, Strassen und Raketenstartplätze herzustellen oder Solarzellen zur Energieversorgung.
Der Mondstaub ist extrem scharfkantig
Prototypen solcher «Mondziegel» werden unter anderem an der TU Berlin gefertigt. Sie sind würfelförmig und schwarz, die Oberfläche teils glänzend, teils stumpf. Noch sind sie nur wenige Millimeter gross, denn vorerst geht es um das Prinzip: Ein Laserstrahl wird auf den Mondstaub, den sogenannten Regolith, gerichtet, bis dieser schmilzt und wieder zu festen Strukturen erstarrt.
«Auf diese Weise können Bauelemente hergestellt werden für Behausungen oder zur Befestigung von Wegen», erläutert Enrico Stoll, Leiter des Fachgebietes Raumfahrttechnik an der TU Berlin. Denn die scharfkantigen Regolith-Partikel sind gefürchtet. Werden sie durch ein Mondmobil oder eine startende Rakete aufgewirbelt, dringen sie in kleinste Ritzen. Der Staub setzt nicht nur beweglichen Bauteilen und Oberflächen zu. Nach den Apollo-Missionen klagten Astronauten auch über gereizte Atemwege. Mittels Laser gefertigte Pflastersteine sollen die Staubbelastung verringern.
Für ihre Forschungen verwenden Stoll und seine Kollegen natürlich kein echtes Mondmaterial; das wäre unbezahlbar. Sie nutzen ein Simulat, ein graues Pulver, das dem Regolith chemisch und physikalisch sehr nahe kommt. Es besteht aus gemahlenen Gesteinen, die ein Geologe im Team in halb Europa zusammengesucht hat.
Hier im klimatisierten Labor ist das Ziegelbacken keine grosse Kunst, ganz anders jedoch auf dem Mond. «Die Geräte werden extremen Bedingungen ausgesetzt sein», sagt Stoll. Da weder eine schützende Atmosphäre noch ein Magnetfeld existierten, sei alles und jeder mit starker Strahlung und Teilchenbeschuss aus dem Weltraum konfrontiert. Diese können elektronische Bauteile schädigen.
Hinzu kommen Temperaturschwankungen zwischen minus 160 und plus 140 Grad Celsius, obendrein gibt es ein Hitzeproblem: Ohne Luft gibt es keine Luftzirkulation, entsprechend schwierig ist es, die entstehende Abwärme der Geräte loszuwerden. Vor allem müssen ISRU-Verfahren autonom ablaufen, denn Astronauten werden nur zeitweise auf dem Mond sein und haben dann andere Aufgaben zu erledigen.
Vor den Forschern liegt also noch allerhand Arbeit, um den Ziegeldrucker mondtauglich zu machen. Im Jahr 2027 solle eine Demomission starten, kündigt Stoll an. «Es wird das erste Experiment sein, das additive Fertigung auf dem Mond zeigt.» Das Laserzentrum Hannover als Konsortialführer hat dazu einen Vertrag mit der amerikanischen Firma Astrobotic geschlossen. Sie soll das automatisierte Technologieexperiment der deutschen Wissenschafter auf dem Mond absetzen.
Die Konkurrenz ist gross, etliche Forschungsteams arbeiten an Technologien, um eine längerfristige Besiedlung des Mondes zu ermöglichen. Die Nasa hat im vergangenen Jahr elf Unternehmen ausgewählt und insgesamt 150 Millionen Dollar verteilt, um deren Vorhaben voranzubringen. Darunter ist die Firma Redwire aus Florida, die ebenfalls Steine aus Regolith backen will, allerdings mithilfe von Mikrowellenstrahlung.
Auch die ESA unterstützt ISRU-Forschungen, etwa im Projekt Paver. Das Ziel: auf dem Mond Strassen bauen, indem man mit intensivem Laserlicht Mondstaub zum Schmelzen bringt.
Wer hat am Ende die Nase vorn?
Auf den ersten Blick erscheint es unsinnig, mehrere ähnliche Konzepte zu fördern. Am Ende geht es jedoch um Technologieführerschaft: Wer zuerst eine funktionierende Lösung hat, kann einen grossen Markt bedienen. Das ist zumindest die Vision der Raumfahrtagenturen, Firmen und Entwickler. Für sie ist der Mond der achte Kontinent, den die Menschheit erschliessen wird, um dort zu forschen, Ferien zu machen und Rohstoffe zu gewinnen.
Die Argumente der Skeptiker sind bekannt: Zu lebensfeindlich sei es dort, als dass es ein attraktives Reiseziel für Massen werden könnte. Und Rohstoffe seien auf der Erde genug vorhanden. Selbst das Helium-3 für Fusionskraftwerke liesse sich kaum wirtschaftlich auf dem Mond einsammeln und hierherholen.
Auch das Auto und das Smartphone wurden unterschätzt
«Wir versuchen aus den Erfahrungen der Vergangenheit auf die Zukunft zu schliessen und sind damit seit 10 000 Jahren zuverlässig gescheitert», entgegnet Kai-Uwe Schröder, Professor für Strukturmechanik und Leichtbau an der RWTH Aachen. Schröder zählt Innovationen auf, denen anfangs wenig Erfolg zugetraut wurde: Auto, Internet, Smartphone. «Deshalb warne ich davor, von vornherein Dinge auszuschliessen.» Er ist sich sicher, dass es einen Business-Case für den Mond gibt, mindestens im Tourismus.
In der Initiative «Moon Factory» entwickeln er und seine Kollegen Technologien zur Besiedlung des Himmelskörpers. Dazu gehören Fasern, die aus geschmolzenem Regolith gesponnen werden und vielleicht einmal als Bodensubstrat für eine Mondgärtnerei dienen. Oder dazu, Tragstrukturen zu bauen wie bei einem Stadiondach, auf das dann Regolith geschüttet wird, damit er die Bewohner vor Strahlung schützt.
Gehe es allein um die Technologieentwicklung, sei das in zehn bis fünfzehn Jahren zu schaffen, meint Schröder. Wenn man die Finanzierung mit berücksichtige, könne es beliebig länger dauern. Auf der Suche nach Fördermitteln hat Schröder nicht nur Institutionen wie die Nasa oder die ESA im Blick. Er nennt ausdrücklich auch China, das sein Mondprogramm entschlossen voranbringt. Erst kürzlich gelang es dem Land erstmals, Proben von der erdabgewandten Seite des Mondes zur Erde zu bringen.
«Wir neigen in Mitteleuropa zu einer gewissen Überheblichkeit, müssen aber erkennen, dass uns andere Nationen überholt haben», sagt Schröder. Es werde noch Jahre dauern, bis wir in puncto Mond dort seien, wo China schon heute sei. «Wenn es möglich wäre, würde ich sehr gern mit China kooperieren.» Er denkt zum Beispiel an einen Mitflug seines Experiments auf einer chinesischen Mission, um die Technologien unter realen Bedingungen zu testen.
Da das nicht sehr realistisch ist, sucht Schröder nach Fördermöglichkeiten jenseits der Raumfahrt. Denn viele Entwicklungen für den Mond könnten gleichzeitig auf der Erde hilfreich sein. «Konzepte, die automatisiert und ausfallsicher sind, sind auch für den Meeresboden interessant, wo kein Mensch hingelangen kann», so Schröder. Methoden, um Bauteile vor Sandkörnchen zu schützen, könnten wiederum in der Wüste nützlich sein, wenn dort Windkraftanlagen errichtet werden.
Im Labor der TU Berlin zeichnen sich ebenfalls irdische Anwendungen ab. Um Regolith-Simulat mit Sonnenlicht zu schmelzen, haben die Forscher eine stark konzentrierende Linse verwendet, wie sie früher gelegentlich in Heckscheiben von Autos sass. Inzwischen interessiert sich ein grosser Glashersteller für diese Linse.
Wirtschaftliches Potenzial könnte auch ein anderes Verfahren haben, das die TU-Forscher entwickelt haben. Dabei wird aus dem Silizium-haltigen Regolith ein Glassubstrat erzeugt, das schliesslich zu einer Solarzelle weiterverarbeitet wird. Auf der Erde gäbe es dafür zig Anwendungen, etwa Glasfassaden, die Strom erzeugen. Auf dem Mond, wo es keine anderen Energiequellen gibt, wäre eine Solarzelle auf Regolith-Basis eine Revolution. Gelänge es, Solarmodule vor Ort zu fertigen, müsste man sie nicht teuer einfliegen.
Kein Wunder, dass die Idee einer Solarzelle aus Mondstaub auch anderswo verfolgt wird. Die amerikanische Firma Blue Origin arbeitet seit Jahren daran und erhielt 35 Millionen Dollar von der Nasa, um das Verfahren bis 2026 in einer simulierten Mondumgebung autonom zu demonstrieren.
Das Budget von Juan Carlos Ginés Palomares, Projektleiter an der Berliner Universität, ist deutlich kleiner. Er glaubt dennoch an einen Erfolg. Für den Materialforscher haben die ISRU-Konzepte auch eine philosophische Dimension: etwas Neues aus dem erschaffen, was man vorfindet. «Die Menschen fertigten zuerst Werkzeuge aus Steinen, später machten sie Ziegel, nur aus Lehm und Hitze.» Ähnliches geschehe bald auf dem Mond, wo aus Regolith und Hitze Ziegel würden, vielleicht auch Fasern und Solarzellen. Wenn man bedenke, was die Menschheit mittlerweile auf der Erde aus den verfügbaren Materialien geschaffen habe, sei auf dem Mond noch viel zu erwarten, meint er. «Wir stehen erst am Anfang.»