Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat am 1. August eine symbolische Festrede in New York gehalten. Thema waren auch die Schulden der USA. Die enge Wirtschaftsbeziehung der Länder wird ohnehin auf die Probe gestellt – egal wer ins Weisse Haus einzieht.
Die Alphornklänge mischen sich mit Autohupen, und hinter dem Flaggenmast wachsen Berge Wolkenkratzer in den Himmel. Die Rede zum 1. August, die Bundesrätin Karin Keller-Sutter mitten im New Yorker Finanzviertel gehalten hat, brachte eine etwas andere Stimmung hervor als Feste in Kesswil oder Rümlang.
Im Beisein des Bürgermeisters von New York, Eric Adams, wurden die Schweizer und die amerikanische Flagge gehisst, bevor man zu Raclette und Weisswein überging. Der berühmte Bulle der Wall Street streckte der Veranstaltung sein Hinterteil entgegen, doch die zahlreichen Touristen interessierten sich sowieso mehr für das Spektakel in Rot und Weiss.
Unter grossem Druck zusammengekommen
Der Auftritt in New York mag sich gut in die Reisepläne der Finanzvorsteherin gefügt haben, aber er hatte auch symbolische Bedeutung. Die Beziehung der USA zur Schweiz ist so wichtig wie kaum je zuvor. Sie hat mit der CS-Krise 2023 eine grosse Prüfung überstanden – ohne Mitwirkung und Einverständnis der Amerikaner hätte statt der «Lösung UBS» das Chaos gedroht.
«Die Zusammenarbeit war lösungsorientiert und hat sehr gut funktioniert, weil sie in beiderlei Interesse war», sagt Keller-Sutter zurückblickend. Die USA hätten befürchtet, dass eine Abwicklung oder ein unkontrollierter Untergang der CS eine Ansteckungswirkung auf die internationalen Finanzmärkten gehabt hätte.
Keller-Sutter gewann dadurch in den USA an Profil. Erst im April gab sie CNBC, einem führenden TV-Kanal für Wirtschaftsnachrichten, ein Interview zu den Lehren aus der CS-Krise und zur Zukunft der Bankenregulierung.
Probleme mit der Abwicklung von Grossbanken müssten international adressiert werden, sagt Keller-Sutter heute, denn eine Abwicklung mit Bail-in bringe insbesondere in den USA weiterhin erhebliche Rechtsrisiken mit sich. Es könne zu Ringfencing kommen – also dass jeder Staat das Kapital der bei ihm angesiedelten Tochtergesellschaft im Inland behalten will. Das könne dazu führen, dass das Schweizer Stammhaus unterkapitalisiert sei. Das müsse man mit entsprechenden Eigenkapitalvorschriften angehen, was der Bundesrat vorschlage.
Aber es sei auch wichtig, die Fragen international rechtzeitig zu diskutieren. Illusionen macht sich Keller-Sutter allerdings nicht: «Sie werden die US-Behörden nicht dazu bringen, dass sie ex ante Zusicherungen machen.»
Die Warnungen würden gehört
Wie im Inland besteht auch in internationalen Gremien die Gefahr, dass man sich nach überstandener Krise auf die Schulter klopft und die Lehren vergisst. Keller-Sutter denkt jedoch nicht, dass die Warnungen verhallen: «Ich habe den Eindruck, dass wir gehört werden.» Im Moment habe die Umsetzung von Basel III, also den neuen internationalen Eigenkapitalregeln für Banken, noch Priorität. Aber die Sensibilität beim Financial Stability Board und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) sei vorhanden.
Im bilateralen Verhältnis mit den USA liegen derweil noch weitere wichtige Themen auf dem Tisch, etwa das Doppelbesteuerungsabkommen. Für Aufsehen sorgte auch, dass die Schweiz und die USA Ende Juni ankündigten, das Fatca-Abkommen zu erneuern. Ab 2027 werden nun also auch die USA Steuerinformationen von Schweizer Bürgern an die Schweiz weiterleiten – wie es umgekehrt die Schweiz schon seit einem Jahrzehnt tut.
Profitierten die Verhandlungen davon, dass man sich bei der geglückten CS-Rettung angenähert hatte? «Da darf man sich keine Illusionen machen», sagt Keller-Sutter. «Jeder vertritt seine Interessen, und jeder Fall wird für sich behandelt.» Die Verhandlungen zu Fatca seien ruhig und professionell verlaufen, aber zäh. «Die Schweiz blieb hartnäckig, denn wir wollten Ausnahmebestimmungen zugunsten der Schweiz nicht aufgeben. Ich bin froh, dass sie zu einem Abschluss gekommen sind.»
Die Schuldenbremse bleibt zu Hause
In ihrer Rede brachte Keller-Sutter allen Freundlichkeiten zum Trotz auch dezente Kritik am Gastgeber an. Die internationale Verschuldung habe ein besorgniserregendes Ausmass angenommen, sie gefährde zunehmend die Resilienz der westlichen Staaten, so die Bundesrätin. «Albert Gallatin, der Genfer, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter Thomas Jefferson viele Jahre als strenger Kassenwart der USA gedient hatte, würde sich im Grab umdrehen.»
Diese Warnung dürfte im Vorfeld der US-Wahlen kaum auf offene Ohren stossen. Weder die Demokraten noch die Republikaner sind derzeit an Sparprogrammen interessiert – geschweige denn an mitteleuropäischen Sonderlichkeiten wie einer Schuldenbremse.
Doch der Schweiz kann es nicht gleichgültig sein, wenn sich Amerika immer weiter verschuldet. Die hohe Verschuldung der USA, aber auch vieler Länder im globalen Süden und in Europa birgt gemäss Keller-Sutter Risiken für die Finanzstabilität und die weltweite Konjunktur: «Ich bin seit 2023 im Finanzdepartement, und die Verschuldung ist an jedem Treffen des IWF das Topthema.»
Amerika wendet sich nach innen
Die USA tendieren zudem immer stärker zum wirtschaftlichen Protektionismus, was der Schweiz schaden könnte. Viele Amerikanerinnen und Amerikaner haben das Vertrauen in die Globalisierung verloren, weshalb ihnen beide Parteien Schutz versprechen, wahlweise vor Migranten oder ausländischen Billigprodukten.
Keller-Sutter verweist auch auf Gespräche, die sie an der New Yorker Börse geführt hatte. Man gehe davon aus, dass das Land protektionistischer werde, unabhängig davon, wer im November gewählt werde. Doch die USA seien mittlerweile der grösste Exportmarkt für die Schweiz geworden, noch vor Deutschland. «Es ist für die Schweiz wichtig, dass wir auf offene Märkte zählen können. Protektionismus ist schlecht.» Das gelte aber nicht nur für die USA.
Doch was werden die nächsten vier Jahre bringen? Kamala Harris hat unlängst zwar die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock besucht. Sie gilt aber nicht als ausgewiesene Schweiz-Kennerin und stand Freihandel bisher generell oft skeptisch gegenüber. Im Senat stimmte sie als eine von wenigen Abgeordneten etwa gegen die Erneuerung des Handelsabkommens der USA mit Mexiko und Kanada.
Die Beziehungen der Schweiz zur Regierung Biden, die Harris als Vizepräsidentin repräsentiert, waren zudem kompliziert. Nachdem Russland in der Ukraine einmarschiert war, erscholl aus den USA regelmässig der Vorwurf, die Schweiz setze die Sanktionen gegen Russland zu wenig konsequent um. Scott Miller, der amerikanische Botschafter in der Schweiz, übte im Interview mit der NZZ harsche Kritik.
Generell waren die Beziehungen der Schweiz zu republikanischen Regierungen oft entkrampfter. Donald Trump soll zwar ein Freund der Schweiz sein. Ob die Schweizer Exporteure deswegen von den Zollschranken verschont bleiben, die Trump um sein Land hochziehen will, ist aber sehr fraglich.
Es braucht den direkten Draht
In diesem Umfeld seien persönliche Kontakte wichtig, sagt Keller-Sutter, etwa über die Treffen des IWF oder der G-20, aber auch über emotionale Anlässe wie eine Flaggenzeremonie. «Sie können nicht einfach herkommen und einige Papiere unterschreiben, sie müssen auch eine Beziehung aufbauen. Das heisst nicht, dass man alle Anliegen erfolgreich durchsetzen kann. Aber es hilft.»