Wenn die Sonne Materie ausspuckt, betrifft das auch Satelliten. Mehrere Tausend von ihnen wurden in ihrer Umlaufbahn gestört. Schlimmere Folgen sind ausgeblieben – für diesmal.
Der Name deutet es bereits an. Polarlichter sind ein Phänomen, das man normalerweise nur in der Nähe der Pole bestaunen kann. Umso grösser war die Begeisterung, als sich der Himmel im Mai auch in Mitteleuropa bunt färbte. Selbst in Portugal und Spanien waren Polarlichter zu sehen.
Der Auslöser für das Spektakel war ein heftiger Sonnensturm. Die Sonne besteht aus heissem Plasma, also elektrisch geladenen Teilchen. Über einer aktiven Region der Sonne kam es zu mehreren Ausbrüchen von intensiver elektromagnetischer Strahlung. Parallel dazu schleuderte die Sonne Teilchenwolken ins All. Als das von starken Magnetfeldern begleitete Plasma am 11. Mai auf die Erde traf, schwächte sich das Erdmagnetfeld merklich ab. Es war der stärkste geomagnetische Sturm, den die Erde seit 21 Jahren erlebt hatte.
Ein Sensor des Gaia-Teleskops funktioniert nicht mehr
Der Sonnensturm vom Mai hatte auf der Erde nicht nur erfreuliche Folgen. Wie die ESA vor wenigen Tagen bekanntgegeben hat, traf der Sturm das europäische Weltraumteleskop Gaia. Das 450 Millionen Euro teure Teleskop ist seit 2013 im Weltall und darauf spezialisiert, die Sterne der Milchstrasse sehr präzise zu vermessen.
Die Elektronik von Satelliten ist speziell gehärtet, um sie vor der ionisierenden Strahlung im Weltraum zu schützen. Trotzdem setzte der Sonnensturm vom Mai einen Sensor des Gaia-Teleskops ausser Kraft. Das Teleskop hatte daraufhin Mühe, schwache Lichtpunkte als Sterne zu erkennen. Reparieren lässt sich der Sensor nicht. Inzwischen konnte das Problem aber durch eine Anpassung der Software behoben werden. Bei anderen Satelliten der ESA sei es zu geringfügigen Datenverlusten gekommen, sagt Juha-Pekka Luntama, der das Space Weather Office der ESA leitet. Die Folgen seien aber nicht gravierend.
Das Gaia-Teleskop ist 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Ganz anders betroffen sind Satelliten, die in einer Höhe von 300 bis 1000 Kilometern um die Erde kreisen. In dieser Region operieren zum Beispiel die mehr als 6000 Satelliten des Starlink-Satellitennetzwerkes von SpaceX. Es war das erste Mal, dass so viele Satelliten die Folgen eines heftigen geomagnetischen Sturms zu spüren bekamen.
Nach einem Sonnensturm dehnt sich die Atmosphäre aus
Durch die Abschwächung des Erdmagnetfelds können Teilchen von der Sonne tiefer in die Erdatmosphäre eintauchen. Die Folge davon ist, dass sich die Atmosphäre erwärmt und ausdehnt. Dadurch sind Satelliten im erdnahen Weltraum einer stärkeren Reibung ausgesetzt, und sie verlieren schneller an Höhe. Unter Umständen kann das die Funktionsfähigkeit der Satelliten einschränken. Das gilt besonders für Satellitenkonstellationen, bei denen es auf die Formation der Satelliten ankommt.
In einer Arbeit, die demnächst im «Journal of Spacecrafts and Rockets» publiziert wird, haben Wissenschafter vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Folgen des Mai-Sturms genauer analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass durch das Ereignis die Dichte der Atmosphäre in einer Höhe von 400 Kilometern um das Sechsfache zugenommen hat. Wie sich das auf Satelliten ausgewirkt hat, zeigt das Beispiel eines russischen Erdbeobachtungssatelliten. Dieser verliert normalerweise 38 Meter pro Tag an Höhe. Während des geomagnetischen Sturms vom 11. Mai war es viermal so viel.
Andere Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen waren laut den MIT-Forschern gleichermassen betroffen. Vor dem Sturm nahmen ungefähr 1000 der etwa 10 000 aktiven Satelliten Korrekturen ihrer Umlaufbahn vor. Während des Sturms schnellte diese Zahl auf über 5000 hoch. Der Grossteil davon waren Starlink-Satelliten von SpaceX. Die Forscher sprechen von einem Massenphänomen, das so noch nie beobachtet worden sei.
Die Untersuchung der MIT-Forscher deckt sich mit Angaben von SpaceX. In einer Mitteilung an die Federal Communications Commission schreibt das Unternehmen, seine Satelliten seien einem drei- bis fünfmal so grossen Luftwiderstand ausgesetzt gewesen. Der Höhenverlust sei aber automatisch durch das Antriebssystem der Satelliten ausgeglichen worden. Das satellitenbasierte Internet habe auch während des Sturms funktioniert. Für den durchschnittlichen Starlink-Nutzer sei es zu einer Unterbrechung von maximal einer Minute gekommen, so SpaceX.
Wie viel Treibstoff die Satelliten bei der Korrektur ihrer Umlaufbahnen verloren haben, hat SpaceX nicht kommuniziert. Aber immerhin konnte ein Desaster wie im Jahr 2022 verhindert werden. Damals hatte ein deutlich schwächerer geomagnetischer Sturm 40 Starlink-Satelliten zum Absturz gebracht. SpaceX hatte diese trotz einer Warnung vor einem aufziehenden Weltraumunwetter in einer niedrigen Höhe von 200 Kilometern ausgesetzt. Von dort aus sollten die Satelliten aus eigener Kraft ihren endgültigen Orbit ansteuern. Dazu kam es aber nicht, weil der erhöhte Luftwiderstand 40 der 49 Satelliten abstürzen liess. Die Ignoranz kostete SpaceX schätzungsweise 100 Millionen Dollar.
Dass es diesmal keine grösseren Verluste gab, sollte allerdings nicht in falscher Sicherheit wiegen. «Wir hatten Glück, dass das Ereignis relativ kurz war», sagt Luntama. Dadurch seien die Bahnveränderungen der Satelliten relativ klein gewesen. Ausserdem sei der Sturm nicht stark genug gewesen, um die bodengestützten Radarsysteme zur Verfolgung der Satelliten ausser Kraft zu setzen. So habe man jederzeit gewusst, wo sich die Satelliten befinden.
Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Beim letzten grossen geomagnetischen Sturm im Jahr 2003 gingen die Spuren von einigen Satelliten für mehrere Tage verloren. Und auch der Weltraumschrott, der durch die Ausdehnung der Atmosphäre ebenfalls abgebremst wird, kreiste nicht mehr auf den katalogisierten Bahnen um die Erde. Würde sich ein solcher Fall heute wiederholen, so Luntama, stiege das Risiko von Kollisionen erheblich.
2012 schrammte die Erde knapp an der Katastrophe vorbei
Noch ist die Gefahr nicht ausgestanden. Die Sonne bewegt sich in ihrem elfjährigen Zyklus auf ihr Aktivitätsmaximum zu. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es in den nächsten Monaten zu weiteren Sonnenstürmen wie im Mai kommt. Und es kann sogar noch schlimmer kommen. Im Juli 2012 schleuderte die Sonne eine gigantische Plasmawolke ins All, die die Erde glücklicherweise verfehlte. Hätte sich die Eruption einige Tage früher ereignet, hätte uns ein ähnlich starker geomagnetischer Sturm erwartet wie im Jahr 1859. Damals hatte das berühmt-berüchtigte Carrington-Ereignis Telegrafenleitungen zum Glühen gebracht.
Heute leben wir in einer anderen Welt als damals. Ein vergleichbares Ereignis würde vermutlich sämtliche Kommunikationsnetze zusammenbrechen lassen und zu kontinentalen Stromausfällen führen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2013 könnten alleine in den USA Schäden in der Höhe von 600 Milliarden bis 2,6 Billionen Dollar entstehen. Das können auch die schönsten Polarlichter nicht aufwiegen.
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