Auch die neue Woche beginnt für die Aktienmärkte mit happigen Verlusten. Linderung dürfte erst erfolgen, wenn die Notenbanken einschreiten oder die Anleger das Handtuch werfen. So weit ist es noch nicht.
Es kam, wie es kommen musste. Der Ausverkauf an den weltweiten Börsen, der am vergangenen Donnerstag begonnen hat, setzt sich auch zu Beginn der neuen Woche fort. In Japan verliert der Nikkei 225 am Montag weitere 12,4%, und dies, nachdem das japanische Leitbarometer schon am Freitag fast 6% eingebüsst hatte. Es ist der heftigste Rückschlag seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011. Auch damals folgte auf einen ersten Rücksetzer von 6% ein weiterer Taucher von 10,6%.
Japan’s Nikkei 225 Index declined 17.5% over the last 2 trading days, its largest 2-day decline in history.
Nikkei returns 1-year following the 3 prior largest 2-day declines?
-Oct 1987: +25%
-Oct 2008: +43%
-Mar 2011: +18%Crashes = opportunity for long-term investors. pic.twitter.com/ehmH9AIeMt
— Charlie Bilello (@charliebilello) August 5, 2024
Nicht überraschend beschränkt sich der Ausverkauf nicht auf Japan. Auch die europäischen Börsen müssen Federn lassen. Praktisch alle wichtigen Indizes notierten in den ersten Handelsstunden zwischen 2 und 3% niedriger. Inzwischen haben sich die Verluste auf 3 bis 4% ausgeweitet. Dasselbe gilt für die USA. Die Futures auf den Nasdaq 100 knickten zwischenzeitlich mehr als 6% ein, konnten sich inzwischen aber ein wenig stabilisieren. Das Techbarometer dürfte rund 4,5% tiefer eröffnen, getrieben durch die grossen Namen.
So verliert Nvidia am Montag in Frankfurt zu Handelsbeginn mehr als 8%. Seit dem Hoch am 20. Juni ist der Kurs um fast ein Drittel eingebrochen. Andere Halbleiterwerte wie Super Micro Computer, Applied Materials oder Marvell Technology verloren am Montag mehr als 10%.
Buffett halbiert Apple-Position
Der Kurs von Apple stürzte am Montag kurz nach Handelsbeginn sogar um mehr als 10% ab. Seit dem Hoch Mitte Juli hat er damit mehr als 15% eingebüsst. Am Samstag hat Grossaktionär Berkshire Hathaway mitgeteilt, dass die von Warren Buffett geführte Holding im zweiten Quartal die Hälfte ihrer Apple-Position verkauft hat.
Berkshire besitzt weiterhin Apple-Aktien im Marktwert von mehr als 75 Mrd. $. Beim Aktionärstreffen im Mai hatte Buffett noch angekündigt, langfristig engagiert bleiben zu wollen. «Falls nichts Dramatisches passiert, das unsere Anlagestrategie fundamental verändert, wird Apple unser grösstes Investment bleiben», sagte Buffett dort.
Überhaupt herrschte an den Börsen bis vor kurzem noch eitel Sonnenschein – zumindest an der Indexoberfläche. Der von MSCI berechnete Weltaktienindex kletterte bis Mitte Juli unbeirrt in die Höhe. Es waren allerdings wenige grosskapitalisierte Aktien wie Microsoft, Nvidia oder Alphabet, die Anleger als Profiteure des Booms um das Thema künstliche Intelligenz (KI) ausgemacht hatten, die die Indizes getragen haben. Der Rest des Marktes kam seit Jahresbeginn kaum mehr vom Fleck.
US-Inflationsdaten stehen am Anfang vom Ende der Tech-Euphorie
Das änderte sich mit den US-Inflationszahlen für den Juni, die am 11. Juli publiziert wurden. Erstmals seit dem Corona-Taucher im Frühjahr 2020 sank die Teuerung gegenüber dem Vormonat. Damit wurden auch die Zinssenkungsfantasien neu belebt. Doch im Gegensatz zum altbekannten Mantra, dass von sinkenden Zinsen vor allem schnell wachsende Unternehmen profitieren, waren es klein- und mittelkapitalisierte Werte und Titel aus vernachlässigten defensiven Branchen wie Versorger und Gesundheit, die an Schwung gewonnen haben.
Der Russell 2000, der die kleinen und mittleren US-Namen versammelt, preschte zwischenzeitlich fast 12% vor, während der Nasdaq 100 und der S&P 500 Federn lassen mussten. Mit dem Ausverkauf von Donnerstag und Freitag kam aber auch der Russell unter Druck, er knickte rund 7% ein. Aus der erhofften Ausweitung der Marktbreite, die der Hausse neues Leben eingehaucht hätte, wurde also nichts.
Auslöser der gegenwärtigen Verkaufswelle dürfte ein Cocktail aus Notenbankentscheiden, durchwachsenen Unternehmensresultaten und schwachen Wirtschaftsdaten gewesen sein. So hat die US-Notenbank entgegen der leisen Hoffnung im Markt die Leitzinsen nicht gesenkt und auf das nächste Treffen im September verwiesen. Noch wichtiger dürfte aber der Zinsschritt der Bank of Japan von 0,1 auf 0,25% am Mittwoch gewesen sein. Erst im März hatte sie die seit 2016 verfolgte Nullzinspolitik beendet.
Auflösen der Yen-Carry-Trades reduziert Liquidität
Damit stärkte die BoJ den Yen weiter, der seit dem überraschenden Rückgang der US-Inflation zum Dollar zulegen konnte. Seit dem 11. Juli hat die japanische Valuta zum Greenback mehr als 13% zugelegt – an den Devisenmärkten kommt eine so heftige Bewegung eines wichtigen Währungspaars in so kurzer Zeit einem kleineren Erdbeben gleich. Verstärkt wird der Auftrieb durch das Auflösen von Carry Trades, bei denen sich Spekulanten zu Nullzinsen in Yen verschuldet und zu höheren Erträgen im Ausland angelegt haben. Natürlich lastet dieses Vorgehen auch auf den Long-Positionen der Carry Trades, zu denen neben höher rentierenden Fremdwährungsanleihen auch gut laufende Aktien und Kryptowährungen gezählt haben dürften.
Grösste Leidtragende der Yen-Aufwertung ist aber die japanische Börse, die zuvor jahrelang von der schwachen Valuta profitiert hatte. Die plötzliche Yen-Aufwertung war denn immer auch das Damoklesschwert, das über dem Nikkei 225 gehangen hat (mehr dazu hier, hier und hier). Nicht geholfen haben dürfte, dass auch in Tokio Profiteure des KI-Booms kotiert sind, nachdem sich Anleger nun plötzlich fragen, ob sich die riesigen Investitionen auszahlen werden. Titel wie Tokyo Electron, Lasertec oder Disco wurden von vielen als Zweitrundengewinner des KI-Hypes ausgemacht.
Allerdings dürften sich nach den ersten Schockwellen die positiven Fundamentaldaten durchsetzen. Japanische Unternehmen haben die jahrzehntelange Deflation genutzt, um ihre Bilanzen zu sanieren und grosse Cash-Bestände aufzubauen. Dank den Strukturreformen des damaligen Premiers Shinzo Abe wurden sie zudem aktionärsfreundlicher, haben Kreuzbeteiligungen aufgelöst und führen ihre riesigen liquiden Mittel über Dividenden und Aktienrückkäufe zunehmend an die Aktionäre zurück.
Wie weiter?
Eine rasche Erholung dürfte dann gelingen, wenn die US-Wirtschaft tatsächlich sanft landet. Das ist auch nach der jüngsten Eintrübung des Einkaufsmanagerindex für die Industrie, der in den USA im Juli von 48,5 auf 46,8 und damit tiefer unter die Wachstumsschwelle von 50 gesunken ist, und des schwachen Arbeitsmarktberichts vom Freitag noch das Basisszenario der meisten Experten. In diesem Fall dürfte ein beherztes Einschreiten der Notenbanken Unterstützung bieten.
Inzwischen gilt eine Senkung des Leitzinses um 50 Basispunkte auf 4,75 bis 5% beim nächsten Fed-Treffen vom 17. und 18. September als ausgemacht. Allerdings rechnen immer mehr Marktteilnehmer mit einer vorzeitigen Lockerung. Gemäss dem Datendienst Bloomberg gehen 60% der Trader von einem Zinsschritt des Fed noch diese oder Anfang nächster Woche aus.
Ob ein solcher Zwischenschritt ein gutes Zeichen wäre, muss sich allerdings erst noch weisen. Letztmals hat das Fed die Zinsen im Januar 2001 ausserordentlich gesenkt, und zwar um 50 Basispunkte. Bis Ende Jahr hat es den Leitzins von 6 auf 1,75% reduziert. Die Rezession konnte damit aber nicht verhindert werden, und der S&P 500 verlor zwischen Ende Januar 2001 und Juli 2002 mehr als 40% an Wert. Für den Nasdaq 100 belief sich der Verlust auf fast 70% – und dies, nachdem sich das Techbarometer seit dem Platzen der Blase im März 2000 bereits fast halbiert hatte. Die neue Hausse begann erst ab März 2003.
Gewiss, die Bewertungen der Techschwergewichte sind heute einiges niedriger als im Höhepunkt der Technologieblase (vgl. Tabelle). Dennoch dürften sie und die breiten Indizes weiter korrigieren, sollte tatsächlich eine Rezession drohen. BCA-Stratege Peter Berezin geht schon lange von einer harten Landung der US-Wirtschaft im nächsten Jahr aus. Die Hausse, die 2009 auf den Trümmern der Finanzkrise begonnen hatte, sei vorbei – und damit auch das inzwischen allseits bewährte Muster, jeden Einbruch als Kaufgelegenheit zu betrachten.
Allerdings rechnen auch weniger skeptische Anleger mit unruhigen Börsenmonaten. Neben der sich eintrübenden Konjunktur werden vor allem die Angst vor einem Flächenbrand im Nahen Osten sowie die US-Präsidentschaftswahl von Anfang November als Belastungsfaktoren ausgemacht.
Anleger scheinen damit gut beraten, mit Käufen vorerst zuzuwarten, bis sich entweder die Notenbanken bewegen oder die Investorenstimmung im Keller ist. Trotz der jüngsten Eintrübung ist letzteres noch nicht der Fall, wie das Risk Barometer von The Market zeigt. Gut bedient ist, wer in einem Sparplan monatlich in den Aktienmarkt investiert. Durch die sinkenden Kurse kaufen Anleger mit dem festgelegten Betrag mehr Fonds- oder ETF-Anteile und haben so ein antizyklisches Vorgehen institutionalisiert, das sich über die lange Frist auszahlt.