Die Zinserhöhung der Bank of Japan von vergangener Woche hat die globalen Börsen erschüttert. Eine Mitschuld trägt eine riskante Handelsstrategie.
Beim Blick auf die Zahlen, die am gestrigen Montag auf den Handelsbildschirmen aufblinkten, dürften selbst hartgesottene Marktveteranen geschluckt haben. In Tokio stürzte der Nikkei 225 12% ab, in Seoul korrigierte der Kospi 9% und auch in Europa und in den USA handelten die Börsen tiefrot und setzten damit ihren Ausverkauf vom Freitag fort. Auch Kryptowährungen wurden von der Panik erfasst – und wie so oft waren die Ausschläge bei Bitcoin und Co. noch massiver.
Am Dienstag zeigten die asiatischen Börsen zwar eine kräftige Erholung und auch in Europa scheinen sich die Kurse vorerst zu stabilisieren. Doch dass damit die Turbulenzen an den Börsen überstanden sind, ist fraglich.
Über die Gründe des massiven Abverkaufs wurde viel geschrieben. Nachdem sich in den USA lange Zeit positive Konjunkturdaten eher belastend auf den Aktienmarkt ausgewirkt haben – sie dämpften die Erwartungen auf baldige Zinssenkungen der US-Notenbank Fed –, hat der Wind vergangene Woche plötzlich gedreht: Schwache US-Arbeitsmarktzahlen und fallende Einkaufsmanagerindizes erinnerten die Marktteilnehmer daran, dass sich eine mögliche Rezession negativ auf die Unternehmensgewinne auswirken würde, was entsprechend die Aktienkurse belastet.
Bad News sind also keine Good News mehr, sondern tatsächlich das, was der Name sagt: schlechte Nachrichten.
Auflösung von Carry-Trades verstärkten den Abverkauf
Schlechte Wirtschaftsdaten trüben die Stimmung an den Börsen, keine Frage. Doch hinter der massiven Verkaufswelle vom Montag dürfte nach Meinung von Experten auch eine besondere Abhängigkeit internationaler Investoren von der japanischen Geldpolitik stecken, die vielen erst jetzt klar geworden sein dürfte. «Der Ausverkauf am Montag ist zu grossen Teilen auf die Auflösung von sogenannten Carry Trades zurückzuführen», sagte etwa der amerikanische Marktstratege Ed Yardeni im Interview mit Bloomberg TV.
Was sind Carry Trades?
In den vergangenen Jahren hat eine beliebte Handelsstrategie einen noch grösseren Zulauf erlebt als üblich. Bei einem Carry Trade leihen sich Investoren japanische Yen zu Zinsen, die bis zuletzt nahe null tendierten, um sie anschliessend global in höher rentable Anlagen wie Anleihen oder Aktien umzuschichten. Normalerweise wird das in Japan günstig aufgenommene Geld in höher verzinste US-Staatsanleihen investiert. Dadurch erhalten die Anleger die Differenz zwischen den Zinssätzen der Bank of Japan (BoJ) und des Fed.
Im Herbst 2022, als an den Börsen nach einer Korrektur der Risikoappetit wieder zunahm, ist der Yen-Carry-Trade allerdings zunehmend auch für Aktienkäufe genutzt worden. «Die Anleger nahmen das billige Geld und investierten es nicht nur in japanische Aktien, sondern in Anlagen auf der ganzen Welt, einschliesslich US-Titeln wie den glorreichen Sieben», sagt Yardeni.
Carry-Trades waren lange Zeit ein gutes Geschäft
Ähnlich beschreiben es die Investmentstrategen von TS Lombard in einer am Montag veröffentlichten Research Note, die in den Carry Trades eine «wahrscheinlich wichtige Triebfeder» sowohl für den Preisanstieg von japanischen Assets als auch für die Hausse von US-Aktien sehen. «Die USA sind der Hauptempfänger japanischer Gelder und die Daten aus Japan zeigen seit 2022 eine starke Rotation in Aktien.»
Die folgende Grafik von Yardeni Research zeigt eine interessante Korrelation zwischen dem US-Technologieindex Nasdaq 100 und dem Yen-Dollar-Kurs (invertierte Skala). Seit Anfang 2023 hat sich der Yen gegenüber dem Dollar kontinuierlich abgewertet, während Tech-Aktien stetig an Wert hinzugewonnen haben. Als der Nasdaq Mitte Juli nach unten drehte, ging dies zeitgleich mit einer Aufwertung des Yen einher. In den vergangenen Tagen hat sich die Entwicklung dann noch einmal verstärkt.
Sicher: Die US-Technologiebörse wird nicht allein von Carry Trades getrieben, doch die starke Korrelation spricht für einen gewissen Einfluss.
BoJ-Zinserhöhung schockte Carry Trader
Was ist nun das Problem?
Solche Carry Trades funktionieren einwandfrei, solange das Zinsniveau in Japan niedrig bleibt und die Anlagen, in die das billige Geld investiert wurde, steigen. Doch in der vergangenen Woche machte die BoJ den Anlegern einen Strich durch die Rechnung, als sie die Leitzinsen überraschend von 0 bis 0,1% auf 0,25% erhöhte – während sich in der US-Geldpolitik ein Zinssenkungszyklus abzeichnet.
Was folgte, war ein abrupter Anstieg des Yen gegenüber dem Dollar, wodurch sich sowohl der reale Wert der ausstehenden Kredite (also der ausgeliehenen Yen) verteuerte, als auch die Zinsen, mit denen diese Kredite bedient werden, erhöhten. Massenweise Margin Calls waren die Folge, bei denen Investoren ihre Positionen verkaufen mussten, um diese in Yen umzuschichten und die Refinanzierung der Kredite sicherzustellen.
Für Yardeni ist der globale Sell-off, der sich am Montag zugetragen hat, der Beweis, dass viel Geld in Japan zu 0%-Zinsen aufgenommen wurde, um es für Spekulationen in anderen Teilen der Welt zu verwenden. Er hat allerdings auch eine gute Nachricht: «Die Rückabwicklung der Carry Trades sollte bis Ende der Woche vorüber sein.»
Das bedeutet natürlich keine Entwarnung für die Börsen. Schliesslich hängt die langfristige Entwicklung der Märkte nicht allein von Carry Trades ab. Sie sind – wie sich jetzt wieder gezeigt hat – aber häufig Katalysatoren eines allgemeinen Ausverkaufs an den Börsen.