Kamala Harris hat den Gouverneur von Minnesota zu ihrem «Running Mate» auserkoren. Walz ist beliebt und bodenständig, aber auf nationaler Ebene war er bisher kaum bekannt. Es sind gerade seine unspektakulären, volksnahen Qualitäten, die ihn auszeichnen.
Bis vor kurzem kannte kaum jemand ausserhalb von Minnesota den dortigen Gouverneur, Tim Walz. Noch in den letzten Tagen, als die Listen von Kamala Harris’ möglichen «Running Mates» kursierten, wurde er kaum je zu den Favoriten gezählt. Und nun wird er mit der demokratischen Präsidentschaftskandidatin den spät lancierten, aber umso intensiveren Wahlkampf bestreiten. Es bleiben nur noch drei Monate bis zur Wahl.
Ein einziges Wort machte Walz berühmt
Zu nationaler Berühmtheit brachte es Walz erst etwa vor einer Woche, und zwar mit einem einzigen Wort: «Weird» – zu Deutsch seltsam, merkwürdig oder komisch. Er bezeichnete damit bei einem öffentlichen Auftritt Donald Trump und seinen «Running Mate» J. D. Vance, nachdem dieser kinderlose Frauen als «Katzen-Ladies» verunglimpft hatte. «Diese Leute sind einfach komisch», sagte er über das republikanische Gespann. Das sass, gerade weil es so bodenständig daherkam. Der Clip ging viral und brachte offenbar einen weit verbreiteten Eindruck auf den Punkt.
Minnesota ist kein Swing State; die Demokraten sind dort bereits klar im Vorteil. Dieser oft diskutierte, aber überschätzte Faktor – mit dem Vizepräsidenten zusätzliche Stimmen aus einem umkämpften Gliedstaat zu holen – spielte bei der Wahl von Walz also keine Rolle. Vielleicht wurde er auch aus diesem Grund etwas übersehen. Walz hat aber auch nicht den Nimbus des Nasa-Astronauten Mark Kelly, er sorgt nicht für Kontroversen wie Josh Shapiro, und er ist kein intellektuell brillanter Redner.
Aber der langjährige Geografielehrer verkörpert etwas vom Durchschnittsamerikaner aus der Provinz mit gesundem Menschenverstand und ergänzt in dieser Hinsicht Kamala Harris perfekt. Er steht zwar links von Kelly und Shapiro, was ein Nachteil sein könnte, weil schon Harris für viele Mitte-Wähler zu «progressiv» ist; aber er wirkt nicht ideologisch, sondern pragmatisch. Er diente fast ein Vierteljahrhundert in der Nationalgarde, wo er vor allem bei Naturkatastrophen im Einsatz war, arbeitete lange als Footballtrainer an seiner Schule und setzte sich dort schon in den 1990ern für die Rechte von Homosexuellen ein. Oft ist von seinen «Dad Vibes», also seinen väterlichen Qualitäten, die Rede. Bereits wird er in den Medien, mit seiner direkten, positiven und motivierenden Art, als «Coach der Nation» bezeichnet.
«Ich bin ein Monster»
Geboren wurde er 1964, im selben Jahr wie Harris, in der kleinen Ortschaft West Point im ländlichen Nebraska. 1989, nach dem Studium, hatte er die Möglichkeit, ein Jahr lang in China zu unterrichten. Nach seiner Rückkehr in die USA arbeitete er als Highschool-Lehrer in der Kleinstadt Mankato im Gliedstaat Minnesota. Dort lebt er noch heute mit seiner Frau, mit der er zwei Kinder hat.
2007 bis 2019 war Walz als demokratischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus, anschliessend wurde er Gouverneur von Minnesota. Er tritt für das Recht auf Abtreibung ein, für die Liberalisierung von Marihuana und für Gratismahlzeiten an der Schule. Als er in einem Interview einmal gefragt wurde, ob er für die nationale Bühne nicht zu links wäre, antwortete er lachend: «Ja, ich bin ein Monster! Ich bin dafür, dass die Kinder genug zu essen haben, so dass sie in Ruhe lernen können, und dass Frauen ihre eigenen Entscheidungen über ihren Körper treffen können.» Die Antwort ist typisch für Walz, der es versteht, politische Fragen auf die alltägliche Lebenswelt herunterzubrechen.
Kehrtwende in der Waffenfrage
Bezeichnend ist auch seine Haltung zur Waffenfrage. Der passionierte Jäger wurde lange von der Waffenlobby National Rifle Association (NRA) unterstützt. Aber nach dem Schulmassaker in Parkland, Florida, im Jahr 2018 änderte er seine Einstellung und trat fortan für Hintergrund-Checks bei Waffenkäufen ein. Er sagte, er sei bei der Kehrtwende von seiner Tochter beeinflusst worden, die ihn bat, etwas gegen die Gewalt zu unternehmen. Seither warnt die NRA vor Walz.
Kurz: Selbst wenn er seine Ansichten ändert, wirkt Walz authentisch; im Gegensatz zu Vance, dem man seine Verwandlung vom Trump-Hasser zum Trump-Bewunderer nicht ganz abnimmt und dem man eher Konformismus und Karrierismus unterstellt. Auch wenn Walz mit T-Shirt und Schirmmütze vor die Kamera tritt, hat man nicht den Eindruck, er gebe sich lediglich volksnah, sondern er sei tatsächlich so. Diese bodenständige Qualität ist in den USA besonders wichtig, und die Republikaner haben es in den letzten Jahrzehnten besser als die Demokraten verstanden, diesen uramerikanischen, hemdsärmeligen Aspekt zu verkörpern. Insofern ist Walz’ Wahl vermutlich geschickt, gerade weil sie so unspektakulär ist.







