Das Gastgeberland gewinnt eine Medaille nach der anderen. Die Franzosen verdanken ihren Erfolg einer Mischung aus Heimvorteilen und intensiver staatlicher Förderung.
Neun Tage nach dem Beginn der Olympischen Spiele ist es so weit: Am Sonntag, dem 4. August, gewinnen die französischen Fechterinnen die 44. Medaille für ihr Land und brechen damit Frankreichs Rekord. 2008 hatten die französischen Sportler in Peking 43 Medaillen geholt, an den vergangenen Spielen in Tokio waren es sogar nur 33.
Vor allem in der ersten Woche, in der die Wettkämpfe in den stärksten Sportarten der Franzosen stattfanden, regnete es für das Gastgeberland Medaillen. Allein im Judo gab es zehn Mal Edelmetall, im Schwimmen sieben Mal – darunter vier Goldmedaillen für das Ausnahmetalent Léon Marchand. Auch an den Fechtwettkämpfen im Grand Palais erreichten die französischen Athletinnen und Athleten sieben Mal das Podest.
Heimvorteile für die Gastgeber
Dass die Gastgeberländer zur Höchstform finden, ist an Olympischen Spielen keine Seltenheit. Auch an den Sommerspielen in Tokio, Rio, London und Peking schnitten die Heimmannschaften jeweils ungewöhnlich gut ab. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben sich in den vergangenen Jahren damit befasst, womit dieser Heimvorteil zusammenhängt. Dabei haben sich vier Faktoren herauskristallisiert:
Die Athleten des Gastgeberlands müssen nicht oder deutlich weniger reisen und sind mit den Bedingungen vor Ort schon vertraut. Zudem treibt das Heimpublikum in den Arenen sie zu Höchstleistungen an. Das Publikum setzt auch die Schiedsrichter unter Druck, die für die heimischen Athleten tendenziell vorteilhaftere Entscheidungen treffen.
Zu diesen Faktoren kommen die Vorbereitungen hinzu, die die Gastgeberländer im sportlichen Bereich treffen. So auch in Frankreich: Im Jahr 2017, als Paris den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhielt, wurde entschieden, dass der nationale Plan für sportliche Höchstleistungen einen Neustart benötige. Mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid hatten französische Sportfunktionäre beobachtet, wie sich die Strategie der Briten für die Spiele in London 2012 mit 29 Goldmedaillen für die Gastgeber bezahlt gemacht hatte.
Frankreich reagierte auf die typisch französisch-bürokratische Art: mit der Schaffung einer neuen Behörde. Die Agence nationale du sport wurde 2019 mit dem Auftrag gegründet, das Land für Olympia 2024 so fit wie möglich zu machen. Der Fünfjahresplan konzentrierte sich vor allem auf Sportförderung in den Vereinen. Die Agentur unterstützte die Verbände finanziell, aber auch durch Seminare, Treffen zwischen den Trainern und psychologische Programme.
Darüber hinaus wurden junge Athletinnen und Athleten ausgewählt, denen Medaillenchancen attestiert wurden. 85 «Medaillenpotenziale» wurden auf diese Art und Weise identifiziert. Diese jungen Talente erhielten besondere Förderung, um ihre Erfolgschancen zu maximieren.
Die Sportagentur sorgte auch dafür, dass die Trainings der französischen Athleten so nah wie möglich an den Austragungsorten der Spiele stattfanden. Darüber hinaus wurde eine Schule in der Nähe des olympischen Dorfes in eine Art Hochleistungshaus umgewandelt, das mit Physiotherapeuten, Osteopathen und anderen Betreuern ausgestattet ist.
All das liess die französische Regierung sich durchaus etwas kosten. Laut Angaben des Sportministeriums ist das Budget für die direkte Unterstützung von Spitzenleistungen von 2016 bis 2024 um 68 Prozent gestiegen – auf fast 114 Millionen Euro.
101 Medaillen – ein unerreichbarer Wert
Alles kann eine nationale Sportagentur aber natürlich nicht bewirken. Die französischen Ruderer wie auch die Turnerinnen blieben hinter den Erwartungen zurück. Im Handball unterlag das Team der «Bleus» in einem dramatischen Viertelfinal den Deutschen. Doch das Ziel der französischen Regierung, am Ende mindestens in den Top fünf zu landen, liegt nach wie vor in greifbarer Nähe. Am Donnerstagmittag, wenige Tage vor dem Abschluss der Spiele, lag Frankreich mit 51 Medaillen auf Platz vier.
Historisch einzigartig ist dieser Medaillenregen allerdings nicht: Im Jahr 1900 errang Frankreich ebenfalls im eigenen Land 101 Medaillen. Allerdings stellten die Franzosen damals mehr als die Hälfte der Teilnehmer; nur wenige Nationen hatten überhaupt Delegationen entsendet. Dieser Rekord, wenn man ihn denn zählen möchte, dürfte wohl auf ewig ungebrochen bleiben.