Nach sieben Jahren im belgischen Exil ist der ehemalige katalanische Ministerpräsident nach Spanien zurückgekehrt und riskiert damit seine Festnahme. Just am Tag, an dem die neue katalanische Regierung gebildet werden soll.
Es sollte so sein wie zu den glorreichsten Zeiten in der Geschichte der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Kataloniens ehemaliger Regionalpräsident Carles Puigdemont kehrte am Donnerstagmorgen aus dem Exil in seine Heimat zurück und hielt eine flammende Rede unter dem Triumphbogen von Barcelona. «Heute werden viele meine drohende Festnahme feiern, aber sie werden uns nicht unterkriegen», rief Puigdemont seinen jubelnden Anhängern zu. Knapp 3500 Teilnehmer sollen es laut Medienberichten gewesen sein, früher waren es einst Hunderttausende.
Fast sieben Jahre lebte Puigdemont in Brüssel, wo er die letzten Jahre als Abgeordneter seiner Junts-Partei im Europaparlament sass. In Spanien wird er trotz einem Amnestiegesetz nach wie vor per Haftbefehl gesucht, weil ihm Veruntreuung öffentlicher Gelder bei der Durchführung des von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober 2017 vorgeworfen wird. Der Oberste Gerichtshof Spaniens hatte entschieden, dass die Amnestie nicht für das Delikt der Veruntreuung gilt.
Nach Auftritt taucht der Separatistenführer ab
Mit der Rückkehr auf spanischen Boden riskiert Puigdemont die Festnahme. Das Angebot der Polizei einer vereinbarten und diskreten Verhaftung soll Puigdemont laut Medienberichten abgelehnt haben. Mit Spannung wurde daher erwartet, wann die Sicherheitskräfte den Separatistenführer am Donnerstagmorgen festnehmen würden. Dieser hatte angekündigt, nach seiner Rede zum Regionalparlament zu marschieren. 500 Polizisten waren dort stationiert, um den Zugang zum Parlament abzuriegeln.
Nach seinem Auftritt formierten Puigdemonts Anhänger einen Schutzring um ihn und halfen ihm so, sich unter die Menge zu mischen. Dabei gelang es ihm offenbar, unentdeckt zu entkommen. Die sogenannten Mossos, die katalanische Polizei, bestätigten, dass sie Puigdemont bisher nicht festnehmen konnten. Inzwischen haben Sicherheitskräfte in und um Barcelona Strassensperren errichtet und eine weitreichende Suche nach dem Separatistenführer eingeleitet, die noch immer läuft.
Puigdemont wollte Regierungsbildung verhindern
Den Zeitpunkt für seine Rückkehr hatte Puigdemont sorgfältig gewählt. Denn kurz nach dem Auftritt des Separatistenführers trat das katalanische Parlament zusammen, um einen neuen Regierungspräsidenten für die Region zu wählen. Der Kandidat Salvador Illa vom katalanischen Ableger der regierenden Sozialdemokraten in Madrid hatte die Regionalwahl vom 8. Mai gewonnen. Er einigte sich unter anderem mit der linken Separatistenpartei ERC auf eine Regierungsbildung. Mit Illa könnte heute zum ersten Mal seit über zehn Jahren ein Politiker Regionalpräsident Kataloniens werden, der gegen eine Abspaltung der Region von Spanien ist.
Für die Sozialisten um den spanischen Regierungschef Pedro Sánchez ist die Wahl Illas ein Sieg. Sie hoffen, dass sich die Lage in Katalonien weiter beruhigt. Deshalb hat Ministerpräsident Pedro Sánchez den Katalanen nicht nur mehr Förderung der katalanischen Sprache zugesagt, sondern vor allem mehr steuerliche Autonomie zugesichert. In naher Zukunft soll Katalonien seine Steuern selbst eintreiben dürfen und erst danach einen Teil an Madrid abtreten müssen.
Puigdemont hingegen wollte mit seiner Rückkehr die Regierungsbildung verhindern, indem er die Politiker der ERC blosszustellen versuchte, weil sie einem Kandidaten ins Amt verhelfen, der nicht für die Unabhängigkeit Kataloniens kämpft. Der Menge sagte Puigdemont am Morgen: «Trotz allen Bemühungen, uns zu schaden, bin ich heute hierhergekommen, um alle daran zu erinnern, dass wir immer noch hier sind und nicht aufgeben werden. Es lebe das freie Katalonien!»
Kritische Reaktionen
Erste Reaktionen auf den Auftritt fallen kritisch aus. Mit seinem theatralischen Auftritt habe Puigdemont das Unabhängigkeitslager nicht gestärkt, sondern weiter gespalten, urteilte die katalanische Tageszeitung «La Vanguardia». «El País» schrieb, Puigdemont habe jetzt seine letzte Kugel verschossen. Es sei ihm vor allem darum gegangen, nach über 2000 Tagen im Exil nicht völlig in Vergessenheit zu geraten.
Schon vor der Regionalwahl hatte er angekündigt, dass er sich aus der Politik verabschieden werde, falls er bei der Regionalwahl im Mai nicht als Sieger hervorginge und zum Ministerpräsidenten Katalonien gewählt würde. Viele Beobachter in Katalonien glauben deshalb, dass er mit seiner Rückkehr im Grunde nur einen letzten grossen Auftritt suchte.