Die grösste Gefahr gehe von islamistisch motivierten Einzeltätern aus, heisst es beim Nachrichtendienst des Bundes. Die Organisatoren der Street Parade versichern, die Party könne jederzeit gestoppt werden.
Islamistische Terroristen nehmen wieder Grossanlässe ins Visier. Im Juni wurde bekannt, dass ein 17-jähriger Zürcher IS-Sympathisant einen Anschlag auf die Zurich Pride plante, den grössten queeren Umzug der Schweiz.
Und diese Woche wollten in Wien mutmassliche IS-Anhänger einen Sprengstoffanschlag auf ein Konzert der amerikanischen Sängerin Taylor Swift verüben. Der österreichische Bundeskanzler bezeichnete die Bedrohungslage am Mittwochabend als «sehr ernst». Taylor Swift sagte alle drei Konzerte in Wien ab.
Dies passiert, nur drei Tage bevor in Zürich knapp eine Million Raver erwartet werden, die während der Street Parade durch die Stadt tanzen wollen. Da stellt sich die Frage: Ist die Parade in Gefahr – und was tun Behörden und Veranstalter für die Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Grossanlässe waren schon in der Vergangenheit immer wieder Ziele von Anschlägen islamistischer Terroristen: vom Attentat im Pariser Bataclan über die Terrorattacke in einer Moskauer Konzerthalle bis hin zum Anschlag mit einem Lastwagen auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Die Street Parade würde grundsätzlich ins Muster passen.
Ein zentraler Faktor ist die Kommunikation
Die Organisatoren der Street Parade verfolgen die jüngsten Entwicklungen. Der Sprecher Stefan Epli sagt, dass die Bekämpfung von Terroranschlägen schon seit Jahren Teil des Sicherheitskonzepts der Parade sei. Dieses sei zusammen mit Stadt, Kanton und Bund erarbeitet worden und werde jedes Jahr verfeinert und auf die Bedrohungslage abgestimmt. «Wir setzen wie immer alles daran, dass die Street Parade sicher durchgeführt werden kann.»
Zu den Sicherheitsmassnahmen selbst könne er sich nicht äussern, das Konzept sei unter Verschluss. Da die Veranstaltung auf öffentlichem Boden stattfindet, hat die Stadt die Hoheit über die Kommunikation. Die Arbeit mit den Behörden laufe aber ausgezeichnet, sagt Epli. Man arbeite Hand in Hand. Da es sich bereits um die 31. Ausgabe der Parade handle, habe man in all den Jahren viel Erfahrung sammeln können.
In Wien hat Taylor Swift alle Konzerte abgesagt. Könnten die Veranstalter der Street Parade dem Anlass vom Samstag noch den Stecker ziehen? «Ja», sagt Epli. Auf Anordnung der Behörden könne die Parade jederzeit gestoppt werden. Ein wichtiger Faktor sei dabei die Kommunikation. Es gehe vor allem darum, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer möglichst rasch zu erreichen und sie dazu zu bringen, das Gelände im Ernstfall ruhig zu verlassen.
Sehr schwere und schnelle Fahrzeuge sind gefährlich
Für die Sicherheit während der Parade sorgt die Polizei. Wie in den vergangenen Jahren stehe die Stadtpolizei Zürich mit einem Grossaufgebot im Einsatz, schreibt die Sprecherin Judith Hödl auf Anfrage. Bereits in früheren Jahren habe man «viele Sicherheitsmassnahmen getroffen». Diese würden bei jeder neuen Austragung der Parade aktualisiert. Details könne sie aus polizeitaktischen Gründen jedoch nicht bekanntgeben, so Hödl.
Zur Sicherheitsinfrastruktur der Polizei gehören neben einer hohen Zahl an teilweise schwer bewaffneten Einsatzkräften auf den Strassen auch Sondereinheiten auf dem Wasser und in der Luft.
Zudem sichern seit 2019 mobile Fahrzeugsperren aus Stahl die Hotspots der Parade. Die Sperren werden da aufgestellt, wo von Strassen her Zugang zum Festgelände besteht – beispielsweise rund um den Sechseläutenplatz. Sie dienen der Abwehr von Angreifern, die mit einem Lastwagen oder mit einem Auto in die Menge zu rasen versuchen.
Das Zürcher Modell der Fahrzeugsperren heisst «Armis One» und vermag einen Aufprall von bis zu 750 Kilojoule abzudämpfen. Das entspricht einem 7,5 Tonnen schweren Fahrzeug, das mit etwa 50 Kilometern pro Stunde unterwegs ist. Sollten Fahrzeuge mit mehr als 7,5 Tonnen Gewicht in die Nähe der Menschenmenge kommen, könnte «Armis One» also versagen.
Dies zu verhindern, ist eines der Ziele des Dispositives der Stadtpolizei. Für die Ausarbeitung desselben sind gemäss Hödl die Lagebeurteilungen der Bundesbehörden ausschlaggebend, namentlich des Fedpol und des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB).
Der NDB äussert sich ebenfalls nicht zu Einzelfällen oder zu Situationen in einzelnen Städten oder Kantonen. Allerdings schätzt der NDB die Bedrohungslage durch terroristische Aktivitäten in der Schweiz seit einiger Zeit als erhöht ein. Als plausibelstes Szenario gilt derzeit ein «jihadistischer Gewaltakt», der von einer Einzelperson verübt wird.
Nach Einschätzung des NDB erfordern derartige Taten einen geringen logistischen und organisatorischen Aufwand. Sie würden sich demnach vor allem gegen schwach geschützte Ziele wie Menschenansammlungen richten.
Die meisten Verdächtigten sind sehr junge Männer
Der Islamische Staat rekrutiert seine Anhänger in jüngster Zeit vermehrt in der digitalen Welt. Es sind Attentäter wie der Jugendliche, der im März in Zürich einen orthodoxen Juden mit einem Messer niederstach und lebensgefährlich verletzte. Der Schweizer mit tunesischen Wurzeln war gerade einmal 15 Jahre alt und hatte sich – nach allem, was man weiss – online radikalisiert.
In den vergangenen Monaten wurden in der Schweiz mehrere mutmasslich radikalisierte Jugendliche von der Polizei aus dem Verkehr gezogen. Im April verhafteten Ermittler drei Männer in den Kantonen Schaffhausen und Thurgau. Die drei sollen sich mit Islamisten aus Deutschland vernetzt und über mögliche Sprengstoffanschläge gechattet haben. Dabei ging es laut den Behörden auch um Ziele in der Schweiz. Der Jüngste des Trios ist 15 Jahre alt.
Das treibt auch die Behörden um. Bundesanwalt Stefan Blättler sagte vor kurzem in der NZZ: «Verhängnisvoll ist, wie jung die beschuldigten Personen sind.» Diese jungen Leute würden aus voller Überzeugung Delikte planen oder sogar begehen.
Auch die Verdächtigten, die einen Anschlag auf das Wiener Konzert von Taylor Swift geplant haben sollen, sind erst 19 und 17 Jahre alt.
Dahinter steckt ein so effizientes wie perverses Kalkül des Islamischen Staats. Im Grunde reicht es, wenn er einen leicht beeinflussbaren jungen Mann in seinen Bann zieht, der bereits mit einem Haushaltsgegenstand wie einem Küchenmesser Angst und Schrecken verbreiten kann.
Obwohl solche Fälle nur schwer zu vereiteln sind, scheint ebendies den Behörden bis jetzt gut zu gelingen. Bisher ist die Schweiz von grossen Anschlägen verschont geblieben.
Wegen eines Rucksacks ging 2019 der Bombenalarm los
In den 30 Ausgaben der Street Parade gab es nur einmal einen Moment, wo es kurzfristig so aussah, als sollte ein Anschlag verübt werden: 2019 fanden Raver gegen 20 Uhr einen roten Rucksack der Marke Jack Wolfskin in einem Gebüsch in der Nähe der Pumpstation an der Seepromenade am Utoquai. Ein Passant zog den Rucksack hervor, öffnete ihn – und verstand zuerst nicht, womit er es zu tun hatte.
Im Rucksack befinden sich vier 1,5-Liter-PET-Flaschen voller Benzin, Plastikröhren, Anzündgel und Brennsprit. Dass es sich bloss um die Attrappe einer Bombe handelt und nicht um einen richtigen Sprengsatz, wird allerdings erst später klar. Zunächst rückt die Polizei mit einem Sonderkommando und einem Bombenroboter an und sperrt die Umgebung grossflächig ab.
Die Technoparty läuft derweil praktisch ungestört weiter.