Die Medikamentenpreise sind oft in der Kritik und stehen im Fokus der laufenden Kontroverse im Parlament. Ein Ärgernis ist der Mangel an systematischen Daten zum Vergleich von Kosten und medizinischem Nutzen. Eine Studie für die Pharmaindustrie zeichnet ein positives Bild, doch es gibt manche Zweifel.
Das Volk hat im Juni die Kostenbremse-Initiative abgelehnt, doch das Gesundheitswesen bleibt auf der Agenda. Das Parlament müht sich derzeit mit einem Massnahmenpaket zur Kostendämpfung ab. Ein Element könnte alle anderen Massnahmen in den Schatten stellen: Bei umsatzstarken Medikamenten sollen künftig Preismodelle mit automatischen Rabatten möglich sein. Das soll Einsparungen von etwa 400 Millionen Franken pro Jahr ermöglichen.
In der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gingen 2023 mit rund 9 Milliarden Franken über 22 Prozent der Gesamtkosten auf das Konto der Medikamente – etwa zwei Prozentpunkte mehr als 2014. Die Pharmaindustrie wehrt sich gegen Schnellschüsse und verlangt eine Gesamtsicht. In der Gesundheitskommission des Nationalrats stiess die Industrie vergangene Woche auf Resonanz: Die Kommission vertagte Entscheide in dieser Frage, bis eine vertiefte Prüfung zur künftigen Preisfestsetzung vollzogen ist.
Mutige Rechnungen
Viele kritisieren die Medikamentenpreise in der Schweiz als «überhöht». Doch wer nach einer systematischen Gegenüberstellung der Kosten mit dem Nutzen etwa in Form gewonnener Lebensjahre fragt, wird enttäuscht. Die gängige Antwort: «So etwas haben wir nicht.» Das mag erstaunen, denn gemäss Gesetz müssen die von der Grundversicherung bezahlten Medikamente für die Zulassung den «WZW-Test» bestehen: Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Der medizinische Nutzen spielt dabei mit, doch zentrale Elemente für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit sind der (wegen Rabatten oft verzerrte) Preisvergleich mit dem Ausland sowie der Preisvergleich mit konkurrierenden Heilmitteln. Nicht gängig ist ein direkter Vergleich von Kosten und gewonnenen Lebensjahren.
Die Pharmaindustrie verweist gerne auf eine Studie des amerikanischen Professors Frank Lichtenberg von 2022, die Novartis finanziert hat. Lichtenberg suchte nach statistischen Zusammenhängen zwischen den in der Schweiz von 1990 bis 2011 neu zugelassenen Medikamenten sowie der Entwicklung verlorener Lebensjahre und der Spitalaufenthalte bis 2018. Die Kernbotschaft kommt im Fazit für 2018 heraus: Die Kosten der Medikamente betrugen im Mittel pro gerettetes Lebensjahr brutto etwa 14 000 Euro und netto nach Abzug der Einsparungen bei den Spitalkosten gar nur etwas über 2000 Euro. Das wäre sehr günstig. Zum Vergleich: Das Bundesgericht hatte 2010 eine Grössenordnung von etwa 100 000 Franken pro gerettetes Lebensjahr als angemessen eingeschätzt.
Wacklige Schätzmethode
Doch die Schätzmethode von Lichtenberg lässt Fragen offen. So unterstellt er, dass hinter dem statistischen Zusammenhang zwischen neuen Medikamenten und gewonnenen Lebensjahren auch ein ursächlicher Zusammenhang steht. Drittfaktoren wie etwa andere medizinische Verbesserungen könnten indes ebenfalls mitgespielt haben.
Aussagekräftiger wären systematische Studien «von unten» nach der Zulassung neuer Medikamente – mit der Gegenüberstellung von deren Preisen mit deren Wirkung bei den Bezügern. Doch solche Studien nur schon über ein einzelnes Medikament sind aufwendig. Hinweise liefern periodische Einzelstudien im Rahmen des HTA-Programms («Health Technology Assessment»), bei dem zweifelhafte Heilmittel unter die Lupe kommen. So schätzte zum Beispiel 2024 ein HTA-Bericht, dass ein Mittel zur Behandlung einer Stoffwechselkrankheit (zystische Fibrose) beim offiziellen Preis in fast allen Szenarien pro gewonnenes Lebensjahr bei voller Gesundheit über eine Million Franken koste.
Wünschbar wären aber repräsentative Zusammenstellungen zu einer Vielzahl umsatzstarker Heilmittel. Diese kann auch die Krankenkasse Helsana nicht liefern, die jährlich einen Arzneimittel-Report publiziert. Gemäss der zurzeit jüngsten Auflage verursachten die 20 kostenintensivsten Präparate 2022 Gesamtkosten von 127 Millionen Franken. Die Bandbreite der Kosten pro Patient reichte von 300 bis rund 26 000 Franken. Die Helsana kritisiert im Bericht, dass von 45 neuen Medikamentenwirkstoffen von 2022 nur gerade 4 «Innovationscharakter» aufwiesen. Dies sagt indes noch nichts Schlüssiges zum Kosten-Nutzen-Verhältnis aus.
«Politik und Gesellschaft haben bisher die Diskussion über den Wert eines zusätzlichen Lebensjahrs bei guter Gesundheit nicht geführt», sagt der Helsana-Gesundheitsökonom Manuel Elmiger. Eine solche Diskussion sei «wünschenswert», betont Kerstin Vokinger, Professorin für Recht und Medizin an der Universität Zürich. Sie war und ist an diversen Studien zu Kosten und Nutzen von Medikamenten im In- und Ausland beteiligt. Ob das Preisniveau in der Schweiz generell überhöht ist, lässt Vokinger offen. Sie sagt aber: «Die Preise sind nicht optimal.» Sie liefert Indizien aus ihren Studien: Weniger als ein Drittel aller befristet zugelassenen Medikamente hätten einen hohen therapeutischen Nutzen; bei den Krebsmedikamenten gebe es keinen statistischen Zusammenhang zwischen medizinischem Nutzen und Preis; und Krebsmedikamente seien unter anderem gemessen an ihrem Nutzen im Mittel etwa dreimal so teuer wie andere Heilmittel.