An einer vielbeachteten Rede am Zentralbanken-Treffen in Jackson Hole war der Fed-Chef nahe dran, den Sieg über die Inflation zu verkünden. An den Märkten kommt das sehr gut an. Powell gestand aber auch ein, die Teuerung zunächst stark unterschätzt zu haben.
Sie hat lange zugewartet, doch jetzt dürfte es so sein: Die amerikanische Notenbank wird im September wohl die erste Zinssenkung seit viereinhalb Jahren beschliessen. Fed-Chef Jerome Powell hat am Freitag, an seiner traditionellen Rede am Notenbanken-Treffen im amerikanischen Jackson Hole, deutliche Hinweise gegeben, dass ein Zinsentscheid bevorsteht. «Die Zeit für eine Anpassung ist gekommen», sagte er.
Eine Anpassung im September wurde zwar erwartet. Doch hatte sich Powell bei bisherigen Auftritten stets ein Türchen offengelassen, um eine Zinssenkung zu verschieben, falls die Wirtschaftsdaten dies erfordern würden.
Zuletzt hat das Fed aber immer deutlichere Rauchzeichen gegeben. Schon am Donnerstag hatten Fed-Vertreter am Symposium in Wyoming angedeutet, dass «graduelle» und «methodische» Zinssenkungen bevorstünden. Insofern ist weiterhin zu erwarten, dass das Fed den Leitzins im September vorerst nur um 0,25 Prozentpunkte senkt und keinen «Doppelschritt» anpeilt.
Beflügelte Börsen
Damit schliesst sich für das Fed in Jackson Hole der Kreis. Vor zwei Jahren, als die Inflation in den USA und Europa ausser Kontrolle zu geraten drohte, hatte Powell die Welt an derselben Stelle auf eine konsequente Bekämpfung der Teuerung eingeschworen. Er sagte damals, dass man notfalls auch eine Rezession in Kauf nehme, um die Inflation wieder auf zwei Prozent herunterzubringen.
Powells jetziger Auftritt war schon fast eine Siegesrede. Der Notenbankchef verzichtete zwar auf Triumphalismus, deutete aber an, dass aus Sicht des Fed eine neue geldpolitische Ära angebrochen sei.
Der Finanzmarkt hatte auf eine solche Bestätigung gewartet und reagierte stark auf Powells Rede. Der Wert von US-Staatsanleihen stieg deutlich an, auch der amerikanische Leitindex S&P 500 legte rasch um etwa ein Prozent zu. Der Russell-2000, der viele KMU umfasst, die sehr sensitiv auf Zinsveränderungen reagieren, legte zunächst sogar um 2 Prozent zu.
Auch die Devisenmärkte reagierten, der Dollar schwächte sich gegenüber dem Euro und dem Yen ab.
Kazuo Ueda, der Chef der japanischen Notenbank, hatte wenige Stunden vor Powells Rede bei einer Anhörung im japanischen Parlament angekündigt, an seiner strikteren Geldpolitik festzuhalten, sofern Inflation und Wachstum auf Kurs blieben. Ueda räumte aber indirekt auch ein, dass die Bank of Japan bei ihrer Entscheidung die Reaktion der Börsen im Auge behalten werde.
Ein stärkerer Yen, kombiniert mit schwächeren Wirtschaftsdaten aus den USA, hatte Anfang August massgeblich zu den Turbulenzen an den Börsen beigetragen. Viele Anleger, die auf einen schwachen Yen gesetzt hatten, mussten sehr rasch grosse Wetten auflösen, was den japanischen Aktienmarkt ins Taumeln brachte und Investoren rund um den Erdball verunsicherte.
Eine Wiederholung scheint sich derzeit nicht abzuzeichnen: Der japanische Leitindex Nikkei-225 legte im nachbörslichen Handel zu.
Klarheit für die Märkte
Die makroökonomischen Indikatoren gaben in den USA zuletzt kein eindeutiges Bild ab. Der Arbeitsmarkt hat sich etwas abgeschwächt; zuletzt wurden Schätzungen davon, wie viele Jobs in diesem Jahr entstanden sind, deutlich nach unten korrigiert. Die Arbeitslosenquote ist leicht, aber sukzessive auf zuletzt 4,3 Prozent gestiegen. Das ist jedoch immer noch ein guter Wert. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass ein Teil des jüngsten Anstiegs wetterbedingt erfolgte, etwa wegen eines Hurrikans in Texas im Frühsommer.
Die uneindeutigen Daten haben den Finanzmarkt zuletzt stark verunsichert. Er befand sich in den vergangenen Wochen auf einer Achterbahnfahrt. Die Sorge, dass in den USA doch eine Rezession bevorstehen könnte, wurde verstärkt durch Zweifel an den Plänen der grossen Tech-Unternehmen, mittels künstlicher Intelligenz der Wirtschaft zu mehr Produktivität zu verhelfen. Powells Worte dürften nun zur Beruhigung der Märkte beitragen.
Eine aussergewöhnliche Zeit
Powell nutzte seine Rede in Wyoming auch dafür, die Politik des Fed der letzten Jahre zu verteidigen. Er legte nochmals die Gründe dar, weshalb die Notenbank zunächst davon ausgegangen sei, dass der Inflationsschub 2021 bloss vorübergehender Natur war: Die Teuerung konzentrierte sich zunächst stark auf Güter, die pandemiebedingt knapp waren. Die Inflationserwartungen blieben zudem gut verankert – was eine Lohn-Preis-Spirale weniger wahrscheinlich machte.
Tatsächlich blieb der Arbeitsmarkt aber über längere Zeit angespannt, und die Teuerung verfestigte sich. Das Jahr 2022 brachte weitere Preisschocks, etwa wegen des Ukraine-Kriegs, der Erdöl, Erdgas oder Weizen verteuerte. In China dauerte der Kampf gegen Covid-19 zudem sehr lange an, was die Lieferketten und das Güterangebot weiterhin beeinträchtigte.
Ebenso aussergewöhnlich war jedoch, wie die Inflation in den USA wieder unter Kontrolle gebracht werden konnte, ohne eine Rezession und einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit auszulösen. Powell sagte, dass die notwendige Abkühlung am Arbeitsmarkt diesmal nicht durch mehr Entlassungen und eine starke Erhöhung der Arbeitslosigkeit gelungen sei, sondern durch einen Rückgang der Jobangebote und Neuanstellungen.
Die Inflationserwartungen blieben, auch dank den starken Zinserhöhungen des Fed in den vergangenen Jahren, gut verankert. Das war, wie Powell sagte, keinesfalls gesichert, seien diese Erwartungen doch seit den 2000er Jahren nie mehr ernsthaft getestet worden.
Powell sagte, die Pandemie und der Inflationsschub der vergangenen drei Jahre würden die geldpolitische Forschung noch lange beschäftigen. Das Fed werde bald mit einer grundlegenden Aufarbeitung dieser «aussergewöhnlichen Zeitperiode» beginnen. Powell versprach hierfür Bescheidenheit und Offenheit gegenüber Kritik.