Die Sportart testet Innovationen bei Formaten und Disziplinen. Auch mit spielerischen Elementen – wie dem Show-Duell zwischen Armand Duplantis und Karsten Warholm am Mittwoch in Zürich. Dort messen sich die Stars in einem ungewöhnlichen Rennen.
Angelica Moser läuft an, springt ab und überquert die vier Meter hohe Latte, ohne sie zu berühren. So wie es die Stabhochspringerin schon Hunderte Male an einem Leichtathletik-Meeting getan hat. Und doch ist dieses Mal etwas anders: Als sie auf der Matte landet, weiss sie noch nicht, wie das Resultat des Sprungs lautet.
Es ist früher Sonntagabend beim Fribourg Track Lab, einem Meeting, das vor allem Neues ausprobiert: Das Format ist kurz, nach zwei Stunden ist alles vorbei, die meisten Disziplinen funktionieren nach neuen Regeln. Im Stabhochsprung liegt die Latte bei allen Versuchen auf vier Metern. Für einen gültigen Versuch darf sie nicht fallen, aber als Resultat zählt die effektive Höhe der Athletin senkrecht über der Latte, eruiert durch eine Kamera.
Die Leichtathletik sucht ihren Weg in eine Zukunft, in der das Publikum kein Interesse an langfädigen Veranstaltungen mehr hat. Die Herausforderung ist komplex, die Ansätze von Veranstaltern und Verbänden reichen von neuen Wettkampfformaten und -serien über das Verändern von Regeln in den Disziplinen bis hin zu spielerischen Showdowns.
Ein solch spielerisches Duell ohne sportliche Bedeutung, aber mit hohem Unterhaltungswert findet diesen Mittwoch am Vorabend von Weltklasse Zürich im Letzigrund statt. Die Weltrekordhalter im Stabhochsprung, Armand Duplantis, und über 400 m Hürden, Karsten Warholm, messen sich in einem 100-m-Rennen. Im vergangenen Jahr plauderten die beiden nach einem Training in Monaco darüber, wer auf der Sprintdistanz wohl schneller wäre – ihre Bestzeiten aus früheren Jahren sind auf ähnlichem Niveau (Duplantis: 10,57 s, Warholm: 10,49).
Das Video des Gesprächs ging in den sozialen Netzwerken viral. Die Athleten und ihre gemeinsamen Sponsoren suchten nach einem Datum, Weltklasse Zürich machte unter anderem dank seinem Termin fast am Ende der Saison das Rennen. Aus dem 10-Sekunden-Sprint wird im Letzigrund eine 90-minütige Show mit Breakdancern und einem DJ.
Aus den Leichtathleten grössere Stars zu machen und diese näher zum Publikum zu bringen – diese Bemühung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Die Netflix-Doku «Sprint» zeigt die Menschen hinter den Sportlern. Das Labor-Meeting in Freiburg liess sich von der Startnummernauslosung des Ski-Weltcups inspirieren und präsentierte die Teilnehmenden am Abend vor dem Wettkampf der Öffentlichkeit.
Ein Innovations-Circuit zum Ausprobieren
Die Bilanz der Versuche in Freiburg ist durchzogen: Beim Stabhochsprung etwa fehlte ziemlich alles, was die Disziplin bis jetzt ausmacht: die Steigerung der Höhe, der Spannungsmoment, ob die Latte fällt oder nicht. Und die technische Komponente, dass man eben nicht nur hoch springen, sondern den Flug auch so timen muss, dass man im Fallen die Latte nicht mitreisst.
Das Ziel des Labors war allerdings nicht unbedingt, dass die ausprobierten Regeln die traditionellen ablösen. Die Stabhochspringerin Angelica Moser etwa findet die Messung der effektiven Höhe ein reizvolles Element – aber eingeblendet für die Fernsehzuschauer, nicht als zählendes Resultat.
Der technische Direktor des Track Lab, Laurent Meuwly, kann sich einen Innovations-Circuit vorstellen, der aus Veranstaltungen wie der eigenen besteht. «Jedes Meeting testet andere Dinge, so dass wir etwas Druck auf die Diamond League ausüben können», sagt er, der nächstes Jahr bei den langen Läufen die Coaches und Athleten mit Funk ausstatten will, so dass die Zuschauer die Inputs hören können. «Die Leichtathletik muss wirklich offener werden.»
Die Entwicklung der Disziplinen in Freiburg erfolgte in den vergangenen Monaten in engem Austausch mit dem Weltverband World Athletics. Die Track-Lab-Direktorin und frühere Hürdenläuferin Lea Sprunger sagt: «Es ist sinnlos, dass wir etwas testen, an dem der Weltverband von Anfang an kein Interesse zeigt.»
Beim Verband bereits konkreter sind Pläne für den Wechsel im Weitsprung vom Balken- zum Zonenabsprung. Der wird in diesem Jahr in Trainingsgruppen getestet – und wurde von zahlreichen Weltklasseathleten kritisiert. An diesem Beispiel lässt sich schön zeigen, welche Diskussionen eine Innovation in der traditionellen Leichtathletikwelt auslöst. Da ist das Argument, dass die Vereinfachung den Charakter der Disziplin verändere, die heute eben nicht nur den stärksten Springer kürt – den Zonenabsprung könnte man insofern als fairer betrachten.
Zweitens fiele die Vergleichbarkeit zu vergangenen Leistungen weg. Es würde eine neue Disziplin geschaffen, die vorigen Rekorde gewissermassen eingefroren. Die Befürworter der Innovation halten dagegen, dass es diese Vergleichbarkeit aufgrund von besseren Unterlagen und Schuhen schon längst nicht mehr gebe.
Hinzu kommen technische Herausforderungen. Für Meetings unterhalb von Weltniveau sei der Aufwand einer elektronischen Messung der effektiven Weite nicht stemmbar, wie Andreas Hediger festhält, Co-Direktor von Weltklasse Zürich. «Eine Innovation hat nie nur Vorteile, es ist immer eine Abwägung», sagt er, die Skepsis sei verständlich. «Aber irgendwann ist die Neuerung dann normal.»
Michael Johnson veranstaltet einen lukrativen Grand Slam
Um die Events schneller zu machen, ist auch eine Verringerung der Anzahl Versuche oder die Kürzung von Laufdistanzen eine Option: In Freiburg ging das Steeple-Rennen über eine Meile (1,6 km) statt wie gewöhnlich über 3000 m – das Publikum bleibt so eher fokussiert.
Michael Johnson glaubt, dass sich das Publikum ohnehin nur für die Laufduelle auf der Bahn interessiert. Die Sprinter-Legende veranstaltet ab 2025 den Grand Slam Track, der aus vier Meetings mit Lauf- und Hürdendisziplinen besteht. Die Serie ist nicht nur für ihn lukrativ, sondern auch für die Athleten: Pro Jahr werden 12,6 Millionen Dollar ausgeschüttet, die Sieger des Formats bekommen je 100 000 Dollar. Zum Vergleich: In der Diamond League sind es pro Rennen 10 000. Die Hälfte der Athleten verpflichtet sich vertraglich für alle vier Meetings, womit wiederkehrende Rivalitäten und Duelle befeuert werden sollen – etwas, was der Diamond League mit ihren 15 Meetings pro Jahr fehlt.
Viel Geld schütten aber nicht nur private Investoren für neue Ideen aus, sondern auch World Athletics selbst. Ab 2026 veranstaltet der Weltverband in den Jahren ohne eine WM die Ultimate Championship, ein dreitägiges Treffen der Besten am Ende der Saison, das mit 10 Millionen Dollar dotiert ist. Eine Goldmedaille ist dort 150 000 Dollar wert.