Mit Tilda Swinton und Julianne Moore hat der Spanier seinen ersten englischsprachigen Film gedreht. Streckenweise ist «The Room Next Door» wirklich nicht gut. Aber am Ende kommt man doch gerührt raus.
Vielleicht kann man an einem Detail zeigen, was für ein Film das ist. Und wieso Pedro Almodóvar den Goldenen Löwen in Venedig verdient gewonnen hat oder auch nicht. Es ist der Moment zwischen Martha und Ingrid, der die Handlung in Gang setzt.
Martha, gespielt von Tilda Swinton, hat Krebs und will ihrem Leben ein Ende setzen. Sie fragt zuerst ihre drei besten Freundinnen, ob sie ihr beim Suizid beistehen könnten. Im Dark Web hat sich Martha eine Todespille gekauft, jetzt möchte sie jemanden in der Nähe wissen, wenn es soweit ist.
Die Freundinnen bringen das nicht über sich. Beim allem Verständnis für Martha und ihr Leiden. Abgesehen davon wäre es Beihilfe zur Selbsttötung und das ist in Amerika, wie in den meisten Ländern, ein Verbrechen.
Schliesslich wendet sich Martha an Ingrid, verkörpert von Julianne Moore. Man war einmal enger, hat sich aber aus den Augen verloren. Ingrid, eine Bestsellerautorin, die sich für schicksalsträchtige Entscheidungen schon von Berufs wegen interessiert, ist weniger zimperlich als die Freundinnen.
Poetische Akzente
Hier kommt nun das Detail: Wie Ingrid von Martha um ihre Hilfe gebeten wird und danach die Wohnung verlässt, wählt die Kamera den Ausschnitt so, dass neben der Tür ein Schirmständer ins Bild passt. Drei geschlossene Schirme stehen drin. Sinnbildlich – offensichtlich – für die drei Freundinnen, die Martha im Regen haben stehen lassen. Ein symbolischer Farbtupfer. Der Einfall ist hübsch. Aber er ist auch nicht mehr.
So ist der Film: Er setzt poetische Akzente, er ist überlegt und sehr geschmackvoll inszeniert. Aber er ist nicht allzu ausdrucksstark. Er behandelt ein schweres Thema und bleibt immer: hübsch.
Die Vorlage von «The Room Next Door» ist der Roman «What Are You Going Through» von der gefeierten amerikanischen Autorin Sigrid Nunez. Almodóvar hat sich daraus das Drehbuch für seinen ersten englischsprachigen Film abgerungen. Den Dialogen merkt man die sprachlichen Hürden an. Wenn etwa Martha und Ingrid auf eine geteilte Liebschaft aus alten Tagen zu sprechen kommen, klingt die Beschreibung dieses «leidenschaftlichen und enthusiastischen Liebhabers» nach Kolportageprosa: «He was a passionate and enthusiastic lover, and I hope he was for you too.»
In diesen seichten Momenten wirkt «The Room Next Door» (Kinostart ist im Dezember) wie ein kinogewordener Kiosk-Roman. Klar lässt man sich aber auch gerne einwickeln: Das Melodrama mag weiche, sehr teuer aussehende Oversize-Pullover, die Tilda Swinton als Martha trägt. Almodóvar spendet Wärme. Wie immer bei dem Spanier ist alles exquisit anzuschauen und schnörkellos erzählt. Aber vor allem versteht sich dieser Filmemacher auf den Stich ins Herz: Man kommt dann doch gerührt heraus.
Er ist ein Darling
Es ist ein Publikumsfilm. Bei den grossen Festivals wird immer der Applaus nach dem Abspann gestoppt, Almodóvar bekam die mit Abstand längste Standing Ovation. Der Spanier ist ein Darling, die Schauspielerinnen Swinton und Moore mag jeder. Anecken wird die vorsichtig sterbehilfepositive Erzählung kaum.
Über andere Filme in dieser 81. Festivalausgabe konnte man leidenschaftlicher geteilter Meinung sein. Für den hintergründig schmuddeligen Thriller «Babygirl» bekam Nicole Kidman immerhin den Schauspielerinnen-Preis, der dreieinhalbstündige Monumentalfilm «The Brutalist» brachte Brady Corbet die Regie-Löwen. Leer aus ging, etwas unverständlich, Daniel Craig, der sich beeindruckend reingehängt hat in die homoerotische Burroughs-Verfilmung «Queer». Doch die Jury, präsidiert von Isabelle Huppert, hat sich die Aufgabe offenbar nicht kompliziert machen wollen. Pedro Almodóvars «The Room Next Door» ist ein Goldener Löwe, der nicht beisst.