Die Universität St. Gallen kämpft seit Jahren mit massiven Platzproblemen, 2025 wollte die Uni ihren Neubau für 3000 Studenten und Mitarbeiter eröffnen. Das Projekt endete im Debakel. Das ist auch für die Stadt ein Problem.
Die Universität St. Gallen konnte diese Woche einen Rekord vermelden. Für das am Montag beginnende Herbstsemester sind über 10 000 Studenten immatrikuliert, so viele wie noch nie in der 126-jährigen Geschichte der Institution.
Erfahrungsgemäss wird diese Zahl einige Wochen nach Semesterbeginn nach unten korrigiert werden, weil einige ihr Studium wieder abbrechen oder gar nicht erst anfangen. Doch für eines der drängendsten Probleme der HSG wird diese Korrektur praktisch unbedeutend sein.
Seit Jahren sucht die Uni händeringend nach zusätzlichen Räumen. Der 1963 eröffnete Campus auf dem Rosenberg wurde ursprünglich für 5000 Studenten gebaut, die Bibliothek gar nur für 3000. Diese Marke wurde aber schon vor 17 Jahren überschritten, 2007 lag die Zahl der Studierenden erstmals über 5000. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich das Wachstum weiter beschleunigt; allein von 2013 bis 2023 stieg die Zahl der Studierenden um 26 Prozent.
Mittlerweile hat die Uni in der halben Stadt Büros und Wohnungen zugemietet. Von der gesamten Fläche, die die HSG beansprucht, sind derzeit 46 Prozent gemietet, dazu kommen 4 Prozent Provisorien. Vor allem im Bereich Lehre besteht ein «bedeutendes Flächendefizit», wie die Universität mitteilt.
Gleichzeitig verfügt die Stadt St. Gallen über Areale an bester Lage, die teilweise seit Jahrzehnten vor sich hin schlummern und wie geschaffen wären für zusätzliche HSG-Bauten. Und die Stadt ist eigentlich auch interessiert daran, der Universität mehr Platz zu verschaffen. Doch mit der Umsetzung hapert es gewaltig. Ein prominentes Beispiel ist das Platztor-Areal am nordöstlichen Rand der Innenstadt, wenige Gehminuten von der Uni entfernt.
Auf dem Areal stehen heute hauptsächlich Parkplätze und Abbruchhäuser. Seit bald 60 Jahren versucht die Stadt, das Gebiet zu überbauen. Über Jahrzehnte hat sie deshalb systematisch Liegenschaften erworben. Doch bis jetzt sind sämtliche Anläufe für eine Überbauung gescheitert.
Erste Pläne schon im Jahr 2014
Die ersten Ideen, hier für die HSG neuen Raum zu schaffen, kursierten bereits nach der Jahrtausendwende. Doch bis die Pläne konkret wurden, war noch einmal mehr als ein Jahrzehnt vergangen.
2019 bewilligte das Stimmvolk schliesslich einen Baukredit für 160 Millionen Franken. Für das gesamte Projekt rechnete der Kanton mit Investitionen von 207 Millionen. Die fehlenden 47 Millionen sollten der Bund, die HSG und die Stadt beisteuern. Der Neubau sollte dereinst Platz für 3000 Studenten, Dozenten und Mitarbeitende bieten.
Noch im gleichen Jahr schrieb der Kanton den Architekturwettbewerb für das Gebäude aus. 59 Vorschläge wurden eingereicht, aber die Jury zeigte sich von keinem komplett überzeugt. Die drei besten Projekte wurden schliesslich zur Überarbeitung zurückgegeben.
2021 kürte die Jury das Projekt «Haus im Park» des Zürcher Architekten Pascal Flammer zum Gewinner, einen sechsstöckigen Bau mit insgesamt 31 000 Quadratmetern Geschossfläche, einem gegen die Stadt ausgerichteten, öffentlichen Park und einer Cafeteria.
Doch zwischen dem Architekturbüro und den Projektverantwortlichen beim Kanton und bei der Universität stimmte die Chemie bald nicht mehr. Schon kurz nach dem Wettbewerb gab es Kritik am Projekt, der Kanton verlangte die Behebung diverser Defizite von der Fassadengestaltung bis zur Geschosshöhe. Auch im Hochbauamt des Kantons rumorte es. Mitten in jener Phase räumte der Kantonsbaumeister Michael Fischer nach nur zweieinhalb Jahren seinen Posten, aufgrund «amtsinterner Probleme», wie das «St. Galler Tagblatt» schrieb. Im Mai 2023 trat Erol Doguoglu das Amt an, bis zu jenem Zeitpunkt Thurgauer Kantonsbaumeister.
Komplett neue Jury
Ende September 2023 folgte der Knall: Der Kanton stoppt das Projekt und kündigt die Zusammenarbeit mit Flammer auf. Die Jury habe im Juni den Projektfortschritt überprüft und dabei einstimmig festgestellt, dass das Projekt «im Vergleich zum Wettbewerbsentwurf stark an räumlichen und gestalterischen Qualitäten verloren hat», schrieb die Kantonsregierung im Dezember 2023.
Der Kanton und die Universität kündigten eine Neuausschreibung des Projektes bis Mitte 2024 an. Dieser Termin ist mittlerweile verstrichen, nun soll sie bis Ende September erfolgen. «Wir schreiben nicht eins zu eins das gleiche Projekt aus. Das Raumprogramm wird angepasst, es soll weniger Platz für die Forschung, dafür mehr für die Lehre eingeplant werden», sagt Doguoglu. Zudem werde es keinen offenen Wettbewerb mehr geben, die Jury werde nur ausgesuchte Architekturbüros zulassen. Doguoglu hat zudem die Jury komplett neu zusammengesetzt, auch «als vertrauensbildende Massnahme», wie er sagt.
Dass der ursprüngliche Bezugstermin im Jahr 2025 nicht mehr realistisch ist, zeichnete sich zwar schon vor Jahren ab. Mit dem Projektabbruch lässt sich aber auch der neue Termin im Jahr 2027 nicht mehr einhalten. Im September will die Jury mit der Auswahl der Architekturbüros starten, bis Juni 2025 soll das Verfahren abgeschlossen sein.
Im August 2025 wollen der Kanton und die Universität mit den Planungsarbeiten beginnen. Ein realistischer Termin für den Baubeginn liegt damit im Jahr 2028, der Termin für die Eröffnung nicht vor 2031.
Die Verzögerung beim Campus Platztor zwingt die HSG, Provisorien sowie Mietliegenschaften länger zu nutzen oder gar neu anzumieten. Denn auch wenn die Zahl der Studierenden entgegen jedem Trend nicht mehr weiter steigen sollte, wird es auf dem Rosenberg spätestens ab 2032 noch enger. Dann sollen Teile des Campus für die Sanierung geschlossen werden.
Angesichts dieser Perspektiven wirkt die Immobilien-Bedarfsplanung der HSG umso ambitionierter. Im kommenden Jahr will sie eine Strategie ausarbeiten mit Ziel, die diversen in der Stadt verstreuten HSG-Liegenschaften «im Rahmen eines weiteren Campus-Standortes im 15-Gehminuten-Perimeter zu konzentrieren». In der langgezogenen Stadt mit einer Ausdehnung von fast zwölf Kilometern von West nach Ost ist das eine Herausforderung.
Im April hat die HSG das Haus Washington in der Nähe des St. Galler Hauptbahnhofs angemietet, um zumindest die dringendsten Platzprobleme zu lösen. Der neubarocke Stadtpalast verfügt über rund 6000 Quadratmeter Nutzfläche, der Mietvertrag mit der Eigentümerin Helvetia-Versicherungen läuft vorerst über 15 Jahre.
Viel zusätzlichen Platz wird die HSG damit aber nicht gewinnen. Denn gleichzeitig will die Uni mit der Anmietung des Hauses Washington ein paar kleinere Mietobjekte abgeben. Dies entspreche der Immobilienstrategie der HSG, die eine Konzentration auf grössere und betrieblich günstigere Gebäude vorsehe, teilt die Universität mit.
Politisch dürfte das Projekt im Kanton weiter zu reden geben. Der Kredit, den das Volk 2019 genehmigt hatte, ist zwar nach wie vor gültig. Und das gestoppte Projekt hat bis jetzt nur rund 2,5 Millionen Franken gekostet, was rund 1,5 Prozent der gesamten Kreditsumme entspricht. Doch noch ist kein neues Projekt in Sicht. Und an der Uni wird es immer enger.