Sie gehört zu Hollywoods Besten. Doch von der Netflix-Serie «The Perfect Couple» bis zum Erotikthriller «Babygirl» spielt die Kidman gerade nur noch eine Rolle: reich und oberflächlich. Das liegt auch an ihrer Stirn.
So stellt man sich eine Hollywood-Berühmtheit vor. Sie ist der Inbegriff eines Stars. Eine Erscheinung. Nicole Kidman ist gross, graziös, ätherisch, eine alabasterfarbene Diva, die aus einer anderen Zeit stammen könnte. Botticelli hätte sie sicher gerne gemalt. Wie eine makellose Porzellanfigur wirkt sie. Aber bruchsicher.
Genaugenommen heisst sie Nicole Kidman AC, denn sie trägt den zweitwichtigsten Orden von Australien. Ihr stolzes Auftreten überträgt sich auf die Leinwand. Die stechenden blauen Augen drücken Entschlossenheit aus, man beschreibt die Kidman oft als kalt, gleichzeitig bringt sie Spielpartner (und Zuschauer) zum Glühen. Nicole Kidman ist wie eine kalte Dusche: Danach ist einem ganz warm.
Auf sie als Femme fatale ist Verlass: Früh in der Karriere legte Kidman mit «Dead Calm», «Malice» und «To Die For» eine Trilogie der abgefeimten Antiheldinnen vor. Aber sie kann auch anders: in «Eyes Wide Shut» spielte sie die Stellvertreterin für weibliche Lust. In «Moulin Rouge!» war sie ausschweifend, in Lars von Triers «Dogville» dann Opfer und Rächerin in Personalunion. Sie hat eine bemerkenswerte «range», wie man in dem Metier sagt.
Sie hat 114 Preise gewonnen
Die Filme sprechen für sich. Nicole Kidman wird ausserdem mit Preisen überhäuft. 114 Auszeichnungen sind in der Datenbank imdb.com notiert, darunter der Oscar als beste Hauptdarstellerin für ihre Verkörperung der Virginia Woolf in «The Hours». In Venedig kam vergangenes Wochenende die Coppa Volpi für die beste Schauspielerin hinzu. Es ist auch ihr Fleiss, der belohnt wird. Nicole Kidman ist eine Arbeiterin, bald hundert Rollen hat die 57-Jährige schon gespielt, jedes Jahr kommen zwei, drei neue hinzu.
Nun ist sie auf Netflix in der Miniserie «The Perfect Couple» zu sehen, vor ein paar Wochen erst hat der Streamer die romantische Komödie «A Family Affair» aufgeschaltet. Der Venedig-Film «Babygirl» kommt im Januar in die Kinos.
Qualitativ und vom Anspruch her könnten die drei Produktionen nicht unterschiedlicher sein. «A Family Affair» ist lapidarer Kommerz. Kidman spielt die Schriftstellerin Brooke, die mit einem halb so alten Waschbrettbauch (Zac Efron) im Nest landet. Und feststellt: Es muss Liebe sein.
«The Perfect Couple» ist nicht ganz so flach. Aber der Mehrteiler ist auch zu sehr ausgewalzt. Auf Nantucket steht eine Reichen-Hochzeit an, dann kommt kurz vor dem Fest eine Leiche angeschwemmt. Die polizeilichen Ermittlungen lassen die Familienfassade aufseiten des Bräutigams bröckeln. Kidman verkörpert dessen Mutter Greer, eine Bestsellerautorin, die als Person schwer lesbar ist. Das Mörderrätsel reicht für zwei oder drei Abende «take-away» auf der Couch, danach hat man Lust auf etwas Anständiges.
Oder Unanständiges: «Babygirl» ist ein wunderbar schmuddeliger Thriller. So einen gab es gefühlt seit «Basic Instinct» nicht mehr. Bei der Arbeit kann es Romy (Kidman) als CEO eines Robotikunternehmens nicht effizient genug sein. Hingegen beim Sex, da ist ihr der langjährige Ehemann (Antonio Banderas) viel zu effizient. Ein durchtriebener Praktikant (Harris Dickinson) kommt gerade recht, der ein anrüchiges Spiel mit der Bossin beginnt.
Sie verkörpert «longevity»
Was auffällt, ist, dass Nicole Kidman dreimal reich und schön spielt. Brooke, Greer und Romy sind selbst- und karrierebewusste Frauen in ihren mittleren Jahren, die eine gewisse Eitelkeit nicht verstecken. Sexuell wollen sie es noch einmal wissen. Nicole Kidman scheint für die momentane Phase ihrer Karriere eine neue Rolle gefunden zu haben, sie spielt «longevity».
Klar, das Rollenprofil passt zu einer 57-jährigen Hollywood-Schauspielerin, die früh im Leben einen ordentlichen Rummel erlebt hat. Als 23-Jährige heiratete sie den 28-jährigen Tom Cruise, gut zehn Jahre später liess man sich scheiden. Seit bald zwanzig Jahren ist sie nun mit dem Country-Pop-Star Keith Urban verheiratet. Für Hollywood-Verhältnisse etwas ab vom Schuss, lebt man in Nashville.
Nicole Kidman hat wohl eine Phase relativer Normalität hinter sich. Jetzt wagt sie sich noch einmal aus der Deckung. Doch ist sie natürlich nicht mehr jung, ob sie will oder nicht. Und sie will eher nicht. Sie ist sichtlich bemüht, alterslos auszusehen.
Schon früher bot ihr glattes Gesicht Anlass zu Spekulationen. «Ich habe nichts in meinem Gesicht. Ich trage Sonnencrème, und ich rauche nicht», so wehrte sie sich 2007 in einem Interview mit «Marie Claire». «Um ehrlich zu sein, ich bin komplett natürlich.»
2011 räumte sie in einem Interview mit «TV Movie» dann ein, Botox probiert zu haben, «aber ich mochte es nicht». Ihr Gesicht habe ihr danach nicht mehr gefallen, sagte sie. «Jetzt nehme ich es nicht mehr – ich kann meine Stirn also wieder bewegen!» Zum Beweis soll Kidman den Interviewer angelacht und die Stirn in Falten gelegt haben.
Nun macht es den Anschein, als hätte sie einen Rückfall gehabt. In ihren jüngsten Film- und Serienauftritten wirkt das Gesicht glatt gezogen, die Wangen wölben sich straff wie Mirabellen. Ihre Stirnfalten sind nur noch eine Ahnung. Wenn man so unverschämt sein darf: Nicole Kidman sieht gemacht aus.
Laut «Daily Mail» ist das jugendliche Aussehen des Stars wahrscheinlich auf «eine Kombination aus Ultraschall-Hautstraffungsbehandlungen und chirurgischen Eingriffen» zurückzuführen. Von einem «vertikalen Facelifting mit versteckten Schnitten sowie einer oberen und unteren Blepharoplastik, einem Eingriff, der das Aussehen der Augenlider verbessert», ist die Rede. Ein anderer Experte tippt auf eine Dysport-Kur, die für die Halsregion besonders hilfreich sei, «um die platysmale Nackenfalte in Schach zu halten».
Das «Frozen Botox Face»
So genau muss man es vermutlich nicht wissen. Der Punkt ist: Vor der Kamera kommt es zu Komplikationen. Konkret scheint Nicole Kidman nicht mehr recht lächeln zu können. Der Mund macht zwar Anstalten dazu, das obere Drittel des Gesichts geht aber nicht mit. Ein Fachausdruck lautet «Frozen Botox Face». Betroffene sehen immer ein bisschen bösartig aus.
Nun mag man es übergriffig finden, einer Schauspielerin, einem Schauspieler einen körperlichen Eingriff vorzuhalten. Schönheit ist subjektiv, und wenn sich jemand unters Messer legt, muss man ihn deswegen nicht zerrupfen. Stephanie Zacharek, eine tonangebende amerikanische Filmkritikerin, tat allerdings schon vor Jahren genau dies. Nachdem sie 2007 Noah Baumbachs Komödie «Margot at the Wedding» gesehen hatte, fragte sie sich und ihre Leser: «Was hat Nicole Kidman mit ihrem Gesicht gemacht?»
In der Filmbesprechung für «Salon Magazine» nannte es Zacharek «unaufrichtig, so zu tun, als würde man keine Veränderung bemerken». Kidmans Haut sei zweifelsfrei schön. «Aber sie ist zu ihrer grössten Einschränkung geworden, zu einer Grenze, über die sie nicht hinauswachsen kann.» Dann widmete Zacharek mehrere Sätze einer Szene im Film, in der Kidman «grosse Anstrengungen» unternehme, um «ihre Stirn zu runzeln».
Zacharek wurde Sexismus vorgeworfen. Beim nächsten Film, «Australia», setzte die Kritikerin noch eins drauf und schrieb über Kidman: «Ihre Stimme hat einen angenehmen, glockenähnlichen Klang, und ihr Körper ist ein graziöses Wunderwerk. Aber was ist mit dieser Stirn?» Zacharek vermutete Melamin. «Was auch immer es ist, man könnte problemlos ein Ei dagegen schlagen.»
Stephanie Zacharek ist bekannt dafür, eine spitze Feder zu führen. So giftig erlebt man die Pulitzerpreisträgerin aber selten. Was ist es, das sie triggert? Immerhin sind Schönheitsoperationen in der Traumfabrik ein alter Hut. Ein Stück weit gehören sie dazu, Hollywood will es so. Beziehungsweise das Publikum will es nicht anders. Doch bei Nicole Kidman kippt es offenbar. Die Eingriffe lenken ab.
Alonso Duralde, ein anderer amerikanischer Kritiker, arbeitete sich auch an Kidman ab. Wann, so fragte er, rechtfertige die Beseitigung von Falten die Zerstörung des wertvollsten Vermögens einer Schauspielerin. «Das Gesicht einer Schauspielerin ist ihr Instrument, und ohne es wird sie zu einer Statue, einem Gemälde, einem Fries.»
Die völlige Entblössung
Nicole Kidman war immer auch ein Gemälde. Gerade dafür hat man sie bewundert. Die harsche Reaktion von den Kritikern auf Kidmans Schönheitswahn entlarvt nicht zuletzt die eigene Oberflächlichkeit: Indem man den Star zur Venusfigurine verklärt hat, ist man mitverantwortlich dafür, dass sich Kidman daran klammert. Sie versucht verzweifelt, ihr Bildnis zu konservieren, wie in einer umgekehrten Version von «Dorian Gray».
Gleichzeitig ist es tragisch, zu sehen, wie Nicole Kidman in ihrer Mimik eingeschränkt ist. Sie verliert ihre «range». Die Rollenwahl spiegelt es. Aber Nicole Kidman kontert auf ihre Art. In «Babygirl» lässt sie sich als CEO zu Weihnachten Botox spritzen. Zu Hause reagiert die Tochter fassungslos. «Was tust du dir an?», fragt der fiese Teenager und zieht spöttisch die Wangen zusammen: «Du siehst aus wie ein toter Fisch!»
Viele Szenen in «Babygirl» sind mutig. Kidmans Figur lässt sich von dem Praktikanten sexuell demütigen, die Schauspielerin entblösst sich in jeder Hinsicht. Mit dem Botox-Dialog entblösst sie sich aber auch über den Film hinaus, die Szene ist vielleicht die mutigste von allen. Kidman scheint zu sagen: «Ich stehe da drüber.» Es ist, als würde Nicole Kidman den Kritikern ins Gesicht lachen. So gut es noch geht.