Akman 47 ist wütend und rappt. Dann ein Schwächeanfall auf der Bühne, schwitzend taumelt der Sänger auf die Strasse, nimmt sein Motorrad und braust durchs Wiener Dunkel davon. Dann ist er tot.
Kommissar Eisner hat sich kundig gemacht. Da war doch schon mal was mit einem gewissen Tupac Shakur und einem Notorious B.I.G., Rivalitäten unter Rappern in den neunziger Jahren. Am Ende waren beide tot. «Der grösste Beef aller Zeiten», sagt der Kommissar. Das Wort «Beef» hat er sich auch gerade erst erklären lassen.
Wien ist nicht Amerika, aber wenn der neue «Tatort» die nächtlich beleuchtete Stadt als Kulisse hat und in Tiefgaragen, Tonstudios und Klubs ein paar grossmäulige Gangsta-Rapper serviert, dann hat das was. «Deine Mutter» heisst die Folge, ganz nach der Wendung aus dem Szene-Slang. Mit den Worten «Deine Mutter» beginnen Schmähungen des Gegenübers, die unter der Gürtellinie auf das Höchste gewisser Milieus zielen: auf die Familienehre.
Im «Tatort» gibt es statt Schnitzel Beef nach Wiener Art. Theodor Sänftner, der sich als Musiker Ted Candy nennt, ist dabei, sich von seinem Vorbild und Labelchef Akman 47 Onur loszusagen. Das macht Akman, der sich einen «waschechten Kanaken» nennt, ein bisschen wütend. «Akman, ich hab dich reich gemacht / Du hast mir gar nichts beigebracht / Ich hab alles allein geschafft / Designer in meinem Kleiderschrank», rappt der wasserstoffblonde Ted ins Mikrofon eines Klubs. Die Bässe dröhnen, an Autotune wird nicht gespart. Dann ein Schwächeanfall auf der Bühne, schwitzend taumelt der Sänger auf die Strasse, nimmt sein Motorrad und braust durchs Wiener Dunkel davon.
Wilder Ritt
Kurz darauf ist er tot, liegt in einer Blutlache in einer Tiefgarage. Die Tiefgarage ist gleich neben dem Studio von Akman 47. Fall nach drei Minuten gelöst? Natürlich nicht. Die Regisseurin Mirjam Unger hat aus dem Drehbuch von Franziska Pflaum und Samuel Deisenberger einen wilden Ritt gemacht. Harald Krassnitzer als Kommissar Eisner und Adele Neuhauser als seine Co-Ermittlerin Fellner müssen sich als Boomer erst einmal ein bisschen auskennen in der Szene.
Eisner ist auf Instagram, aber nur, weil er dort nach Bildern über das Eisfischen in Schweden sucht. Für die jungen Gangsta-Rapper gibt’s vom angegrauten Kriminalisten woke Moralschelte: «Alles komplett aus der Zeit gefallen. Sexistische Texte, aufgeblasene Muskelkasperln, teure Autos.» Die auch nicht jüngere Kollegin wacht nachts schweissgebadet auf, weil sie träumt, selbst Rapperin zu sein und nachts auf einer Brücke Beef mit der musikalischen Jugend zu haben.
So geht der Clash der Generationen, aber so geht auch ein atmosphärischer, mit dem Lebensstil urbaner Gegenkultur spielender «Tatort». Sein grosses Plus: Er kann sich mit Originalen der Wiener Szene schmücken. Aleksandar Simonovski spielt als Ted Candy praktisch sich selbst. Im wirklichen Leben tritt er zwar unter dem Namen Jugo Ürdens auf, aber das nimmt der Street-Credibility des «Tatorts» nichts.
Rappendes Wien
Milieubedingt, möchte man fast sagen, gibt es in dem Beef-Krimi bald viele Verdächtige. Akman (der finstere Murat Seven) ist einer von ihnen. Er war schon einmal im Gefängnis. Die Causa hing mit einem Strippenzieher des Wiener Rotlichtmilieus zusammen, der im Film bösewichtmässig seine fleischfressenden Pflanzen mit Fliegen füttert.
Auch er ein Verdächtiger. Der schöne Ferdl, der im Klub arbeitet und mit dem Candy-Ted angeblich etwas gehabt haben soll, ist als Täter ebenfalls nicht auszuschliessen. Und dann ist da noch «Deine Mutter» höchstpersönlich. Also: seine Mutter. Die Mutter des toten Rappers. Sie lebt vom Geld des Sohnes. Hinter ihrer beeindruckenden Hausbar und den Medikamentenschachteln tun sich Abgründe und alte Geschichten auf, die wiederum in die Vergangenheit des Strippenziehers führen.
Am Ende ist fast das ganze rappende Wien verdächtig, aber das ist gut so. Oder wie Kommissar Eisner aka Harald Krassnitzer nach seinen Lektionen in Jugendkunde sagt: «Voll krass, Alter.»
«Tatort» aus Wien: «Deine Mutter». Am Sonntag, 15. September, um 20.05 Uhr bei SRF 1 und um 20.15 Uhr bei der ARD.