Während Frank Zappa die Rockszene aufmischte, brach seine Familie auseinander. Die älteste Tochter Moon hat diesen Zerfall in ihren Memoiren beschrieben: aufrichtig, genau, traurig.
Einmal schob sie einen Brief unter seine Studiotür. «Daddy, hi! Ich bin 13 Jahre alt. Mein Name ist Moon. Bis jetzt habe ich versucht, dir bei deinen Aufnahmen nicht im Weg zu sein. Jetzt aber bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich gerne auf deinem neuen Album mitsingen würde.» Anders kam Moon Unit Zappa nicht an ihren Vater heran. Obwohl sie ihn über alles liebte – für seinen Humor, sein Talent und seine Intelligenz. Obwohl sie ihm in vielem glich, was die Hartnäckigkeit betraf oder das Bedürfnis nach Autonomie.
Eigentlich arbeitete der Vater ganz in ihrer Nähe, im Keller des Privathauses im von zahlreichen Musikern bevölkerten Laurel Canyon bei Los Angeles. Trotzdem traf Moon kaum auf Frank. Also setzte sie ihren Brief auf. Wenig später, es war in einer Nacht im Sommer 1982 mitten in der Schulzeit, weckte der Vater sie auf und sagte: «Ich möchte einen Song mit dir machen.»
Niedergang einer Familie
Über den Song und den Brief schreibt Moon Unit Zappa in ihren Memoiren, die gerade veröffentlicht wurden. Sie beschreiben den Niedergang einer dysfunktionalen Familie mit einem abwesenden Vater und einer unglücklichen Mutter – und drei jüngeren Geschwistern, denen der Vater ebenso skurrile Namen gegeben hatte wie bereits Moon Unit: Der Gitarrist Dweezil brachte später das väterliche Repertoire als «Zappa Plays Zappa» auf die Bühne – mit Können zwar, aber ohne jedes Charisma. Ahmet arbeitet als Filmproduzent und Diva als Schriftstellerin.
Nur Moon selber scheint nichts gelungen zu sein, wie sie selber schreibt. Sie las esoterische Literatur, versuchte sich erfolglos als Schauspielerin, schloss sich einer Sekte an, verliebte sich, bekam ein Kind, wurde verlassen, lebte als alleinerziehende Mutter, arbeitete unter vielem anderem als Fernsehmoderatorin. Heute, mit 56 Jahren, gibt sie Yogastunden.
«Earth to Moon» heisst das Buch nach der Art, wie die Mutter Gail Zappa ihre Tochter anzusprechen pflegte. Die Memoiren geben in den USA zu reden. Schon weil die Autorin mit Eleganz und Intelligenz schreibt und ihre Urteile gleichermassen kritisch und selbstkritisch fällt. Eindrücklich beschreibt sie ihre Sehnsucht nach einem herkömmlichen Familienleben, wo die Kinder zusammen mit ihren Eltern leben, ohne diesen beim lauten Sex zuhören zu müssen. Es störte die Tochter, dass ihre Familie ihr Haus stets mit halbnackten Unbekannten teilen musste, die jeden Tag ohne Einladung zu Besuch kamen.
Das Buch liest sich umso eindringlicher, als es die Chronik einer Familie formuliert, die zunächst auf Liebe und geteilten, nonkonformistischen Überzeugungen gründete. Später aber kamen sich die Familienmitglieder dermassen abhanden, dass sie ihre bitteren Differenzen zuletzt über Anwälte regelten. Der Vater Frank ist seit 1993 tot, die Mutter starb 2015 an Lungenkrebs. Die vier Kinder aber haben bis heute nicht wieder zueinandergefunden.
Image und Wahrheit
Sein offizielles Image machte Frank Zappa zum humorvollen, kämpferischen und vielbeschäftigten Vater, der mit seiner Frau eine offene Ehe führte, die Kinder in antiautoritärer Toleranz aufwachsen liess und sich Tag und Nacht mit seiner Musik beschäftigte, um diese von Helsinki bis Wetzikon aufzuführen.
«Absolutely Free» hatte Frank Zappa sein zweites Album genannt. Es erschien 1968 und enthielt die Lebenslüge schon im Titel. Denn frei fühlte sich nur der Patriarch selbst. Die Familie konnte Frank selten für sich in Anspruch nehmen. Gail musste ihn mit zahllosen Groupies teilen, auf die sich Frank während der Tourneen einliess. Und den drei jüngeren Geschwistern erging es wie Moon: Sie wuchsen weitgehend ohne Vater auf.
Frank Zappa mochte seine Kinder lieben, er sah sie aber kaum. Von seiner Frau wollte er sich zweimal scheiden lassen, er blieb aber aus Bequemlichkeit bei ihr und profitierte von ihrer hoffnungslosen Hingabe. Er hatte nie Autofahren gelernt, deshalb liess er sich von Gail auch herumchauffieren. Ausserdem kümmerte sie sich um das Management. Meistens durchlitt sie seine Affären mit der Ergebenheit einer Hilflosen. Dann wieder tobte sie gegen ihre Rivalinnen an. Keines von beidem nützte, beides war ihm egal. «I like to get laid», sagte er in einem Interview, er werde gerne flachgelegt.
Für das Leid, das ihr der Ehemann bereitete, rächte sich Gail Zappa mit boshafter Kälte an ihren Kindern. An der ältesten Tochter zuallererst, wohl weil sie ihrem Vater am stärksten glich. Gail sei eine «tief verunsicherte, sehr unglückliche Frau» gewiesen, so beschrieb sie ein Freund der Familie. Und weil ihr Selbstwertgefühl so gering war und ihre Liebe zu ihrem Mann so aussichtslos, strafte sie Moon mit Liebesentzug, was diese noch tiefer verletzte als die Abwesenheiten des Vaters.
Trauma der Kindheit
Frank Zappa war ein Zyniker, das gab er selber zu. «Ich habe eine Familie, aber keine Freunde», sagte er auch. Das bekamen seine unzähligen Mitmusiker zu spüren, alles brillante Instrumentalisten. Er behandelte sie als Angestellte, denen er selbst auf Tournee qualvoll lange Übungsstunden und ein Konzertrepertoire von bis zu 80 hochkomplexen Stücken abverlangte. Zugleich verhöhnte er sie als «spielende Affen». Am liebsten arbeitete er alleine in seinem Keller am Synclavier, einer frühen Form des Musikcomputers. Dass die darauf komponierte Musik oft leblos klang und mechanisch, scheint er nicht realisiert zu haben.
Zappas Biograf Barry Miles erklärt sich die Gefühlskälte dieses doch so charmant wirkenden, humorvollen Mannes mit dem Trauma seiner Kindheit. Zappas Vater hatte als Chemiker für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet und musste mit seiner Familie dauernd umziehen. So wuchs sein ältester Sohn Frank in permanenter Einsamkeit auf. Die sizilianisch-griechisch-arabische Herkunft des Vaters, auch er ein Patriarch, mochte den Machismo seines Sohnes verstärkt haben.
Aus dieser Einsamkeit heraus fand Frank zur Musik als einziger Freundin, die immer zu ihm halten würde. Der autodidaktische Perfektionist hatte sich das Lesen und Schreiben von Noten bis hin zu Orchesterpartituren, aber auch Harmonielehre und Kontrapunkt ohne Hilfe in der öffentlichen Bibliothek beigebracht. Auch seine gitarristische Brillanz erarbeitete er sich selbst. Klassische Musik zu schreiben und Rock’n’Roll zu spielen, seien wie Auto fahren und ein Sandwich essen, sagte er einmal: zwei verschiedene Dinge, die man gleichzeitig tun könne.
Der Kettenraucher und Koffeinsüchtige verachtete alle illegalen Drogen und verbot sie seinen Musikern unter Entlassungsdrohung. Seine Lieblingsdroge war Sex. Er war ein Erotomane, der die Sexualität als Lebenselixier genoss, feierte und in seinem Gesamtwerk inszenierte. Wie kein anderer besang er den sexuellen Akt in all seinen Phantasien, Kostümierungen, Handlungen, Ritualen und Lächerlichkeiten. «Er zwang den Moralisten ihre Verdrängungen auf», schreibt der britische Kulturtheoretiker Ben Watson in seiner Werkbiografie und nennt Zappa einen «unaufhörlichen Vertreter des Unbewussten». Wozu natürlich passt, dass Zappa von der Psychoanalyse nicht das Geringste hielt.
Dann ging das Geld aus
Nach Frank Zappas Tod führte Gail die Geschäfte weiter. Kurz vor ihrem eigenen Tod musste sie den Kindern ein Defizit von sechs Millionen Dollar bekanntgeben. Sie verlangte von ihnen, auf das von Frank vorgesehene Erbe zu verzichten. Zudem wollte sie Zappas immenses, auf über 120 Alben berechnetes Gesamtwerk der Plattenfirma Universal verkaufen. Moon und Dweezil weigerten sich, Gails Forderung zu unterschreiben. Nach dem Tod der Mutter erfuhren sie, dass diese ihnen aus später Rache und gegen den Willen ihres Mannes deutlich weniger Erbe vermacht hatte als den anderen Kindern.
Nun leben Enthüllungen über berühmte Menschen vom Voyeurismus jener, die alles über Picasso, den Frauenverbraucher, über Miles Davis, den gewaltbereiten Choleriker, und über Nicole Kidmans Schönheitsoperationen wissen möchten. Ganz so, als müssten sie ihre Verehrung des Künstlers mit der Enttäuschung über den Menschen korrigieren. Aber genau diesen Gefallen gestattet Moon Zappa der Leserschaft nicht. «Earth to Moon» beschreibt psychologisch beklemmend und stilistisch gekonnt, welche Wunden Familienmitglieder einander schlagen, obwohl sie einander zu lieben glauben.
Auf ihre Weise hat Moon Zappa den Respekt ihres Vaters doch noch bekommen. Als er sie in jener Nacht weckte und ins Kellerstudio holte, bat er sie, den Slang ihrer Mitschülerinnen zu parodieren, mit dem sie ihn so zum Lachen gebracht hatte. Der Song mit ihren Improvisationen erschien 1982 unter dem Namen «Valley Girl» als Single. Zur Überraschung aller wurde er erst von den lokalen und dann von den landesweiten Radiosendern gespielt und löste sogar einen Trend aus. Vor allem aber wurde «Valley Girl» mit Moon Zappa zu Zappas einzigem Hit in Amerika.
Moon Unit Zappa: Earth to Moon. Aus dem Schatten meines Vaters zu mir selbst – Erinnerungen. Aus dem Amerikanischen von Iris Hansen, Teja Schwaner, Karolin Viseneber und Daniel Müller. Heyne Verlag, München 2024. 416 S., Fr. 35.90.