Reinhold Messner wird am Dienstag 80 Jahre alt. Die Grosstaten des Südtirolers liegen Jahrzehnte zurück, doch er ist immer noch präsent. Mittlerweile ist er ein fast schon beliebiger Prominenter geworden.
An seinem 80. Geburtstag am Dienstag wird Reinhold Messner zusammen mit seiner Ehefrau auf eine Alphütte in Südtirol steigen. Das hat er kürzlich der «Apotheken-Umschau» erzählt. Im selben Interview sagte Messner, er habe seine früheren runden Geburtstage immer in grosser Gesellschaft gefeiert. Selbst habe er nie etwas von den Festivitäten gehabt, zu viel Trubel. Deshalb droht er zum 80. mit Rückzug. Das ist Koketterie. Normalerweise unternimmt Messner alles, um im Rampenlicht zu stehen.
Messner ist der prägendste Bergsteiger der Geschichte, ein Superstar. Wenn Laien einen Alpinisten kennen, dann ihn. Der Südtiroler hat Grenzen verschoben. Wovon andere nicht zu träumen wagten, das setzte er um. Bahnbrechend seine Art des Trainings, bahnbrechend seine Ideen, bahnbrechend die Routen, die er im Kalk der heimischen Dolomiten eröffnet hat. Auch mehr als 60 Jahre nach seinen dortigen Erstbegehungen gelten diese als aussergewöhnlich.
Unmöglich, hiess es, als er 1978 den Beweis antrat, dass es keinen Flaschensauerstoff braucht, um auf den 8848 Meter hohen Mount Everest zu steigen. Unmöglich, einen Achttausender im Alpinstil, also ohne vorbereitete Lager oder Fixseile, zu besteigen. Messner zeigte, dass das geht. Er war 1986 der Erste, der alle 14 Achttausender der Erde ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen hatte.
Messner war der Mann für Sensationen. Phänomenal sein Alleingang 1980 auf den Mount Everest. Phänomenal die Überschreitung von Gasherbrum I und Gasherbrum II vier Jahre später gemeinsam mit Peter Habeler. Doch dass sein Bruder Günther 1970 in seiner Begleitung am Nanga Parbat starb, hat er bis heute nicht verwunden. Es ist Messner Lebenstrauma.
Er hat 14 Achttausender-Besteigungen gemeistert, alle ohne Flaschensauerstoff. Er stand auf den höchsten Bergen der sieben Kontinente, er lief zu Fuss zum Südpol und durchquerte die Wüste Gobi. Dass er das alles überlebt hat, ist eine Sensation. Die Pioniertaten liegen 40 und mehr Jahre zurück. Doch Messner ist noch immer über die Bergsteiger-Szene hinaus präsent. Wie hat er das geschafft?
Kein Bergsteiger hält spannendere Vorträge als Messner
Schon als Höhenbergsteiger zeigte sich: Was andere als letztgültige Wahrheit ansehen, stellt Messner zur Diskussion. Er ist ein Gegenredner. Er hinterfragte die sechsstufige Welzenbach-Skala für die Bewertung von Schwierigkeitsgraden im Klettern. Heute reicht die Skala bis zum 12. Grad. 1968 schrieb er in der Zeitschrift «Alpinismus»: «Geht in Zukunft mit denen aus der Vergangenheit weiter. Ich denke, sie waren auf dem richtigen Weg.» Bis heute ist der traditionelle Alpinismus sein Thema. Hochträger, Basislager, Fixseile und andere Hilfsmittel lehnt er ab.
Vor einigen Jahren gründete er das «Messner Mountain Heritage», mit dem er «das Erbe des traditionellen Alpinismus weiterleben lassen» möchte. Messner hat selbst entschieden, dass sein geistiges Erbe es wert ist, gepflegt zu werden. Diese Aufgabe nicht Zeitgenossen oder nachfolgenden Generationen zu überlassen, braucht Selbstbewusstsein.
Messners Pioniertaten fesseln die Menschen nach wie vor. Kein Bergsteiger hält bessere, spannendere Vorträge. Anfang September war er in Lądek-Zdrój am grössten Alpinismus-Festival Polens zu Gast. Das riesige Zelt war voll besetzt. Zweitausend Leute hingen an seinen Lippen. Die erfolgreichsten polnischen Höhenbergsteiger huldigten Messner.
Messner spielt auf der Klaviatur der Medien wie ein Pianist auf einem Steinway
Messner bedient das Interesse an ihm auch mit Büchern. Praktisch im Jahresrhythmus erscheint ein neues oder zumindest ein aktualisiertes Werk. Die eigenen alpinen Heldentaten hat er längst auserzählt. Jetzt macht Messner sich Gedanken über Grundsätzliches. Er schreibt über den «Verzicht als Inspiration für ein gelingendes Leben». Das ist eine steile These für einen, der zum Multimillionär geworden ist, seit Jahren auf einem Schloss residiert und um die Welt jettet.
Messner ist ein Vermarktungstalent. Zuletzt machte er sich das Schreiben der Bücher leicht und hat seitenweise ihm gefällige Passagen aus Interviews übernommen. Damit sich die Bücher verkaufen, gibt er rechtzeitig meinungsstarke Interviews. Vor dem 80. Geburtstag fiel seine Wahl auf die «Apotheken-Umschau», scherzhaft auch Rentner-«Bravo» genannt. Sein Publikum ist mit ihm älter geworden.
Messner weiss, dass dieses Gratismagazin eine grosse Reichweite hat. Auf der Klaviatur der Medien spielt er wie ein Pianist auf einem Steinway. Als er im Schloss Juval, seinem langjährigen Wohnsitz, 2015 über die Mauer kletterte, weil er den Schlüssel vergessen hatte, brach er sich das Fersenbein. Anderen wäre das peinlich gewesen. Messner holte sich die Publicity ab.
Zuletzt sorgte er für Schlagzeilen, als er angebliche Familienstreitigkeiten um sein Erbe in die Öffentlichkeit trug. Die anderen Beteiligten sagten, von einem Streit wüssten sie nichts. Das war kein Ausrutscher. Messner macht nichts, ohne die Konsequenzen genau im Blick zu haben. Ein Streit interessiert das Publikum, Messner bleibt so im Gespräch.
Passiert an einem Berg ein Unglück, läuft Messner zur Hochform auf
Passiert an einem Berg ein Unglück, steht Messner für ein Statement zur Verfügung. Bevorzugt für die skandalwitternde «Bild»-Zeitung. Sein Büro reagiert umgehend auf Anfragen – ein Glücksfall für Medienschaffende. Als ein Bergsteiger 2022 am Hochkalter vermisst wurde, war Messner mit seiner Meinung in der «Bild» zur Stelle: «Ich bin zwar nicht vor Ort, aber. . .», sagt er in solchen Situationen.
Im vergangenen Jahr gingen Bilder vom K 2 um die Welt. Die zeigten, wie Alpinisten über einen sterbenden Hochträger hinwegstiegen. Messner lief zur Hochform auf, lieferte aus Tausenden Kilometern Entfernung Empfehlungen, wie eine Rettung möglich gewesen wäre. Deutschsprachige Medien liessen ihn nach Belieben spekulieren und dozieren.
Kritische Nachfragen an ihn oder gar Widerspruch? Das duldet er nicht. Messner, der selbst alles infrage stellt, lässt über seine Wahrheiten nicht diskutieren. Bei Kritik kann er unangenehm werden. Wer nicht seiner Meinung ist, wird ahnungslos gescholten. Damit macht er ein Gespräch unmöglich. Wohlgelitten ist nur, wer seine überwiegend immer gleichen Phrasen nacherzählt.
Messner kritisiert Kaltenbrunner, Purja lobt er in den Himmel
Besonders zu spüren bekommen hat Messners Zorn Eberhard Jurgalski. Der hat festgestellt, dass einige Höhenbergsteiger bei ihren Aufstiegen Gipfel verfehlt haben. Darunter auch Messner. Jurgalski erklärte, angesichts der neuen technischen Möglichkeiten würde er in seiner Statistik, die massgeblich für die Guinness-Zertifikate ist, künftig nur noch Bergsteiger verzeichnen, die den Gipfel tatsächlich erreicht hätten. Messner reagierte dünnhäutig, drohte sogar mit Klage. Jurgalski hatte Messner nie einen Rekord abgesprochen.
Seine Leistungen seien unbestritten grossartig, doch der Mann mit seinen Meinungen und Ansichten aus der Zeit gefallen, hört man beim bergsteigenden Nachwuchs. Als junger Mann kritisierte Messner die alte Garde, nun hinterfragen ihn junge Alpinistinnen und Alpinisten. Das ist der Lauf der Dinge. Doch Messner hat das Problem, dass er neben sich niemanden gelten lassen will. Gerlinde Kaltenbrunner, die als erste Frau die 14 Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestiegen hat, kritisierte er, weil die Österreicherin die Achttausender nicht im Alpinstil bestiegen hat.
Dafür lobt er Nirmal Purja. Der Nepali stieg innerhalb von etwas mehr als sechs Monaten auf alle Achttausender, flog mit dem Helikopter von Basislager zu Basislager und nutzte Flaschensauerstoff. Eigentlich lehnt Messner das ab, er zählt Purja trotzdem zu den Vertretern des traditionellen Bergsteigens. Weshalb er Kristin Harila, einer jungen Norwegerin, die Purjas Rekord unterboten hat, nicht die gleiche Verehrung, sondern Kritik entgegenbringt, ist ebenso wenig zu erklären.
Kompetitive Verhältnisse im Hause Messner
Oswald Oelz war 1978 als Höhenarzt bei Messners Erstbesteigung des Everest ohne Flaschensauerstoff dabei. Er erzählte der NZZ, dass Messners Kletterpartner Peter Habeler Zweifel an diesem Vorhaben geäussert habe. Im Basislager gab es Streit, Messner setzte sich durch. Natürlich. Oelz sagte: «Habeler war kein Alphatier wie Messner. Und er ist nicht in so kompetitiven Verhältnissen aufgewachsen.
Messner wuchs als Sohn des Dorflehrers im Villnösstal auf. Daheim und in der Schule führte der Vater ein strenges Regime. Messner hatte acht Geschwister, lernte früh, sich zu behaupten und durchzusetzen. Diese Eigenschaften haben ihn weit gebracht. Messner ist nicht nur Rekordbergsteiger, er war auch Politiker, sass zwischen 1999 und 2004 für die italienischen Grünen im Europaparlament.
Messner hätte durchaus wichtige Sachen zu sagen. Allerdings scheint ihm das Gespür für das Wesentliche in letzter Zeit abhandengekommen zu sein. In seinem Film – auch in das Filmgeschäft ist er irgendwann eingestiegen – über die Manaslu-Expedition von 1972 lässt er zwar das Publikum daran teilhaben, wie er seiner Frau einen Heiratsantrag macht. Doch bei dieser Tour kamen auch seine Kletterpartner Andi Schlick und Franz Jäger ums Leben. Die wesentlichere Frage wäre gewesen, was es bedeutet, wenn der Vater nicht mehr heimkehrt. Wie gehen Frauen und Kinder mit dem Verlust um? Diese Chance liess der Filmemacher Messner verstreichen.
Lösungsvorschläge bleibt Messner schuldig
Statt sich solchen Fragen zu widmen, kritisiert Messner immer wieder den Pistenalpinismus, ein von ihm erfundener Begriff. Er beklagt Müll, Fäkalien und den überbordenden Besucherstrom am Mount Everest. Er wäre eine wichtige Stimme, wenn es darum geht, diese Auswüchse einzudämmen. Doch Lösungsvorschläge bleibt er schuldig.
Messner setzt lieber auf pointierte Aussagen und auf schöne Bilder, das kommt beim Publikum an, hält ihn im Gespräch. Messner geht dafür durchaus mit der Zeit. Früher hat er die sozialen Netzwerke abgelehnt. Durch seine 36 Jahre jüngere Ehefrau Diane angeleitet, bespielt er nun auch Facebook und Instagram. Dort verbreitet er seine Weisheiten und schwelgt im Liebesglück. Geschickt gelingt es dem Paar, den Namen Messner in den Medien zu halten. Sie überlegte einmal in einem TV-Interview, ihm zum 80. Geburtstag ein Tattoo zu schenken. Er drehte das Thema später weiter, indem er eine Tätowierung ablehnte.
Aus dem Bergsteiger Reinhold Messner ist unterdessen ein fast schon beliebiger Prominenter geworden. Seiner Popularität schadet das nicht. Noch immer verkaufen sich seine Bücher; bis Ende Jahr wird er über 20 Vorträge in Deutschland, Österreich und der Schweiz halten.
Ende August hat Messner sein neustes Werk veröffentlicht, je nach Zählweise sind es mittlerweile über 50 Bücher. Der Titel lautet: «Gegenwind – vom Wachsen an Widerständen». Das war einmal das Erfolgsrezept von Reinhold Messner, der rote Faden im Leben ist es noch immer.