Eine Ausstellung in München erkundet Werk und Leben der Schriftstellerin, die ihre Karriere 1954 als Shootingstar begann und nur neunzehn Jahre später in Rom starb.
Ein wuchtiger Kopf, die Lippen geschlossen und dick bemalt, die Haare kurz und leicht verwuschelt, der Blick entschieden, fast trotzig – so präsentierte sie «Der Spiegel» im August 1954 auf dem Cover. Seinerzeit schafften es Frauen in Waschmittel- und Staubsaugerreklamen, aber selten in die Nachrichtenmagazine. Es war Ingeborg Bachmanns medialer Durchbruch. 28 Jahre jung war sie, zwei Jahre zuvor hatte sie erstmals beim Jahrestreffen der Gruppe 47 gelesen, in Niendorf an der Ostsee, eine Unbekannte unter vierzig Autoren. Sie gewann deren Preis – und löste damit ein mittleres Erdbeben aus.
Der deutschsprachige Literaturbetrieb hatte eine Lyrik-Avantgardistin und «Der Spiegel» eine absatzbringende Titelgeschichte: Sie kündete nicht weniger als eine «neue Hoffnung der deutschen Nachkriegsliteratur» an. Doch der promovierten Philosophin dürfte damals klar gewesen sein, dass es mehr als literarisches Talent braucht, um im männerdominierten Kulturbetrieb zu bestehen.
Die «Spiegel»-Ausgabe ist derzeit in einer Ausstellung im Literaturhaus München zu sehen, neben persönlichen Schriften und Gegenständen aus dem Nachlass der in Klagenfurt geborenen Schriftstellerin.
Im Karussell der Liebe
Es gibt viel zu sehen, zu lesen und zu hören: kaffeefleckige Briefwechsel mit Max Frisch, Paul Celan oder Ilse Aichinger, Gedichtentwürfe, Zollerklärungen, Interviews, eine Zigarettenschachtel, Schreibmaschinen. Auf den ersten Blick Marginalien, die aber im Wissen um all die Dramen und Krisen im Leben der Ingeborg Bachmann ihre Bedeutung erhalten.
«Ich bin es nicht. Ich bin’s», so der Titel der Ausstellung, natürlich ein Bachmann-Zitat. Man kann hier nachempfinden, wie stark Begegnungen, Freundschaften, Affären und Orte Bachmanns Schaffen prägten. Sie waren immer Inspiration und Unglück zugleich. Eine neue Liebe führte an neue Orte und diese zu neuer Prosa oder auch in den Graben.
Kluge Strategin, die sie war, hatte sie ein Gespür für karrierefördernde Situationen, nicht aber für die richtigen Männer. Einer Flipperkugel gleich liess sie sich zwischen Engagements und Liebschaften hin- und herschleudern. In Wien lernte sie 1948 Paul Celan kennen, den Dichter der «Todesfuge». Ihr geliebter Vater, der Volksschullehrer Matthias Bachmann, war bereits 1932 der NSDAP beigetreten. Nach dem Krieg wurde das zum Tabu, das ihr Schaffen wie eine dunkle Wolke verfolgen sollte. Die Liaison zwischen Ingeborg Bachmann, Tochter eines Nationalsozialisten, und Paul Celan, dem Sohn von Holocaust-Opfern, musste scheitern.
Im Sommer 1955 trieb sie ein Symposium für junge deutsche Künstler nach Harvard und längere Zeit Henry Kissinger in die Arme. Von 1958 bis 1962 lebte Bachmann mit dem 15 Jahre älteren Max Frisch zusammen, in der Schweiz und in Italien. Dorthin war sie zuerst Hans Werner Henze gefolgt, nämlich 1953 nach Ischia.
In Italien habe sie «schauen gelernt» und in Rom «leben gelernt», schwärmte sie. Mit dem homosexuellen Komponisten pflegte sie eine selten stabile und doch quälend schwierige Freundschaft; sie verfasste Opernlibretti für ihn, es war vielleicht ihre produktivste Phase.
Das Leben als Spannungsfeld: Eine Zeitlang mag das zu künstlerischen Grosstaten antreiben, irgendwann allerdings zehren Erwartungsdruck, Misogynie, Liebeskummer und Umzüge aus. Als hochintelligenter, aber leider weiblicher Shootingstar konnte man es damals ohnehin niemandem recht machen. Der Literatur- und Kulturbetrieb reagierte verlässlich irritiert, neidisch und feindselig.
Sphinx der Literaturszene
In Nicole Seiferts jüngst erschienenem, gründlich recherchiertem Buch «Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47» wurde deutlich, wie herablassend und boshaft die einflussreiche Herrenriege um Hans Werner Richter («arme, überdrehte Inge»), Heinrich Böll oder Joachim Kaiser die wenigen Frauen in ihrem erlauchten Kreis behandelte oder als avantgardistische Staffage benutzte.
Bachmann hielt mit geschickter Selbstinszenierung dagegen. Sie pflegte die Aura des Geheimnisvollen, «Sphinx der neueren Literaturgeschichte» nennt sie ihr Biograf Helmut Böttiger, liess sich in unzähligen Porträts – mit Weinglas, mit Zigarette, hinterm Schachbrett, über der Schreibmaschine – in die Unsterblichkeit fotografieren. Sie machte auf burschikose Bahnbrecherin, auf Stilikone – die Ausstellung zeigt auch ihre Kleider – oder wenn nötig auf kapriziöse Diva. Nach der Lesung 1952 in Niendorf soll sie in Ohnmacht gefallen sein, zwar nicht öffentlichkeitswirksam im Forum, sondern diskret auf ihrem Zimmer, aber immerhin.
Von der zerbrochenen Beziehung mit Max Frisch, jenem «Unheil füreinander», erholte sie sich nie. «Im Grunde ist jeder allein mit seinen unübersetzbaren Gedanken und Gefühlen», meinte sie später. Die Schreibwut verkehrte sich in eine Schaffenskrise. Ingeborg Bachmann zog nach Berlin, wo Depressionen, Tabletten- und Alkoholsucht sie wiederholt ins Krankenhaus zwangen.
Im September 1973 erlag sie in Rom den Folgen eines Unfalls: Eine Zigarette war auf ihr Nachthemd gefallen, in der Klinik starb sie an den Brandwunden und an Entzugserscheinungen. Ein Jahr zuvor, in ihrer Rede zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises, hatte sie bekannt: «Ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe.»
Literaturhaus München, bis 24. November.