Weniger als zwei Wochen vor der Parlamentswahl steht Österreich nach wie vor im Bann der Unwetter. Sie könnten die FPÖ sogar den Wahlsieg kosten.
Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Naturkatastrophen zuweilen Wahlen beeinflussen. Politiker können sich in einer solchen Situation zupackend und empathisch zeigen, sich aber auch dem Vorwurf der eigenen Inszenierung oder der Geringschätzung von Leid aussetzen. Gerhard Schröder etwa sicherte sich 2002 mit seiner Anteilnahme beim Hochwasser in Sachsen möglicherweise die Wiederwahl. Der konservative Spitzenkandidat Armin Laschet wurde dagegen vor gut drei Jahren im Flutgebiet Ahrtal bei einer Rede des Bundespräsidenten lachend abgelichtet. Seine Umfragewerte brachen darauf ein, er verlor die Wahl drei Monate später gegen Olaf Scholz.
Österreich hat seine eigene «Gummistiefel-Geschichte»: 1997 kam es in Niederösterreich zu Überschwemmungen – in der gleichen Region wie dieser Tage, aber nicht in vergleichbarem Ausmass. Der damalige Bundeskanzler Viktor Klima liess sich mit dem Helikopter einfliegen und schleppte für die Kameras in Jeans und gelben Gummistiefeln Wasserkübel. Die Aktion wurde allerdings zum PR-Desaster und schadete dem Sozialdemokraten massiv, zwei Jahre später war er der grosse Wahlverlierer.
Der Bundeskanzler bezeichnet Österreich als «Autoland»
Das mag ein Grund sein, warum sich die Politiker in der derzeitigen Hochwasserkatastrophe Zurückhaltung auferlegt haben, obwohl die Parlamentswahl in weniger als zwei Wochen stattfindet. Alle Parteien haben ihre Veranstaltungen grossteils abgesagt, und die TV-Debatten dieser Tage wurden auf Ende der Woche verschoben. Stattdessen beherrschen die Folgen des Unwetters die Berichterstattung.
Derweil nutzen die Spitzenkandidaten ihre Social-Media-Konten, um den Einsatzkräften zu danken und den Angehörigen der mittlerweile fünf Todesopfer ihre Anteilnahme auszusprechen. Der Chef der Sozialdemokraten, Andreas Babler, dokumentierte in einem Video auch seinen Einsatz im strömenden Regen an der Unwetterfront. Er ist allerdings Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Traiskirchen und auch Mitglied der dortigen Feuerwehr. Der konservative Bundeskanzler Karl Nehammer postet dagegen Fotos, wie er Sitzungen des Krisenstabs leitet und sich von den Landeshauptleuten in Wien und Niederösterreich die Lage schildern lässt.
Alle beteuern, dass die Katastrophe nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden dürfe. Es ist aber klar, dass sie schlagartig zu einem bestimmenden Thema geworden ist – und damit auch der Klimawandel, mit dem Experten die aussergewöhnliche Intensität der Niederschläge der letzten Woche begründen. Die «Kronen Zeitung», lange als Stimme des Volkes gesehen, schrieb deshalb in einem Kommentar, der Klimawandel sei die Mutter aller Probleme, und fragte, wie viele Weckrufe es noch brauche für die Einsicht in dringende Massnahmen.
In den sozialen Netzwerken wird nun erneut an eine Rede Nehammers vor anderthalb Jahren erinnert, in der er Klimaaktivisten für ihren «Untergangsirrsinn» kritisiert hatte. Seine konservative ÖVP hat sich tatsächlich eher als Verhinderin von Umweltschutzmassnahmen positioniert. Der Kanzler kämpft gegen das Aus für Verbrennungsmotoren und bezeichnet Österreich als «Autoland». Noch deutlich weiter geht die in allen Umfragen führende FPÖ, deren Chef Herbert Kickl regelmässig von Hysterie oder «Klimakommunismus» spricht.
Am anderen Ende des politischen Spektrums stehen die Grünen, die derzeit unter anderem «Wähl Klima» plakatieren. Ihre Umweltministerin Leonore Gewessler hatte im Juni gegen den Willen der Koalitionspartnerin ÖVP in Strassburg für eine EU-Verordnung zur Renaturierung gestimmt, die eine naturnahe Wiederherstellung von Landschaften vorsieht. Damit verhalf sie dem Gesetz zur erforderlichen Mehrheit. Die Konservativen reagierten entsetzt und zeigten die Ministerin sogar wegen Amtsmissbrauchs an – das Verfahren wurde dieser Tage eingestellt.
Nun zeigte sich allerdings, dass Renaturierungsmassnahmen entlang von Flussläufen in Niederösterreich stellenweise noch schlimmere Überschwemmungen verhindert haben. Die Grünen hüten sich derzeit, solches zu betonen. Stattdessen betonte es der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Renaturierung sei eine sinnvolle Massnahme zum Hochwasserschutz, erklärte er.
Das Thema Migration ist in den Hintergrund gerückt
Ob die Grünen bei der Wahl von der neuen Themenlage profitieren werden, ist offen. Laut Umfragen werden sie gegenüber dem Ergebnis von 2019 deutlich an Wähleranteilen verlieren, und auch ein langer Hitzesommer hat ihnen keinen Schub verliehen.
Laut dem Wahlforscher Christoph Hofinger verknüpft die Bevölkerung Extremwetterereignisse aber sehr wohl mit dem Klimawandel. Die gegenwärtige Situation könne sich deshalb nachteilig auswirken für Parteien, die ihn leugneten oder seine Bekämpfung bremsten, schreibt er in der Zeitung «Der Standard». Das betreffe vor allem die FPÖ. Deren treue Wähler dürften zwar die skeptische Haltung gegenüber dem Klimawandel teilen. Ein Problem ist für die Partei aber, dass ihr Hauptthema Migration in den Hintergrund gerückt ist.
Das könnte sogar den seit Monaten als praktisch sicher geltenden Wahlsieg der FPÖ gefährden. Bei der EU-Wahl hatte sie zwar erstmals in einer nationalen Wahl Platz eins erreicht, aber mit einem überraschend geringen Vorsprung auf die Kanzlerpartei ÖVP. Glaubt man den Umfragen, hat diese inzwischen weiter aufgeholt.
Angesichts der Katastrophe gibt Nehammer nun gekonnt den besonnenen Krisenmanager, der noch dazu Geld sprechen kann. Er hat eine Bühne, während Kickl sich jüngst nur via Social Media an seine Fans richten konnte. Zusammen mit dem Gefühl der gesellschaftlichen Einheit, das laut Hofinger im Fall von externen Krisen oft entsteht, könnte dies das Rennen nochmals spannend machen.