Einst das Treibmittel für Blähungen, heute unentbehrlich in der fleischlosen Küche: Bohnen sind vielseitig, gesund und können überraschend modern sein.
Es gab in der Geschichte der Kulinarik wohl niemanden mit einem grösseren Appetit auf Bohnengerichte als die Flatulenz-Artisten im Paris des 19. Jahrhunderts. Das waren eigentliche Stars, sie füllten grosse Säle mit ihren melodiös orchestrierten Winden. Gar ganze Geschichten vermochten sie pupsenderweise zu erzählen. Damit die dazu benötigte Luft in einem Übermass zur Verfügung stand, musste deren Produktion unablässig angekurbelt werden. Mit Bohnengerichten klappte das am besten.
Joseph Pujol, der Talentierteste, trat für astronomische Gagen im berühmten Moulin Rouge auf. Zunächst demonstrierte er einige Tenor-, Bariton- und Bassfürze, dann die Winde einer Braut vor und nach der Hochzeitsnacht sowie das wohlgefällige Flatulieren der dazugehörigen Schwiegermutter. Er führte Donnergrollen und Kanonendonner vor, dazwischen imitierte er verschiedene Blasinstrumente und furzte ein paar Kinderlieder.
Wir lieben (und essen) Bohnen aus anderen Gründen. Wer sich vegetarisch oder vegan ernähren oder einfach weniger Fleisch essen will, für den sind Kichererbsen, Linsen, getrocknete Bohnenkerne und Sojabohnen wertvolle Eiweissquellen. Die Hülsenfrüchte enthalten im getrockneten Zustand um die 30 Prozent Eiweiss. Deshalb sind sie auch als Tierfutter bedeutsam – vier Fünftel der weltweiten Sojaproduktion landen im Futtertrog. Gleichzeitig «düngen» Leguminosen, wie Hülsenfrüchte auch genannt werden, beim Anbau den Boden für sich selbst und nachfolgende Kulturen, mit Stickstoff.
Mit Bohnen zu neuen Geschmackswelten – und weniger Fleisch
Bohnen sind seit Tausenden von Jahren Teil der menschlichen Ernährung, und es gibt sie in Hunderten von Formen, Grössen und Farben. «Bohne» ist ein weit gefasster Begriff. Getrocknete Bohnen- oder Erbsenkerne sind auch Samen ihrer Mutterpflanze, sie bleiben mehrere Jahre keimfähig. Sie sind erstaunlich vielseitig und praktisch, richtig gelagert (dunkel, trocken und nicht an der Wärme) sind sie fast unbegrenzt haltbar. Um die in ihnen steckenden Proteine, Vitamine, Mineralien und Enzyme wieder zum Leben zu erwecken, genügen einige Stunden Einweichen in kaltem Wasser. Neben der klassischen Zubereitungsart des Weichkochens werden Hülsenfrüchte auch zu Tofu geronnen, zu Mehl gemahlen und zu Miso, Tempeh und Sojasauce fermentiert.
Ursprünglich aus Südamerika stammend, bereicherten Bohnen – und das Trocknen als ideale Vorratshaltung – den Speiseplan indigener Völker und waren wichtige Protein- und Kohlenhydratquellen. Von dort gelangten sie durch die europäischen Eroberer zu uns, damals kannte man hier nur die gemeine Ackerbohne. Die enorme Sorten- und Farbenvielfalt der neuen Arten, zusammen mit ihren gesundheitlichen Benefits und der einfachen Lagerhaltung, liess getrocknete Bohnen auch in Europa und anderen Teilen der Welt rasch zu einem der beliebtesten Grundnahrungsmittel werden.
In den letzten Jahrzehnten und dem damit einhergehenden Kohlenhydrate-Hate verloren Hülsenfrüchte im Allgemeinen und getrocknete Bohnen im Besonderen etwas an Zuspruch. Die Verbreitung der Levante-Küche und auch der wiedererstarkte Fokus auf Vorratshaltung während der Pandemie schoben das Interesse aber wieder an, und auch in der kreativen Gastronomie findet man immer öfter Zubereitungen damit. Für mich das Spannendste an solchen Gerichten ist: Sie funktionieren mit fast allen Bohnensorten. Man ist also nicht darauf beschränkt, eine bestimmte Sorte zu verwenden, und kann je nach Erhältlichkeit und Farbenspiel eigene Akzente setzen.
Noch ein Tipp zum Kochen von Hülsenfrüchten: Niemals in gesalzenem Wasser weichzukochen versuchen, sonst dauert es ewig. Wenn es hingegen mal richtig schnell gehen soll: einen Esslöffel Backpulver ins Einweich- oder ins Kochwasser geben. Natron beschleunigt das Aufweichen der Zellwände.
Ja, Bohnen gehen auch mit Ingwer
Bei Marianna Vitale, einer äusserst kreativen Köchin in Neapel, bekam ich in ihrem Ristorante Sud einmal eine Pasta mit Bohnenversion vorgesetzt, die ich immer wieder zu Hause zubereite, so begeistert bin ich von diesem Rezept. Ich erhielt es zuerst von Riccardo Felicetti, einem hochangesehenen Produzenten artisanaler Pasta aus dem Veneto. Seine Pasta wird in fast allen hochdekorierten Restaurants Italiens verwendet. Er wiederum hatte es von Marianna Vitale bekommen.
Natürlich besuchte ich sie während eines Trips nach Napoli und liess mir ihre Pasta e Fagioli vorsetzen. Der Ingwer bringt eine exotische und leichte Komponente in dieses sonst sehr bäuerliche Gericht, und der zu Crème gehackte Lardo verleiht der Pasta Tiefe und Komplexität. Worüber ich mich freue wie ein Kind: Hier ist es für einmal erlaubt, Spaghetti vor dem Kochen in Stücke zu brechen!
Hier geht’s zum Rezept:
Und der ernstzunehmende Einwand, was Blähungen angeht, die sich bei vielen Menschen einstellen nach dem Genuss getrockneter Bohnen? Verantwortlich dafür ist Raffinose, ein komplexes Kohlenhydrat, das sich aus Glukose, Fruktose und Galaktose zusammensetzt. Doch es gibt Wege, Blähungen zu verhindern oder auf ein Minimum zu reduzieren. Dazu die Hülsenfrüchte gut waschen und einmal kurz aufkochen. Erst dann in kaltem Wasser über Nacht weich werden lassen. Joseph Pujol und die anderen Kunstfurzer seiner Zeit wären mit dieser Methode auf der Stelle arbeitslos geworden.
Richi Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Seine Rezepte veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch. Instagram @richifoodscout.