In London benutzten Aktivisten die Denkmäler bekannter Figuren, um für Vaterschaftsurlaub Stimmung zu machen. Es ist die jüngste von gegenwärtig vielen Vereinnahmungen der Männer aus Metall.
Die beiden Fussballspieler Tony Adams und Thierry Henry wurden über Nacht zu involvierten Vätern.
Über viele Jahre interessierten sich höchstens die Tauben für sie: Statuen längst verstorbener Männer. Hie und da dürfte auch ein Hund oder ein Fussgänger mit voller Blase auf sie gezielt haben. Sonst galt grösstenteils die einst vom Schriftsteller Robert Musil gemachte Feststellung: «Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal.»
In den letzten Jahren jedoch erlebten die starren Männer besonders in Grossstädten so viel Aufmerksamkeit wie schon lange nicht mehr. Plötzlich wurden sie zum Objekt hitziger Auseinandersetzungen, zum Ziel von Farbattacken und Entsockelungswünschen. Nun ging in London und Edinburg die Abarbeitung am Denkmal in die nächste Runde. Doch der Blick jener, die sich die Statuen verschiedener Männer in Metall vorgenommen haben, ist nun nicht mehr rückwärtsgewandt, sondern auf die Zukunft gerichtet.
Vereinnahmung mit Puppen
Am Londoner Paddington-Bahnhof, zwischen den Perrons acht und neun, sitzt seit Jahr und Tag der Ingenieur Isambard Kingdom Brunel, unter anderem betraut mit dem Bau der Great Western Railway und Vater dreier Kinder. Seit man Brunel in Bronze gegossen hat, lässt er den Blick schweifen, den hohen Zylinder locker in der linken Hand. Kurzzeitig wurde nun auch seine Rechte beschäftigt: In einer türkisfarbenen Stoffschlinge kuschelt sich dort eine Puppe in der Grösse eines Babys an Brunel.
Auch andere britische Statuen bekamen das «daddy treatment», wie ein britisches Kunstmagazin die Aktion nannte: Der Tänzer Gene Kelly, der sich am Leicester Square von einem Lampenpfosten schwingt, nahm plötzlich eine Puppe im senfgelben Tragetuch mit in seinen Schwung. Auch der Schauspieler Laurence Olivier oder der Fussballer Thierry Henry bekamen bunte Tücher mit Plastikbabys darin umgebunden.
Positive Provokation
Die Vereinnahmung der Statuen im öffentlichen Raum hat nichts mit Kunst zu tun: Die Aktivistengruppe The Dad Shift hat den bekannten Männern Kinder angehängt, um für einen längeren und finanziell besser abgesicherten Vaterschaftsurlaub zu werben.
Momentan bekommen Väter im Vereinigten Königreich zwei Wochen Zeit, um sich ihrem Neugeborenen und der Mutter im Kindbett zu widmen. In diesen beiden Wochen erhalten die Männer allerdings nicht ihren regulären Lohn, sondern nur 184 Pfund je Woche. Laut einer Statistik lehnt einer von drei Vätern das Angebot ab – aus finanziellen Gründen, wie Umfragen ergaben.
In einem offenen Brief an Premierminister Keir Starmer, selbst zweifacher Vater, schreiben die Aktivisten nun: «Ein angemessener Elternurlaub für Väter und Co-Eltern ist gut für Mütter, gut für Babys, gut für Väter und auch gut für die Gesellschaft.» Im Sinne einer solchen politischen Veränderung habe man im öffentlichen Raum für «einen positiv provozierenden Anblick» sorgen wollen.
Vaterfreuden bei Tänzer Gene Kelly und Stephen Melton’s Statue eines Yuppie.
Sturm auf die Denkmäler
Als Provokation in Bronze galten viele Statuen in den letzten Jahren allerdings auch ohne bunte Tragetücher und Puppen. Im Zuge der Kolonialismus-Debatte und mit der Wut der «Black Lives Matter»-Bewegung wurde mehreren Statuen zu Leibe gerückt. Richmond im Gliedstaat Virginia stürzte etwa das Denkmal für Jefferson Davies, den einzigen Präsidenten der Konföderierten Staaten von Amerika und damit Gegenpräsident von Abraham Lincoln im Sezessionskrieg. Auch Denkmäler von Christoph Kolumbus wurden weder diesseits noch jenseits des Atlantiks verschont.
Der Denkmalsturm fegte bis in die Schweiz. In Zürich geriet, nicht zum ersten Mal, das Denkmal für Alfred Escher in den Fokus der Stürmer. Die Zürcher Familie Escher war unter anderem mit der Kaffeeplantage Buen Retiro in Kuba und mit Beteiligungen an zwei Sklavenschiffen zu ihrem grossen Vermögen gekommen. Obwohl Alfred Escher mit den Sklavengeschäften direkt nichts mehr zu tun hatte, profitierte er von deren Ertrag. Dafür wollte man ihn entsockeln.
Sollte die gegenwärtige britische Aktion eidgenössische Nachahmer finden – auch Schweizer Väter bekommen nur zwei Wochen Vaterschaftsurlaub –, dürfte Escher, der verwitwete, alleinerziehende Vater, allerdings für einmal nicht die schlechtesten Karten haben.