Das Verdikt ist deutlich: In fast allen Kantonen fällt die Vorlage durch. Umweltorganisationen werden es mit einer noch extremeren Vorlage schwer haben.
Es war – wie immer, wenn es um Umwelt- oder Tierschutz geht – eine emotionale Debatte. Selbst Hans Rösti wurde in die Kampagne hineingezogen. Der Bergbauer und Bruder des Umweltministers wurde von den Initianten kritisiert, weil er eine Trockenwiese im Ueschinental düngt. Raimund Rodewald war «schockiert». «Das ist die irreversible Zerstörung von Biodiversität», sagte der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz in der «NZZ am Sonntag». Die Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung teilt diese Bestürzung überhaupt nicht. 63 Prozent und, mit Ausnahmen der linken Stadtkantone Genf und Basel, sämtliche Stände sagen Nein zur Biodiversitätsinitiative.
Hamas und Klimakleber
Damit gehen die Bauern im Duell zwischen der Landwirtschaft und rot-grünen Nichtregierungsorganisationen (NGO) zwei zu null in Führung. Die Umweltvorlage vom Sonntag lässt sich in mancherlei Hinsicht mit dem denkwürdigen Abstimmungssonntag im Juni 2021 vergleichen. Damals wurde neben der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative auch noch das CO2-Gesetz verworfen. Die Bauern zeigten damals, dass sie nicht nur im Parlament eine Macht sind, sondern auch an der Urne. Das Nein zur Biodiversitätsinitiative fiel nun nochmals deutlicher aus als jenes zur Trinkwasserinitiative (60,7 Prozent).
Das dürfte mit der tiefen Stimmbeteiligung zu tun haben. Wenn diese sinkt, geht die Bauernbasis gleichwohl hin. Das sieht man auf dem dunkelroten Flickenteppich von ländlichen und peripheren Gemeinden. Im Kanton Zürich, der bei der Trinkwasserinitiative noch hälftig gespalten war, sagten indes nur noch 42 Prozent Ja zur Biodiversitätsinitiative. Die Stimmbeteiligung bei den beiden Umweltvorlagen ist von fast 60 Prozent auf noch 45,8 Prozent gesunken.
Der sich seit Wochen abzeichnende Nein-Trend dürfte den Initianten für die Mobilisierung nicht geholfen haben. Vor allem aber hat sich der politische Zeitgeist stark geändert. Die Biodiversitätsinitiative wurde im März 2019 lanciert, also im Jahr eins nach Greta Thunberg und der Fridays-for-Future-Bewegung. Im September 2019 gingen in Bern laut Angaben der Organisatoren 100 000 Menschen für das Klima auf die Strasse, wenige Wochen später wurden die nationalen Wahlen von der grünen Welle erfasst. Bei einer Klimademo am vergangenen Freitag waren es laut Medienberichten nur noch rund tausend. Greta Thunberg setzt sich heute vermehrt für die Hamas ein statt für Biodiversität. 2023 haben die Grünen die Wahlen (und allfällige Chancen auf einen Bundesratssitz) auch deshalb verloren, weil sie sich nicht von den Klimaklebern distanzieren mochten.
Doch der Abstimmungssonntag ist der falsche Moment für Selbstkritik. Aline Trede ging in die Gegenoffensive und auf den Bauernpräsidenten Markus Ritter los. Das Nein-Lager habe während der Kampagne mit Fake News hantiert, sagte die Grünen-Fraktionschefin ins Mikrofon von SRF. Sie hoffe, dass der Bauernverband auf die Basis wissenschaftlicher Fakten zurückkehre – «sonst wird es gefährlich». Konkret ging es um Studien über den schlechten Zustand der hiesigen Biodiversität. Während die Initianten Alarm schlugen, beschwichtigte Ritter. «Wir haben die Daten nie bestritten, ordnen sie aber anders ein.» Die Schweiz bestehe aus vielen sehr kleinen Landschaftsräumen. Entsprechend klein und allenfalls auch bedroht seien dortige Tier- und Pflanzenarten. Ritter plädiert für die Verhältnismässigkeit bei entsprechenden Massnahmen.
74 Prozent Nein im Rösti-Land
Das deutliche Nein vom Sonntag heisst nicht, dass die Schweiz ein Bauernstaat ist. Auch nicht, dass die Stimmbevölkerung gegen Biodiversität und schon gar nicht gegen eine intakte Umwelt ist. Es ist vielmehr eine Absage an eine Vorlage, die vielen viel zu weit ging. Bei einem Ja hätte man ein ewiges Bau- und Produktionsmoratorium befürchten müssen. Wie sonst hätte man die von den Initianten geforderten Flächen schützen und bewahren wollen? Vereinfacht gesagt, bedeutet das Nein vom Sonntag: Auch wenn Hans Rösti Gülle auf einer Alpwiese austrägt, geht die Schweiz noch lange nicht unter.
Die Sippenhaft für vermeintliche Täter und tatsächliche Biodiversitätssünder dürfte eher die Gegner mobilisiert haben. Im Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental, dem Rösti-Land sozusagen, betrug der Nein-Stimmen-Anteil fast 74 Prozent. Für Albert Rösti war es – nach dem Klima- und Stromgesetz – die dritte Abstimmung, die er als Vorsteher des Umweltdepartements gewinnt. Die letzte in diesem politischen Themenkreis wird es aber kaum sein.
In den kommenden Jahren wird sich die Stimmbevölkerung voraussichtlich über die sogenannte Ernährungsinitiative äussern dürfen. Diese will nicht nur die Biodiversität erhalten, sondern auch die Bürger zum Vegetarismus umerziehen. Die Initiative verlangt vom Bund, «Massnahmen zur Förderung einer vermehrt auf pflanzlichen Lebensmitteln basierenden Ernährungsweise und einer darauf ausgerichteten Land- und Ernährungswirtschaft» zu fördern. Ausser von Pro Natura, Greenpeace und den Jungen Grünen wird die Vorlage auch von den Klimaseniorinnen unterstützt. Auch das ist eine längst bekannte Erkenntnis: Mögen die Mehrheiten noch so erdrückend sein – das hindert linke NGO nicht daran, noch extremere Initiativen zu formulieren.