Jahrzehntelang hat sich das Zürcher Eventmagazin als Organ der Kultur- und Gastroszene bewährt. Ende Jahr fällt es einer Sparrunde der Tamedia zum Opfer. Ein Nachruf.
Es gab eine Zeit, da war das Leben in Zürich kaum vorstellbar ohne «Züritipp». Nirgendwo sonst wurde einem das Menu der boomenden Kulturstadt so schmackhaft präsentiert. Ohne «Züritipp» hätte man aber auch den Anschluss verpasst an den urbanen Lifestyle und die glamourösen Netzwerke. Und wer in diesem Stadtjournal seine Autorschaft behauptete – als Trendsetter oder Kritiker –, der empfahl sich selbst als Szenen-Autorität.
1978 wurde der «Züritipp» zunächst als unabhängiges Printprodukt aus der Taufe gehoben. Später geriet er in die Obhut der linken Zeitschrift «Tell», um ab 1982 dann als wöchentliche Beilage des «Tages-Anzeigers» zu erscheinen. Die Schreibweise mochte sich über die Jahre ändern – aus dem «Züritip» wurde der «Züri-Tip» und zuletzt der «Züritipp». An sich passte die Kombination von Dialekt und kurzem Anglizismus im Titel sehr gut zu seinem publizistischen Programm, globale Trends und lokale Eigenheiten zu vereinen.
Züri wird mondän
So erinnerte der «Züritipp» einerseits an mondäne Eventmagazine wie das «Time Out» in London oder das «Pariscope» in Paris. Und wer durch die Seiten des Magazins blätterte, fühlte sich in kosmopolitische Sphären versetzt durch all die Verheissungen urbanen Lebens. Andrerseits merkte man bei regelmässiger Lektüre, wie überschaubar der Biotop Zürich noch war. Es wiederholten sich einige Namen von Leuchttürmen und Platzhirschen, um die sich Peers und Fans gruppierten.
Den Klüngeln und Netzwerken wurde der «Züritipp» zwar gerecht, er bewährte sich auch als Sprachrohr der provinziellen Prominenz. Gleichzeitig aber sorgte ein Comicstrip stets dafür, dass der Alltag des gemeinen Volkes nicht zu kurz kam. In «Zürich by Mike» hielt der Amerikaner und Wahlzürcher Mike Van Audenhove das Stadtleben in lockerem Strich fest – vom Kinderspielplatz über den WG-Küchentisch bis hin zu Quartierfesten.
Der «Züritipp» war ein mediales Kind seiner Zeit. Die späten siebziger und erst recht die frühen achtziger Jahre haben seine Ausrichtung beeinflusst. Die Anliegen jener Jugendbewegung, die in Zürich im Nachgang zu den Opernhauskrawallen autonome Räume forderte, wurden zuvor in Zeitschriften wie dem «Eisbrecher» oder dem «Tell» laut und deutlich artikuliert. Im Vergleich war der Tonfall des «Züritipps» moderat. Umso besser aber funktionierte er als Medium, das das Kulturverständnis der jüngeren Generationen dem Mainstream vermittelte.
Der Alternativkultur wurde im «Züritipp» deshalb mindestens so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie der Hochkultur. Das Programm neuer Institutionen wie der Roten Fabrik, des Filmpodiums, des «Xenix», des «Moods» oder der Kunsthalle wurde auf den redaktionellen Seiten kompetent und detailliert vorgestellt. Oder aber in der Wochen-Agenda auf den hinteren Seiten zumindest angezeigt.
Im «Züritipp» schlugen sich auch neuere journalistische Tendenzen nieder. Zum einen wurde hier die Kritik als zentrales Genre des Kulturjournalismus durch Textformen wie Vorschauen, Porträts und Interviews ergänzt. Zum andern war er mit seinem genauen Veranstaltungskalender beispielhaft für den sogenannten «Leserservice» – ein Schlagwort oder Schlachtruf, der jahrelang durch alle Zeitungsredaktionen schallte.
So hat sich der «Züritipp» jahrzehntelang und weitgehend konkurrenzlos als Zürcher Instanz bewährt. Künstlerinnen, Künstler und Veranstalter hofften auf Vorberichte, weil diese Publikum garantierten. Und die Leserschaft wartete Woche für Woche auf Antworten auf entscheidende Fragen wie: Was läuft neu im Kino, wo sollte man mit Freunden essen gehen, und wer lässt die hippste Party steigen?
Covid und die Krise
Aber dann kam Covid und verwandelte die aktiven Kosmopoliten von einst in Couch-Potatoes. Und die nächste Generation plante die Freizeit nun täglich über Onlineplattformen, Newsletter und Social Media. So wurde die Situation schwierig für eine alte Wochen-Agenda. Den «Züritipp» konnte man zwar längst auch online lesen. Aber er hat sich den neuen Bedürfnissen noch nicht recht anpassen können.
Umso trauriger, dass Zürichs wichtigste Kulturagenda jetzt dem Spardruck von Tamedia zum Opfer fällt. Es ist fast, als würde der Zürcher Kulturszene ein lebenswichtiges Organ entnommen.