Seit Montagmorgen fliegt die Luftwaffe ununterbrochen schwere Angriffe auf angebliche Hizbullah-Stellungen. Die Miliz antwortet mit massivem Raketenbeschuss. In Libanon wurden bereits Hunderte Menschen getötet – Tausende sind auf der Flucht.
Gewaltige Explosionen, brennende Berghänge, Hunderte Tote und Tausende auf der Flucht: Was viele in letzter Zeit immer wieder befürchtet hatten, ist jetzt eingetroffen: Israel und der Hizbullah stehen an der Schwelle zu einem offenen Krieg. Am Montagmorgen hat Israels Luftwaffe eine grossangelegte Bombenkampagne gegen Einrichtungen der von Iran unterstützten Schiitenmiliz in ganz Libanon begonnen.
Fast ununterbrochen bombardierten Kampfjets angebliche Munitionslager der Truppe im Süden und Osten Libanons. Videos aus den sozialen Netzwerken und lokale Fernsehsender zeigen Bilder von gewaltigen Explosionen. Gleichzeitig heulten überall in Nordisrael die Sirenen, weil der Hizbullah mit mehr als 200 Raketen zurückschlug, unter anderem auf Haifa. Zum ersten Mal seit dem 8. Oktober 2023 setzte die Miliz dabei auch Waffen mit längerer Reichweite ein und nahm dabei offenbar israelische Siedlungen im Westjordanland ins Visier.
Man habe mehr als tausend Militäreinrichtungen des Hizbullah in Südlibanon und in der Bekaa-Ebene im Osten des Landes angegriffen, meldeten israelische Militärstellen bereits am Nachmittag. Am Abend gingen die Angriffe dann unvermindert weiter. Dabei sind laut Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums bis am Ende des Tages bereits rund 360 Personen ums Leben gekommen. Über 1200 sollen verletzt worden sein. Angesichts des riesigen Ausmasses der Angriffe dürften die Opferzahlen aber möglicherweise noch höher liegen.
Ein weiterer Schlag auf Beirut
Am frühen Abend vermeldete Israels Militär dann, dass sie zusätzlich zu den Luftangriffen auch einen weiteren, gezielten Schlag auf das Beiruter Schiitenviertel Dahiye durchgeführt hätten. Bereits am vergangenen Freitag waren dort bei einem israelischen Angriff mehrere hohe Kommandanten des Hizbullah sowie mehrere Zivilisten ums Leben gekommen. Nun soll mit Ali Karaki erneut ein hoher Anführer der Eliteeinheiten des Hizbullah das Ziel gewesen sein. Ob er getötet wurde, ist bis jetzt nicht bekannt.
Israelische Offizielle beteuern, mit den Angriffen weiteren Druck auf den Hizbullah ausüben zu wollen. Man habe unzählige Raketen, Drohnen und Abschussvorrichtungen der Miliz ausgeschaltet. «Wir warten nicht auf die Bedrohung, wir sorgen vor – überall, in jedem Sektor, konstant», sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Montagabend. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte am Montagabend, es seien Zehntausende Raketen zerstört worden: «Wir haben zerstört, was der Hizbullah während 20 Jahren aufgebaut hat.»
Die von Iran unterstützte Schiitenmiliz hatte am 8. Oktober zur Unterstützung der Hamas einen Grenzkrieg gegen Israel begonnen. Zwar blieb der Waffengang monatelang relativ begrenzt. Dennoch führte er dazu, dass beiderseits der gemeinsamen Grenze jeweils Zehntausende Zivilisten vertrieben wurden. Israel hatte in letzter Zeit immer wieder betont, dass es diesen Zustand nicht mehr hinnehmen werde. «Alles muss darauf abzielen, die Bedingungen für die Rückkehr des Bewohner des Norden in ihre Häuser zu schaffen», sagte Israels Armeechef Herzl Halevi am Montagabend.
In Libanon lösen die Angriffe Panik aus
Noch scheint die härtere Gangart beim Hizbullah aber nicht den gewünschten Effekt zu haben. So weigert sich die Truppe trotz den israelischen Pager-Angriffen von letzter Woche und den zunehmenden Luftangriffen bis anhin, ihre Angriffe auf Israel einzustellen. Dies komme nur infrage, sofern auch der Krieg in Gaza ende, hatte der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah am vergangenen Donnerstag einmal mehr gesagt.
Allerdings ist fraglich, wie lange die Miliz die Hammerschläge der Israeli noch hinnehmen kann. So verliert sie nicht nur ranghohe Mitglieder und Material. Auch ihre Kommunikationswege sind schwer beschädigt, und ihre Gegenschläge scheinen bis jetzt kaum Wirkung zu zeigen. Zwar verfügt der Hizbullah über schätzungsweise 150 000 zum Teil präzise Raketen, die er auf Israel abschiessen könnte. Ohne iranische Erlaubnis werden diese aber wohl kaum eingesetzt. Teheran hält sich bis jetzt noch zurück.
In Libanon haben die heftigen Luftangriffe Panik ausgelöst. Seit Montagmorgen sind Tausende auf der Flucht aus Südlibanon. In der Hauptstadt Beirut, wo bis auf wenige Ausnahmen immer noch fast gespenstische Ruhe herrscht, sind Hotels und Unterkünfte inzwischen überfüllt. Auf der Küstenautobahn bildeten sich lange Staus. Israels Armee hatte am Montag Zehntausende Warnnachrichten an Handys abgeschickt und die Bewohner des Südens und der Bekaa aufgefordert, sich von Einrichtungen des Hizbullah zu entfernen.
Derweil hat die israelische Regierung am Montagabend eine «Spezial-Situation an der Heimatfront» bewilligt. Dies erlaubt es der Armee etwa, die Grösse von Versammlungen einzuschränken. Bisher gelten allerdings keine neuen Anweisungen für die Zivilbevölkerung.