Der SMI wird von Nestlé, Roche und Novartis dominiert. Läuft es für diese Aktien schlecht, leiden auch die Vorsorgenehmer darunter.
Nestlé ist in Ungnade gefallen. Vergangene Woche stufte Morgan Stanley die Aktien des weltweit grössten Nahrungsmittelkonzerns herunter. Das bedeutet aus Sicht der amerikanischen Finanzprofis, dass Investoren diese jetzt in ihren Portfolios «untergewichten», also Bestände verkaufen sollen. Auch die UBS hat ihre Kaufempfehlung kürzlich zurückgezogen.
Diese Rückstufungen kommen nur drei Wochen nach Amtsantritt von Laurent Freixe, dem neuen CEO. Er soll bei Nestlé die Trendwende herbeiführen. Der Nachfolger des abgesetzten Mark Schneider konnte die Investoren bisher offenbar nicht von seiner Vision überzeugen. Wie er bei seinen ersten Auftritten klarmachte, hat sich der Nestlé-Veteran auf eine «Zurück in die Vergangenheit»-Strategie festgelegt: Fokussierung auf altbewährte Food-Produkte und -Marken, weniger Experimente.
Das kommt bis jetzt nicht gut an. Die Nestlé-Aktien verlieren weiter an Wert, seit Jahresbeginn bereits mehr als 14 Prozent. In den letzten zwölf Monaten war Nestlé die zweitschlechteste Schweizer Blue-Chip-Aktie. Das durchschnittlich von Analysten erwartete Kursziel liegt bei unter 100 Franken – 30 Prozent tiefer als der Höchststand im September 2021.
Hohe Konzentration im SMI
Nestlé war lange der Inbegriff der «Schweizer Qualitätsaktie». Doch von diesem Glanz ist nicht mehr viel übrig, obschon der Konzern weiterhin profitabel arbeitet und verlässlich Dividende zahlt. Mittlerweile gelten Nestlé-Aktien als weniger aussichtsreich als die Papiere ausländischer Konkurrenten wie Danone, Unilever oder Mondelez.
Die Formkrise wirkt sich aber nicht nur auf die Aktionäre aus. Mit einem Börsenwert von rund 220 Milliarden Franken ist Nestlé zwar noch knapp das wertvollste kotierte Unternehmen der Schweiz. Es könnte aber bald vom Pharmariesen Novartis abgelöst werden, der derzeit fast gleich viel auf die Waage bringt. Im SMI kommt Nestlé auf ein Gewicht von rund 17 Prozent. Novartis und Roche machen knapp 16 beziehungsweise 15 Prozent aus.
Diese hohe Konzentration ist problematisch, denn die drei Aktien machen fast die Hälfte des gesamten Indexgewichts aus. «In bestimmten Phasen kann das für Anleger zum Verhängnis werden, etwa wenn es wie derzeit bei Nestlé und Roche gleichzeitig nicht gut läuft», sagt Björn Eberhardt, Leiter des Investment Office der Luzerner Kantonalbank.
In kleinen Ländern ist eine hohe Konzentration zwar nicht unüblich. So wird die dänische Börse vom Pharmaunternehmen Novo Nordisk dominiert, die taiwanische vom Chiphersteller TSMC. Doch diese nationalen Champions haben den Aktienmärkten in Kopenhagen und Taipeh in diesem Jahr zu Höhenflügen verholfen.
Grösste Position in 3a-Fonds
Im Gegensatz dazu waren Nestlé und Roche ein Bremsklotz für die Schweizer Börse: Der SMI ist mit einer Avance von unter 10 Prozent eine der Börsen mit der schwächsten Performance dieses Jahr in Europa. Zum Vergleich: Die spanische machte 18 Prozent vorwärts, der DAX 16, nur der französische CAC 40 hinkt dem SMI hinterher. Mit den US-Börsen kann es in diesem Jahr kein europäischer Index aufnehmen.
Nestlés schlechte Performance ist also nicht nur ein Ärgernis für die Eigentümer des Nahrungsmittelmultis, sondern auch für indirekte Aktionäre, die Indexprodukte auf den SMI halten. Damit sind auch viele Sparer vor allem in der freien Vorsorge betroffen. Nestlé gehört in vielen Produkten der Säule 3a zu den drei grössten Positionen: etwa in den verbreiteten Mixta-Fonds der CS, in der UBS-Vitainvest-Palette oder in Fonds des ZKB-Digitalangebots Frankly.
Diese teilweise aktiv verwalteten Fonds sind oft entlang dem Referenzindex SMI investiert. Da dieser von Nestlé, Novartis und Roche dominiert wird, gibt es kein Entkommen: «Gerade für Investoren in Indexprodukten ist das ein Risiko. Insbesondere wenn die Perspektiven der Indexschwergewichte wenig berauschend sind, können sie auf keine grossen Kursavancen hoffen», sagt der Investmentprofi Eberhardt.
Keine rasche Trendwende bei Nestlé
Das Problem dürfte bestehen bleiben. Eine schnelle Trendwende ist weder bei Nestlé noch bei Roche absehbar. Roche kämpft damit, zurzeit kaum umsatzträchtige Medikamente in der späten Entwicklung zu haben. Der CEO-Wechsel bei Nestlé wird zwar begrüsst. Doch das Marktumfeld, in dem sich der Konzern behaupten muss, ist hart.
Insbesondere die preisbewussteren amerikanischen Konsumenten machen dem Nahrungsmittelkonzern zu schaffen, auch die Märkte in Europa und China sind fragil. Zwar präsentierte Nestlé für das zweite Quartal robuste Finanzzahlen, doch mit einem Umsatzplus von 2 Prozent stockt das Wachstum weiterhin. Zudem musste die Jahresprognose nach unten korrigiert werden, was für Ärger sorgte.
Deshalb konnte auch der CEO-Wechsel den Kurszerfall der Aktien nicht aufhalten. Die Analysten von Barclays gehen erst für das Jahr 2026 von einer Trendumkehr aus. Während die Aktien von Konkurrenten wie Unilever im Zuge der Sektorrotation seit Anfang Jahr 28 Prozent gewonnen haben, sind Nestlé 14 Prozent abgerutscht.
Roche ist ebenfalls abgehängt
Auch Roche scheint es nicht mehr mit der Konkurrenz aufnehmen zu können. Seit dem Allzeithoch von 400 Franken im April 2022 ist der Kurs der Genussscheine auf rund 270 Franken gefallen – ein Wertverlust von einem Drittel. Dabei befindet sich die Pharmabranche derzeit in guter Verfassung. Roche war einst bei Krebstherapien führend, doch diese Stellung haben die Basler in den vergangenen Jahren verloren.
Enttäuschende Ergebnisse in der Alzheimer-Forschung kamen erschwerend hinzu. Jetzt sucht man mit Heilmitteln gegen Fettleibigkeit und Bluthochdruck das Glück, doch der Erfolg steht bis jetzt aus. Bislang ist nicht ersichtlich, woher die künftigen Umsatzträger kommen sollen. So wird derzeit auch Roche von der Konkurrenz abgehängt: Bei Krebstherapien etwa ist die britische AstraZeneca erfolgreicher, bei Fett-weg-Mitteln hat man kaum Chancen gegen die Marktführer Novo Nordisk und Eli Lilly.
Einzig Novartis ist ein Lichtblick unter den drei Schwergewichten. Dank vielversprechenden Studienergebnissen und Absatzerfolgen mit einem Medikament gegen Brustkrebs und geschickten Akquisitionen hat der Pharmakonzern seine Stellung in der Onkologie ausgebaut. Er erwirtschaftet auch mit mehreren Produkten, die schon vor längerer Zeit lanciert wurden, wachsende Einnahmen. Hinzu kamen die Abspaltungen Alcon (2019) und Sandoz (2023), die auch für das Mutterhaus einträglich waren. Die Erwartungen der Börse wurden in letzter Zeit meist übertroffen, die Aktien haben seit Anfang Jahr ein Zehntel zugelegt.
Immerhin «defensive Qualitäten»
Auch die Novartis-Aktienperformance verblasst indes im Vergleich zu jener ausländischer Konkurrenten, doch zumindest belastet sie nicht den SMI. Doch solange zwei von drei Schwergewichten lahmen, wird die Schweiz nicht mit den europäischen Börsen mithalten können.
Ein positiver Aspekt der drei «Supertanker» ist hingegen, dass sie auch den Sektorenmix des SMI bestimmen, mit einem Schwergewicht auf Basisgütern und Pharma. Indizes wie der DAX sind zyklischer aufgestellt und profitieren tendenziell von einer anziehenden Konjunktur. Der SMI kann dafür mit defensiven Qualitäten punkten.
«Es spricht einiges dafür, dass der SMI bei einer konjunkturellen Verlangsamung widerstandsfähiger ist», sagt Eberhardt. Weil Technologiewerte fehlen, könnte eine Korrektur in diesem Sektor am SMI mehrheitlich vorbeigehen, glaubt er. Falls Sorgen um das Wachstum in der Euro-Zone aufkommen oder sich die US-Wirtschaft verlangsamen sollte, sei man mit den defensiven Sektoren des SMI gut gerüstet.