Er wollte zum amerikanischen Proust werden und war der Einschleichdieb der New Yorker Gesellschaft: Ihr hat Capote mit seinem Charme die Herzen geraubt und mit seiner Liebe zur Wahrheit beinahe den Verstand.
Die Geschichte ist wie von Truman Capote selbst erfunden. Eine Freundin Capotes und letzte Gastgeberin bis zu seinem Tod, bekam als postumes Präsent einen Teil der Asche des amerikanischen Schriftstellers. Weil sie Capote versprochen hatte, sich stets um ihn zu kümmern, trug sie dessen Überreste auf allen ihren Wegen bei sich. Bis sie 2015 selber starb. 2016 tauchte dann der Name Capotes in irritierendem Zusammenhang auf. Was im Auktionshaus Julien in Los Angeles auf der Liste der zu versteigernden Dinge stand, war kein Manuskript, sondern der Autor selber, abgefüllt in einer Urne. Das Gebot von 43 750 Dollar übertraf den Schätzpreis um das Zehnfache. Der Käufer ist unbekannt geblieben.
Mag Capotes Asche heute auf irgendeinem Kaminsims der Welt stehen, sein Ruhm bleibt auf seltsame Weise unsterblich. Als Autor, der eitel genug war, in die allerheiligsten Zirkel der amerikanischen Superreichen vordringen zu wollen, um sie dann schreibend zu demontieren, ist Capote Held und Teufel zugleich: ein Stilist, dem moralische Stillosigkeit vorgeworfen wurde.
Im November 1975 veröffentlicht Capote im Magazin «Esquire» die Geschichte «La Côte Basque». Darin kommen seine Freundinnen aus der High Society vor. Schauplatz ist das schicke New Yorker Restaurant, nach dem die Story benannt ist. Für die reichen Ladies hatte Capote eine schwärmerische Metapher: «Schwäne». Und nun dreht er ihnen, ebenfalls metaphorisch gesprochen, den Hals um. Er stellt sie in seiner Geschichte als dumme Hühner dar und als brave katholische Hausfrauen, die noch die wildesten Eskapaden ihrer Ehemänner wegstecken, um den Schein bürgerlicher Anständigkeit zu wahren.
Wenn einer die wahren Geheimnisse der inneren Zirkel kannte, dann Truman Capote – der Schriftsteller, der seit den späten vierziger Jahren mit zart dramatischen Romanen wie «Andere Stimmen, andere Räume», «Frühstück bei Tiffany» und «Die Grasharfe», aber auch mit «Kaltblütig» berühmt geworden war. Capotes Charme, sein Witz und sein Gespür für menschliche Schwächen haben ihn zum Maskottchen all derer gemacht, die sich in der Täuschungsindustrie des boomenden Amerika ein Plätzchen zu erobern versuchten.
Der Schriftsteller wurde zum Vertrauten von Frauen, die alles hatten, aber im Grunde todunglücklich waren. Er kannte ihre Geheimnisse und hat diese Geheimnisse in der Geschichte «La Côte Basque» gegen sie gewendet. Lee Radziwill, die jüngere Schwester von Jacqueline Onassis Kennedy, kommt darin vor und die reiche Erbin Gloria Vanderbilt. Ann Woodward, Witwe eines Bankers und in einen früheren Mordfall verwickelt, den Capote in seiner Geschichte noch einmal aufrührt, begeht nach dem Erscheinen des «Esquire» Selbstmord.
Erst der Skandal, dann Alkohol und Drogen
Ganz Amerika erbebt unter dem Skandal, den man auch in Europa mitbekommt. Marella Agnelli, die Frau des Fiat-Bosses Gianni Agnelli, auf deren Jacht Capote seine Ferien verbrachte, sagt sich von ihm los. Die Welt, in die sich das einst von den Eltern ungeliebte Kind hinaufgearbeitet hat, verstösst ihn. Am 30. September 1924 als Truman Streckfus Persons in New Orleans geboren und in der Provinz von Alabama aufgewachsen, gerät der Autor in eine innere Isolation, aus der er nicht mehr herausfindet. Er landet bei Alkohol und Drogen. Auch wenn ihm Millionen geboten werden, der Roman «Erhörte Gebete», in dem «La Côte Basque» ein Kapitel bilden sollte, wird niemals fertig.
Auch Nelle Harper Lee, die Kindheitsfreundin vom Nachbarhof in Alabama und Autorin des berühmten Romans «Wer die Nachtigall stört», will mit Truman Capote nichts mehr zu tun haben. Dabei hat mit ihr eigentlich alles begonnen. Als der Schriftsteller für seinen Roman «Kaltblütig» zu einem Vierfachmord im kleinen Ort Holcomb in Kansas recherchiert, ist sie Capotes rechte Hand – Seelentrösterin eines Exzentrikers, der meint, den Unterschied zwischen Wahrheit und ganzer Wahrheit zu kennen.
Nur in der Literatur könne die ganze Wahrheit stecken, ist der Autor überzeugt. Mit seinem reportagehaften Roman wird er zu einem der Mitbegründer des «New Journalism», der Generationen von mehr oder weniger begabten Schreibern prägen wird.
1959 ist in Holcomb eine Farmerfamilie in ihrem Haus hingemetzelt worden. Die Beute: 40 Dollar. Truman Capote besucht die beiden Täter Perry Edward Smith und Richard Eugene Hickock in ihren Zellen. Dort veranstaltet er für sein Schreibprojekt wahre Séancen psychologischer Aufarbeitung. Bei der Frage nach dem Motiv kommt er vor allem Perry Smith nahe, der ein ähnliches Kindheitsschicksal hatte wie er selber.
Im 2006 erschienenen Film «Kaltes Blut – Auf den Spuren von Truman Capote» spielt der junge Daniel Craig diesen Mörder und Toby Jones den besessenen Autor. Bis ins winzigste Detail ist hier eine Annäherung choreografiert, die trotz aller Einfühlung immer berechnend bleibt. Smith gibt alles, aber für sein Buch braucht Capote auch noch das Allerletzte. Auf das wartet er mit grosser Ungeduld. Er braucht ein Finale, ein Urteil, den Tod durch den Strang.
Nach der Hinrichtung der beiden Mörder wird dem Buchverkaufsmillionär eine Kiste zugestellt. Es ist der Nachlass von Perry Smith. In der Kiste sind ein paar Kinderzeichnungen und eine Gitarre.
Der Autor feiert sich selber
1966 ist das grosse Jahr des Truman Capote. Der Roman «Kaltblütig» erscheint, und ganz Amerika erfährt, wie aus verabscheuungswürdigen Taten grosse Kunst werden kann. Auf dem Gipfel seines Ruhms schmeisst der nur 1,65 Meter grosse, homosexuelle Autor mit der Fistelstimme eine Party, wie sie New York noch nicht gesehen hat. 500 Gäste sind zum «Black & White Ball» ins Plaza eingeladen. Die Reichsten und Schönsten und ein paar weniger aristokratische Freunde des Schriftstellers.
Seit seiner Kindheit sei er nicht mehr auf einem Maskenball gewesen und diesen Traum wollte er sich noch einmal erfüllen, sagt Capote damals der «Vanity Fair». Nach dem rauschenden Fest kommt der Katzenjammer, eine Schreibkrise, während der er nicht viel anderes tut, als in den Fotoalben von der grossen Party zu blättern – bis zu jenem Schicksalsjahr 1975, als er beschliesst, «La Côte Basque» zu veröffentlichen.
Truman Capote bleibt ein Mythos. Seiner Freundin Joanne Carson soll der Schriftsteller kurz vor seinem Tod einen Safe-Schlüssel übergeben haben. Irgendwo auf einer Bank oder auch einem amerikanischen Busbahnhof könnten noch die restlichen Kapitel des Buches «Erhörte Gebete» liegen. Obwohl der Meister der Täuschungen und Selbsttäuschungen zu Lebzeiten aus den angeblich bereits geschriebenen Passagen zitierte, glauben tatsächlich nur die wenigsten Kenner, dass es sie jemals gegeben hat.
Anouschka Roshani, Herausgeberin der Werke Capotes beim Verlag Kein & Aber, hat sich für ihr neues Buch «Truboy. Mein Sommer mit Truman Capote» noch einmal auf die Suche gemacht, wenn man das so nennen kann. Eigentlich ist das Ganze aber eher ein Selbsterfahrungstrip. Den amerikanischen Schriftsteller, das «Bübchen» oder den «Golden Boy», wie sie ihn nennt, muss man durch Roshanis Brille sehen, und das ist an vielen Stellen schon stilistisch ein Problem.
Wenn die Autorin mit Zeitgenossen des Autors spricht, könnte das interessant sein, würde sich nicht permanent Roshanis teenagerhafte Aufgekratztheit ins Geschehen mischen. Sie trifft den Journalisten und Schriftsteller Gordon Lish in einem «Starbucks» an der Madison Avenue in New York und schreibt: «Hier bin ich, wieder schändliche Schmarotzerin an einer fremden Vergangenheit. Er soll mir erzählen, wie er 1975 als ‹Esquire›-Belletristik-Redakteur Capote ein Kapitel aus ‹Erhörte Gebete› aus den Rippen leierte.»
Lishs Erinnerungen kommentiert sie mit Sätzen wie: «Holymoly, was für eine Ansage.» Was man nach der Anwendung von Roshanis eigenen Leierkünsten immerhin doch erfährt: Lish hat Capote damals mit einem massgeschneiderten Geschenk bestochen. Durch eine sündteure Karaffe von Tiffany, gefüllt mit rosa gepfeffertem Wodka. Es war die Zeit, als der Dichter Wodka kübelweise trank.
Truman Capote war der Einschleichdieb der New Yorker Gesellschaft. Mit seinem Charme hat er ihr die Herzen geraubt und mit seiner Liebe zur Wahrheit beinahe den Verstand. Ob er selber verstehen konnte, was er da macht? «Der Künstler ist ein gefährlicher Mensch, weil er sich jeglicher Beherrschung entzieht. Er wird nur von seiner Kunst beherrscht», hat er einmal gesagt.
Obsessiv an Truman Capote war auch der Wunsch, zum amerikanischen Proust zu werden. Mit dem Projekt «Erhörte Gebete» meinte er, auf dem Weg dorthin zu sein. Als sich die von ihm porträtierten Menschen aber nicht fühlten wie in der Welt der Guermantes und der Swanns, sondern nur eine hässlichere Version ihrer selbst sahen, blieb Truman Capote hartnäckig. «Es ist Proust! Es ist schön!», schrie er der «Vogue»-Chefredaktorin Diana Vreeland beim Interview ins Gesicht.