Es ist kein besonders praktisches Material, aber es fühlt sich angenehm weich an. Ein weiterer Vorteil von Wildleder: Es kann auf unterschiedliche Weise getragen werden, ob man Cowboys liebt oder «quiet luxury».
Mit Wildleder kann so viel schiefgehen. Mit den noblen Wildlederstiefeln am Bordstein entlanggeschrammt? Die Striche bekommt man nicht mehr raus. Mit der Wildlederjacke vom Regen erwischt worden? Die zieht man besser aus und wird lieber selbst nass. Ein Rotweinfleck ist auf der geschmeidigen Suede-Hose gelandet? Oje.
Wildleder ist kein besonders praktisches Material, aber es fühlt sich angenehm weich an, sieht mit seiner schimmernden Oberfläche nobel aus – und ist derzeit gefühlt überall. Vor allem Jacken aus beige- oder cognacfarbenem Veloursleder gehören zu den populärsten Stücken des Herbstes. Von Miu Miu gibt es eine Variante mit glitzernden Stickereien, von Gucci eine im Blazer-Schnitt, von Coach ein Modell mit Fransen.
Isabel Marant wickelte ihren Models Wildlederschals um den Hals und kombinierte dazu passende Cowboy-Boots, Khaite verkauft eine Wildledertasche mit Nieten. Ralph Lauren stellte in seiner neuen Herbstkollektion einen ganzen Anzug aus Wildleder sowie Kleider und Jumpsuits vor. Derweil haben auch Mainstream-Brands von Zara bis Massimo Dutti Wildlederjacken auf den Markt gebracht, und auf Tiktok machen Influencerinnen vor, wie sie Wildlederoutfits im Herbst kombinieren. Wer den Trend erst mal ausprobieren wolle, könne ja mit einem Gürtel anfangen, empfiehlt Erika Dwyer, Content Creator aus New York, in einem Video.
Besonders wertvoll, schön und edel
Das ist vielleicht keine so schlechte Idee – so viel muss man in einen Gürtel nicht investieren, und kaputtgehen kann er auch nicht so leicht. Seit Urzeiten kleiden sich Menschen in Tierhäute, und Wildleder hängt seit langem das Image an, dass es besonders wertvoll, schön und edel ist. Das englische Wort dafür, «suede», stammt vom französischen Begriff «gants de suede» ab, was übersetzt Handschuhe aus Schweden bedeutet. Im späten 18. Jahrhundert stellten Lederhandwerker aus Schweden Damenhandschuhe aus Wildleder her, die extrem weich und flexibel waren. Die Accessoires fanden zunächst in französischen Adelskreisen ihre Fans und gewannen in ganz Europa an Popularität, bis Wildleder auch für andere Accessoires, Taschen und Schuhe verwendet wurde.
Wildleder verdankt seine weiche Oberfläche der Tatsache, dass es aus der Spaltung einer Tierhaut entsteht – die genarbte Oberfläche wird von ihrer Unterseite abgetrennt, so dass das Innere zum Vorschein kommt. Wild sind die Tiere, deren Häute dafür verwendet werden, heute aber nur noch selten, stattdessen stammt Wildleder meist von Rindern, Kälbern oder Schweinen. Wegen seiner samtigen Oberfläche gehört es zur Kategorie der Rauleder, ebenso wie Velours- oder Nubukleder.
Das neue Interesse an diesem Material, das nie komplett aus der Mode war, dürfte auch mit dem Hype um Cowboy-Ästhetik zu tun haben. Der entwickelte sich schon vor Jahren mit dem Erfolg des Rappers Lil Nas X, der sich bevorzugt in Cowboy-Outfits zeigte. Es folgte Beyoncés Country-Album «Cowboy Carter» im vergangenen März, und seit einigen Monaten kann man auf Instagram verfolgen, wie das Model und die begeisterte Pferdereiterin Bella Hadid ihrem Partner, dem Cowboy Adan Banuelos, an Rodeos zujubelt.
Boho-Geist der siebziger Jahre
Solche Bilder lösen in der Mode schnell eine Art Kettenreaktion aus, plötzlich suchen alle nach Cowboy-Boots, und Wildleder wird zum Material der Stunde. Aber der aktuelle Trend erinnert auch daran, dass Wildleder stets auf sehr unterschiedliche Art und Weise getragen werden kann und unterschiedliche Assoziationen hervorruft.
Während sich zu Beginn des Einzugs von Wildleder in der Mode vor allem Wohlhabende damit schmückten, entwickelte es sich in den siebziger Jahren zum bevorzugten Material der Hippiebewegung. Man assoziiert mit Wildleder die Kleidung der amerikanischen Ureinwohner und Cowboystiefel, aber es gibt auch Bilder von Jacqueline Kennedy Onassis in einem schlichten Wildledermantel oder von James Dean in einer westerntauglichen Fransenjacke.
Wildleder passt zu minimalistischen Schnitten, wirkt für sich ohne jegliche Verzierung und kann ebenso gut bestickt werden. Es gefällt den Anhängern von «quiet luxury», die sich eine «Margaux»-Tasche aus Wildleder von The Row für über 5000 Euro gönnen, und Modefans, die es opulenter und romantischer mögen. In jedem Fall trifft es gerade wieder den Zeitgeist. Es passt, dass nun die erste Kollektion der neuen Chloé-Chefdesignerin Chemena Kamali in den Läden hängt, die den Chloé-typischen Boho-Geist der siebziger Jahre wiederbelebt hat, einer Dekade, die man stark mit dem Material verbindet. Die neue «Bracelet Hobo Bag» des Labels gibt es natürlich auch aus Wildleder.