Künstliche Intelligenz ist am WEF das grosse Thema – und der Gründer von Chat-GPT der Superstar unter den Hunderten von CEO. Sam Altman spricht offen über die Risiken von KI. Doch die Kontrolle aus der Hand geben will er nicht.
Das Davoser Café der US-Nachrichtenagentur Bloomberg ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die Warteschlange draussen zieht sich entlang der gesamten Gebäudefront. Geduldig harren die WEF-Teilnehmer in der klirrenden Davoser Kälte aus, manche vergebens. Immerhin erhaschen sie durch die Fensterfront einen Blick auf den Star des Forums: Sam Altman, den CEO von Open AI.
Mit Chat-GPT überraschte er vor vierzehn Monaten die ganze Welt. Plötzlich konnte künstliche Intelligenz, was bislang die exklusive Domäne der Menschheit war: Texte schreiben, Bilder malen, Musik machen, Computer programmieren.
Hautenge verblichene Jeans, blauer Pullover: Der 38-Jährige wirkt jünger, als er ist. Altman ist eine Mischung aus Rockstar und Nerd, ein schüchterner Mann, der die Hände im Schoss hat, schnell spricht und sich nicht immer klar ausdrückt. Er wird begleitet von Anna Makanju, einer früheren Spitzendiplomatin unter Obama und Biden, die als Chefin Global Affairs bei Open AI den Kontakt zu den Regierungsstellen pflegt.
Dank KI führt bald jeder eine Firma mit 10 000 Mitarbeitern
Dass KI die Welt fundamental verändern wird, steht für ihn ausser Zweifel. KI sei mehr als nur eine technologische Revolution, sagt er, sie bringe auch tiefgreifende soziale und politische Umbrüche. Ein Instrument, das die Kreativität entfesseln und die Produktivität um Faktoren vervielfachen werde. «Was passiert, wenn jeder von uns eine Firma führt, die 10 000 hochqualifizierte Mitarbeiter hat, die rund um die Uhr arbeiten? Was passiert dann mit der Welt?», fragt er ins Publikum.
Altman kennt die Antwort auch nicht. Er ist ein Meister darin, sich nicht festzulegen. Ein paar Beispiele: Eine allgemeine künstliche Intelligenz (AGI) – eine Intelligenz, die den Menschen in jedem Bereich kognitiv übertrifft – werde in absehbarer Zeit entwickelt werden, aber sie werde die Welt weniger verändern, als manche dächten. Die KI werde in der Arbeitswelt gewisse Jobs zum Verschwinden bringen, aber gleichzeitig sei die Nachfrage nach IT-Lösungen so gross, dass neue Arbeitsplätze entstünden. Open AI werde nie eine traditionelle Firma, aber die Struktur müsse angepasst werden.
Vage bleibt er auch beim Rückblick auf die Chaostage bei Open AI im November. Unter dem Vorwurf, er habe dem Verwaltungsrat nicht immer die volle Wahrheit gesagt, wurde Altman vor die Türe gesetzt – um nur vier Tage später ein glorioses Comeback als CEO zu feiern. Er hätte die Absetzung akzeptiert, der Verwaltungsrat habe ihn zur Rückkehr überredet, sagt Altman und bemüht sich, den Skandal schnell abzuhaken: «Wollen wir wirklich unsere Zeit mit dieser Soap-Opera verschwenden?»
KI dominiert das WEF über Altman hinaus
Altman machte KI mit Chat-GPT massentauglich. Nun dominiert das Thema das ganze WEF. Von der Blockchain und dem Metaversum, den beiden letzten Tech-Hypes, redet dieses Jahr niemand mehr.
An vielen Gebäuden an der Davoser Promenade, in denen Firmen und Länder ihre Themen positionieren, hängen Banner mit dem Schlagwort AI. Besonders viele Besucher zieht aber das Haus an, das sich ganz diesem Thema gewidmet hat, das AI House.
Am Eingang herrscht andauerndes Gedränge, und Security-Personal weist auch angemeldete Gäste ab, weil schon zu viele Personen in den engen Räumen unterwegs sind. Die ETH und die Swisscom haben sich mit einer Startup-Schmiede, einer emiratischen KI-Firma und anderen zusammengetan, um das Haus zu bespielen. Das geht auf: Rund um die Uhr treten die bekanntesten Persönlichkeiten von Top-Universitäten und den erfolgreichsten KI-Firmen auf, diese Stars ziehen wiederum Gäste an.
KI-Forschungschef von Meta: Selbst Katzen sind intelligenter
Besonders viele drängten sich in die Session zu KI-Risiken, in der sich Yann LeCun, Leiter der KI-Forschung bei Meta, mit Max Tegmark stritt, dem MIT-Professor, der den Brief für eine Pause in der KI-Forschung initiiert hat. Tegmark fürchtet, dass eine allgemeine künstliche Intelligenz uns knechten könnte, also eine Maschine alle erdenklichen Aufgaben besser als ein Mensch lösen könnte. LeCun hält das für Blödsinn: Er bezweifelt das Konzept von solcher Superintelligenz. Und jetzige KI sei selbst von Katzenintelligenz noch viele Jahre entfernt. Das Publikum applaudiert.
Es ist nicht die Angst vor dem Terminator, welche die Leute wachhält, sondern die Angst, den KI-Zug zu verpassen. Die Firmen, die diese Technologie verkaufen, spielen damit. Keith Strier, Spitzenmanager bei Nvidia, der führenden Firma für KI-Chips, teilt gleich auf zwei Panels seine Überzeugung, dass Firmenführer und Politiker jetzt in KI investieren müssten, wenn ihre Länder und ihre Firmen eine Zukunft haben wollten. Der rasante Aufstieg von Nvidia an der Börse sei Beispiel für das, was KI möglich mache.
KI ist wie ein Praktikant auf Steroiden
Auch der Satz «Nicht KI wird deinen Job wegnehmen, sondern Menschen, die mit KI arbeiten» zieht sich wie ein Mantra durch die Gespräche. Man stellt sich die KI der nahen Zukunft wie einen Praktikanten auf Steroiden vor, der auf Knopfdruck relevante Dokumente zu Fragen findet, Dossiers mit Geschäftsstrategien ausarbeitet, Termine optimiert und vom Teamchef bis zur Ärztin allen mehr Zeit fürs Wesentliche, für Menschen, für Kreativität gibt.
Erklärbarkeit und Verlässlichkeit sind die grossen Themen, die vorsichtigere Experten immer wieder anmahnen. Denn ein KI-Modell kann noch so produktiv sein, wenn es einen anlügt, hat seine Arbeit keinen Wert.
Doch die jetzige Generation an KI-Modellen sicher und verlässlich zu machen, ist in den Augen vieler Experten unmöglich. Anbieter sprechen nun vermehrt von spezialisierten Systemen je nach Einsatzbereich, die transparent machen, was die Quellen für ihre Vorschläge sind.
KI ist das grosse Geschäft für Beratungsfirmen
Laut Umfragen haben erst 10 Prozent der Unternehmen eine ausgereifte KI-Strategie. Bei der grossen Mehrheit ist KI nur Stückwerk. Hinzu kommt die Unsicherheit darüber, welche KI geeignet ist und welche Regeln gelten.
Das ist die perfekte Ausgangslage für all jene, die Beratung und Dienstleistungen verkaufen. Die auf Technologiethemen spezialisierte Beratungsfirma Accenture schleust am WEF 130 Topmanager durch 13 verschiedene Workshops. Das Thema: Enterprise Reinvention. Wie muss ein Unternehmen umgebaut werden, um KI auf allen Stufen zu nutzen?
Kunden können aus einem Kiosk mit 632 KI-Modellen wählen
Der Technologiechef Paul Daugherty demonstriert am Beispiel einer Konsumgüterfirma, wie KI Produktivität, Wachstum, Margen und Gewinn steigern kann. Das Ziel: die Mitarbeiter von Administration entlasten und freispielen für das, was wirklich Mehrwert bringt – Gespräche mit Kunden und der Verkauf. Im Beispiel schiessen Produktivität und Umsatz 30 Prozent in die Höhe. Welche Firma würde da nicht mitmachen?
Accenture-Kunden können aus einem Kiosk mit 632 KI-Modellen auswählen. Je nach Anforderung spuckt die KI aus, welche KI am besten für ein Unternehmen geeignet ist. Altmans Chat-GPT ist nur eines davon. Den Aufbau eigener Modelle können sich nur die wenigsten leisten.
Harvard-Professor fordert entschiedene Regulierung
Hier durchdringt die KI bereits die Realwirtschaft. Eine Frage bleibt dabei offen: Wie soll die Technologie reguliert werden, damit sie mehr nützt als schadet?
Er fürchte, dass die Leute am WEF eine viel zu optimistische Vorstellung von KI hätten, sagt Kenneth Rogoff, Harvard-Ökonom und Stammgast in Davos. Der Schachgrossmeister bezeichnet sich als Fan von KI. Hinter die heutige Euphorie setzt er aber Fragezeichen. «Wir sind nicht bereit für die Technologie», sagt er in einem Gespräch. «Wir haben weder den rechtlichen Rahmen noch die gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen, um damit umzugehen», sagt Rogoff.
Dass AI Millionen arbeitslos machen wird, steht für ihn ausser Frage, ist aber nicht das, was ihm am meisten Sorgen bereitet. Dieses Problem könne man mit einer intelligenten Steuerpolitik lösen. «Mark Zuckerberg zahlt kaum Steuern. Wir müssen Wege finden, wie man die Profiteure besteuern kann», sagt Rogoff.
Was, wenn KI in die Hände von Terroristen gelangt?
Wirklich Bauchschmerzen bereitet ihm, dass auch Terroristen und Psychopathen Zugang zu KI erhalten und damit ihre Gefährlichkeit potenzieren. «Heute haben sie den Willen, aber nicht die Fähigkeiten, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Mit KI erhalten solche Leute ihr eigenes MIT-Lab, um ihre Terrorpläne in die Realität umzusetzen.»
Rogoff spricht sich für eine starke staatliche Regulierung aus. Die Gesellschaft habe bei Social Media erfahren, wie gefährlich es sei, wenn eine neue Technologie zu lange unreguliert bleibe.
Das Schadenspotenzial sei um Faktoren grösser als jenes von Social Media. «Warum sind wir so naiv, zu glauben, dass sich KI ohne Leitplanken und Überwachung konstruktiv entwickelt?», fragt Rogoff. Natürlich koste das Innovation und bremse die Produktivität. «Aber verglichen mit den Risiken der gesellschaftlichen Destabilisierung, ist es vernachlässigbar, ob wir die Superintelligenz statt in sieben erst in zwölf Jahren haben», sagt Rogoff.
Altman warnt vor KI – und beschwichtigt gleichzeitig
Das Thema Regulierung begleitet die neuen KI-Modelle seit Altmans Paukenschlag Ende 2022. Nicht nur die AI Act der EU, sondern auch Vorstösse der FTC in den USA schränken ein, was man mit Daten anstellen darf. Am WEF wurden verschiedene Initiativen lanciert, um KI gesellschaftsfähig zu machen. Die AI Governance Alliance, ein Verbund von Regierungen und Unternehmen, veröffentlichte am WEF drei Berichte, die einen breiten Zugang und einen verantwortungsvollen Umgang mit KI forderten.
Auch Altman verschliesst sich der Diskussion nicht. Bei seinem Auftritt auf der grossen Bühne am Donnerstag im Kongresszentrum zog er sich ein Jackett über und gab sich demütig. Die heutigen Modelle seien limitiert und hätten grosse Schwächen, sie lernten aber sehr schnell dazu.
«Es wäre dumm, die Gefahren nicht zu sehen. Die Entwicklung kann auch schiefgehen», sagt Altman. Je näher die Welt der Entwicklung einer Superintelligenz komme, desto grösser würden die Hektik und der Stress. Gleichzeitig beschwichtigte Altman. Man habe genügend Zeit, die Weichen richtig zu stellen. Er sieht vor allem die Branche selber in der Pflicht: «Wir müssen transparent machen, welche Werte die Modelle haben, welche Sicherheiten eingebaut sind und welches Mass an globaler Koordination es braucht.»
Dass seine Branche fähig ist, die Risiken in den Griff zu bekommen, steht für Altman ausser Frage. Er ist der Zauberlehrling, der den Geist aus der Flasche gelassen hat. Sein Werk scheint ihm auch selbst nicht ganz geheuer zu sein. Den Zauberstab aus der Hand geben will er aber nicht.