Die übermässige Abhängigkeit des Marktes von einigen wenigen Giganten führt zu einer Verzerrung der Risiko-Ertrags-Dynamik. Hohe Bewertungen, schrumpfende Diversifizierung und fehlgeleitetes Kapital fordern Anleger heraus, ihre Strategie zu überdenken.
English version
«Wenn Sie eine bessere Leistung als die Masse erbringen wollen, müssen Sie Dinge anders machen als die Masse»
Sir John Templeton, amerik.-brit. Fondsmanager und Unternehmer (1912–2008)
Das Risiko: Es ist die entscheidende und unvermeidliche Hälfte der Investitionswaage.
Als Anleger sind wir in erster Linie Risikomanager, denn es gilt das Gesetz der grossen Zahlen. Wenn Sie auf einer Investition 10% verlieren, müssen Sie 11% verdienen, um die Gewinnschwelle wieder zu erreichen. Sobald Sie sich einem Verlust von 30% nähern, dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, entwickelt sich das Problem exponentiell gegen Sie. Verliert man beispielsweise 50%, so ist ein Gewinn von 100% nötig, um die Gewinnschwelle zu erreichen.
Die erste Frage, die Sie sich bei jeder Investition stellen sollten, ist also, was schief gehen könnte. Ganz zu schweigen davon, dass Sie grosse und offensichtliche Risiken immer vermeiden sollten. Was Letzteres betrifft, so gibt es ein offensichtliches und sich weiter verstärkendes Risiko, das ich in einer früheren Kolumne bereits ausführlich behandelt habe und das mich nachts wach hält: Es ist die fünfzehn Jahre alte Idee, beharrlich nur die nach Marktkapitalisierung grössten Aktien zu kaufen, ohne jeden anderen Grund.
Wir erreichen einen Wendepunkt. Jahrelang hat es sich ausgezahlt, dem Markt zu folgen. Trittbrettfahrer konnten von der Kapitalallokation der sogenannten «Smart Money»-Investoren profitieren. Aber was passiert, wenn die Mitläufer die Oberhand gewinnen, wie es jetzt der Fall werden könnte? Ein «Crowded Trade», der gedankenlos noch mehr «crowded» wird. Mit anderen Worten: Die Kapitalallokation ist nicht mehr effizient und wird nicht mehr von den Fundamentaldaten, sondern von der Grösse bestimmt.
Das Ergebnis ist, dass die Marktteilnehmer aufgrund der zunehmenden Marktkonzentration mehr Kapital in die grössten Unternehmen investieren, obwohl diese Unternehmen nicht mehr im Einklang mit den zugrunde liegenden Fundamentaldaten wachsen.
Und das verschlechtert die andere Hälfte der Investitionswaage erheblich: Ihren Ertrag.
Fehlallokation von Kapital führt zum Verlust einer ausreichenden Diversifizierung
Ich würde behaupten, dass wir uns jetzt einem Grad der Marktkonzentration nähern – die Top Ten Aktien machen 36% des S&P 500 aus, die Top 30 fast die Hälfte des S&P 500 –, der die Frage aufwirft, ob reine Indexinvestitionen zu einer Fehlallokation von Kapital und damit zu einem Verlust ausreichender Diversifizierung führen.
Lassen Sie mich meine Sichtweise erläutern:
- Die Spitzengewichte im Index haben alle dieselben Charakteristiken. Letzten Endes handelt es sich um eine einzige Investition. Technisch gesehen handelt es sich um eine Anlage in den Faktor «Grösse», da passive Anleger ihr Kapital überproportional auf die grössten Unternehmen verteilen. Und viele Marktteilnehmer strömen erst seit kurzem in dieses Segment, weil ihre Engagements passiviert wurden.
- Bei der Mehrheit handelt es sich um Technologiewerte, deren relative Renditen positiv mit der Performance von Anleihen korreliert sind. Damit schmälern sich folglich auch die Diversifizierungsvorteile von ausgewogenen Portfolios.
- Der Aufstieg von Nvidia. Ein grosser Teil der Kapitalinvestitionen (Capex) von Big Tech geht direkt an den Halbleiterhersteller. Dies spiegelt sich in der Tatsache, dass fast die Hälfte der enormen Einnahmen von Nvidia von den grössten Unternehmen der Welt stammen. Es bleibt die Frage, ob 1) der beträchtliche Anstieg der Investitionsausgaben von Big Tech so hoch bleiben wird, 2) ob wir einen Anstieg des Geschäfts von ihnen aufgrund der Investitionsausgaben sehen werden, und schliesslich 3) ob eine sehr zyklische Branche, nämlich die Halbleiterindustrie, plötzlich aufhören wird, zyklisch zu sein, was ich bezweifle.
In Anbetracht des letzten Punktes wird entweder Big Tech zu einem kapitalintensiven Geschäftsmodell, um an der KI-Front vorne zu bleiben, was für Big Tech wohl netto negativ ist, und Nvidia profitiert weiterhin. Oder Big Tech muss die Capex-Ausgaben reduzieren, da es viel länger dauern wird, bis die beträchtlichen Ausgaben Früchte tragen – oder so viel Capex ist in Wirklichkeit einfach nicht notwendig –, und der Höhenflug von Nvidia würde jäh enden.
Dies geschieht gleichzeitig, während die Marktkonzentration zunimmt, die Fundamentaldaten der Giganten aber nicht mithalten können (gemessen an der Divergenz zwischen dem Gewicht der Top 10 im S&P 500 und dem Gewinnbeitrag dieser Unternehmen). Die Unternehmen halten nicht Schritt, sowohl relativ zu ihrer eigenen durchschnittlichen Bewertung, d.h. wir erleben eine Bewertungsexpansion, als auch auf absoluter Ebene, da sie ohnehin hohe Bewertungen aufweisen.
Das Verhältnis zwischen Risiko und Ertrag ist aus dem Gleichgewicht geraten. Wer in diese Konstellation einsteigt, geht ein höheres Risiko ein (höhere Bewertung und grössere Unsicherheit aufgrund weniger sichtbarer und stabiler Einnahmen) und muss mit weniger Ertrag rechnen (geringeres Aufwärtspotenzial aufgrund der hohen Bewertung und der überhöhten Erwartungen).
Ihre Sicherheitsmarge, die Margin of Safety, ist dramatisch geschrumpft. Es gibt keinen Spielraum für Enttäuschungen.
Die Theorie der Reflexivität
Wie Sie wissen, ist beim Investieren auch ein bisschen Philosophie gefragt. Deshalb möchte ich Ihnen die «Theorie der Reflexivität» von George Soros vorstellen, angesichts der schrumpfenden Sicherheitsmarge durch die gedankenlose Allokation von Kapital in eine stetig wachsende Marktkonzentration.
Nach dieser Theorie, die Soros ursprünglich 1987 in seinem Buch «The Alchemy of Finance» veröffentlichte, kann die Marktkonzentration in Indizes wie dem S&P 500 als Feedback-Schleife betrachtet werden, die Preisverzerrungen verstärkt, anstatt lediglich fundamentale Werte zu spiegeln. Die Reflexivität besagt, dass die Vorurteile und Wahrnehmungen der Marktteilnehmer sowohl die Marktpreise als auch die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Realitäten beeinflussen und so Zyklen von Boom (steigende Konzentration) und Bust (sinkende Konzentration) hervorrufen. Diese Theorie gilt für Situationen, in denen eine übermässige Konzentration oder Investition in eine kleine Anzahl von Grossunternehmen das allgemeine Marktverhalten verzerrt.
So könnte ich die Theorie auf die aktuelle Situation der Marktkonzentration in Indizes wie dem S&P 500 anwenden:
- Feedback-Schleife von steigenden Preisen und Wahrnehmungen: Die Konzentration des S&P 500 auf einige wenige Tech-Giganten (Apple, Microsoft, Nvidia, usw.) treibt deren Aktienkurse in die Höhe, da die Nachfrage von Anlegern und passiven Strategien steigt. Mit steigenden Kursen wächst ihr Gewicht im Index, was noch mehr Kapital anzieht und einen sich selbst verstärkenden Kreislauf schafft. Soros würde argumentieren, dass dies dazu führt, dass die Preise von den intrinsischen Werten abweichen und sich aufblähen.
- Falsche Preisbildung und Marktverzerrung: Der hohe Bekanntheitsgrad und die frühere Leistung dieser Unternehmen können sie sicherer oder profitabler erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind, was zu Fehlbewertungen führt. Ihre Konzentration macht den Markt anfällig, so dass ein negatives Ereignis erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Markt haben kann.
- Boom-Bust-Zyklen: Die Reflexivität legt nahe, dass dieser Prozess zu Boom-Bust-Zyklen führt. Der Optimismus der Anleger treibt die Kurse in die Höhe, aber ein plötzlicher Stimmungsumschwung – etwa aufgrund einer Veränderung in den Zinsen – könnte eine scharfe Marktkorrektur auslösen, bei der wichtige Aktien den gesamten Markt mit nach unten ziehen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre eines ähnlichen Memos von Howard Marks, «Taking the Temperature», das von The Market hervorgehoben wurde und in dem er dieses Thema wie folgt anspricht: «Verstehen Sie, dass Zyklen aus dem entstehen, was ich ‹Übertreibungen und Korrekturen› nenne.»
- Passives Investieren und Marktkonzentration: Der Aufstieg des passiven Investierens durch Indexfonds verstärkt diesen reflexiven Zyklus. Da passive Anleger ihre Mittel auf der Grundlage der Marktkapitalisierung und nicht der Fundamentaldaten zuweisen, vergrössert sich die Kluft zwischen Preis und innerem Wert.
- Potenzial für Marktungleichgewichte: Soros würde die derzeitige Konzentration wahrscheinlich als ein Zeichen für ein potenzielles Marktungleichgewicht betrachten. Der Reflexivität zufolge werden sich die Märkte möglicherweise nicht schnell korrigieren, und solche Ungleichgewichte könnten fortbestehen, bis ein wichtiges Ereignis eine scharfe Korrektur auslöst.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach der Reflexivitätstheorie von George Soros die derzeitige Konzentration von Vermögen und Investitionen auf eine kleine Anzahl von Aktien innerhalb von Indizes wie dem S&P 500 zu einem sich selbst verstärkenden Zyklus führen könnte. Das treibt die Preise in einer Weise in die Höhe, die von den Fundamentaldaten losgelöst ist. Das kann zu einer erhöhten Volatilität und dem Risiko einer scharfen Korrektur führen.
Risiko/Ertrag verschiebt sich zu Ungunsten des Indexinvestors
Kommen wir nun zur Frage, wie wir dieses Problem als Investoren angehen können. In meinem letzten Artikel über Marktkonzentration habe ich zwei Argumente angeführt:
«Ich glaube zwar nicht, dass es eine klar definierte Grenze für den Grad der Marktkonzentration gibt, aber ich glaube, dass eine implizite Grenze besteht. Die adressierbaren Märkte sind nur so gross, wie sie sind, die Weltwirtschaft wächst nur so schnell, wie sie wächst, und die Regulierung ist eine ständige Bedrohung für die grössten Unternehmen der Welt. Es führt kein Weg daran vorbei: Das historische Niveau der Aktienkonzentration, das wir heute vorfinden, macht das Investitionsumfeld schwierig.»
und:
«Wir sind daher davon überzeugt, dass eine reine Indexierung des Portfolios in den kommenden Jahren zu wenig erbaulichen Renditen führen wird und dass nach einer jahrelangen Geldflut und einer historisch hohen Konzentration die Dispersion zunehmen und die Alpha-Chance steigen wird. Das spiegelt sich auch in den besten Perioden für Stock Picking in den Siebzigerjahren und in den Jahren nach dem Platzen der Dotcom-Blase.»
In der Zwischenzeit hat sich Counterpoint Global von Morgan Stanley unter der Leitung von Michael J. Mauboussin mit seinem typischen scharfen Verstand und sauberen Daten mit dem Thema «Aktienmarktkonzentration – Wie viel ist zu viel» beschäftigt.
Der folgende Chart zeigt «die Renditen des S&P 500, wenn die Aktienmarktkonzentration von einem Tiefpunkt zu einem Höhepunkt und von einem Höhepunkt zu einem Tiefpunkt verläuft. Die Gesamtrendite für den jüngsten Anstieg ab 2014 reicht bis 2023, da der Höchststand noch nicht erreicht ist. Der Markt tendiert dazu, in Zeiten steigender Konzentration Renditen über dem historischen Durchschnitt zu erzielen und in Zeiten sinkender Konzentration Renditen unter dem Durchschnitt. Die durchschnittliche jährliche Gesamtrendite des S&P 500 betrug über den gesamten Zeitraum 11,4%», schreibt Mauboussin.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den starken Anstieg in den 1990er-Jahren und die anschliessende Korrektur von 2000 bis 2013 lenken, die aussergewöhnlich waren. Natürlich geht dies Hand in Hand mit den Zyklen der Underperformance (steigende Konzentration) und der Outperformance (sinkende Konzentration) aktiver Fondsmanager bzw. gleichgewichteter Indizes, die in der Regel Portfolios mit einer durchschnittlichen Marktkapitalisierung kleiner als die ihrer Benchmarks zusammenstellen.
Wie ich bereits sagte, gibt es vielleicht keine endgültige Grenze für den Grad der Marktkonzentration. Aber wenn man sich an der Geschichte orientiert, verschiebt sich das Risiko-Ertrags-Verhältnis zu Ungunsten des marktgewichteten Indexinvestors. Das gilt sowohl auf absoluter Ebene, d.h. niedrigere künftige Renditen, als auch auf relativer Ebene, d.h. ein höheres Potenzial für grösserkapitalisierte Unternehmen, sich schlechter zu entwickeln als kleinere Unternehmen.
Die Anleger stehen vor der gewaltigen Aufgabe, neue Mittel in einen zunehmend unattraktiven Markt zu schleusen.
Es ist an der Zeit, Ihre Allokation zu überdenken.
Sie wollen eine bessere Performance erzielen als die Masse?
Historische Muster und Untersuchungen stützen unsere Ansicht, dass die Zeit gekommen ist, in der die grössten Aktien zum ersten Mal seit Jahren ein mindestens ebenso hohes Abwärts- wie Aufwärtsrisiko aufweisen. Wir bei arvy befürworten proaktive Massnahmen der Anleger, um den erhöhten Risiken konzentrierter Portfolios zu begegnen.
Ja, es erfordert ein gewisses Mass an Durchhaltevermögen, sich von den nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes zu lösen, aber man wird sich unweigerlich eingestehen müssen, dass man als Anleger nur der Masse folgt, wissentlich die oben genannten Risiken eingeht und konventionell handelt, da dies in der Finanzindustrie leider der übliche Weg ist.
Das führt uns zur Antwort auf die einfache Frage: Sie wollen eine bessere Performance erzielen als die Masse?
Dann gehen Sie die Dinge anders an als die Masse.
Thierry Borgeat