Der Niedersachse tritt die Nachfolge von Kevin Kühnert an. Vor ihm liegt eine Herkulesaufgabe: Er soll den Bundestagswahlkampf für die Sozialdemokraten organisieren.
Zumindest eine Personaldebatte haben sich die Genossen erspart. Es dauerte nur wenige Stunden, und die Sozialdemokraten präsentierten ihren neuen General. Matthias Miersch soll auf Kevin Kühnert folgen, der das Amt aus gesundheitlichen Gründen überraschend niedergelegt hatte. Der geräuschlose Übergang gibt auch den Takt für die kommenden Monate vor. Schon an diesem Dienstag steht für den 55-jährigen Miersch der erste Arbeitstag als Generalsekretär an.
Auf den erfahrenen Bundestagsabgeordneten wartet eine Herkulesaufgabe: Er soll helfen, die SPD aus dem Umfragetief zu hieven, und den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr organisieren. Dafür hat Miersch weniger als ein Jahr Zeit. Das persönliche Risiko ist gross. Denn derzeit steuern die Sozialdemokraten mit Umfragen von 16 Prozent auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis zu. In der Regel wird auch der Generalsekretär für eine verlorene Bundestagswahl in die Verantwortung genommen – und, wie mehrfach geschehen, danach ausgetauscht.
Miersch, der aus Hannover kommt, ist rhetorisch versiert, politisch trittsicher und bestens in der SPD vernetzt. Er bringt die notwendige Erfahrung für das Amt mit, gilt aber ebenso als unabhängiger Geist. Damit eröffnen sich für die gebeutelten Sozialdemokraten sogar neue Möglichkeiten. Ein starker Generalsekretär, der nicht hauptsächlich über Talkshows kommuniziert, sondern auch nach innen wirkt, hat der SPD schon in der Vergangenheit gutgetan.
Dieses Kalkül dürfte in der Parteispitze auch den Ausschlag für Miersch gegeben haben. Einstimmig votierte das Präsidium am Montagabend für den von den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken eingebrachten Personalvorschlag.
Intellektuelles Auftreten, thematisch breit aufgestellt
Miersch wurde schon lange für höhere Aufgaben gehandelt. Sein Name fiel, als vor zwei Jahren ein Umweltminister in der neuen Bundesregierung gesucht wurde. Das Amt beanspruchten aber die Grünen für sich. Miersch war auch ein möglicher Nachfolger für den SPD-Fraktionsvorsitz im Bundestag. Rolf Mützenich machte aber weiter. Seit 2016 ist er stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, stand damit bis anhin in der zweiten Reihe. Mit Miersch wird auch wieder ein Vertreter des linken Parteiflügels Generalsekretär.
Thematisch ist der promovierte Jurist breit aufgestellt: Schon lange beschäftigt er sich mit der Energiewende und den industriepolitischen Weichenstellungen dafür. So trat er für einen Industriestrompreis ein, um der Wirtschaft finanziell eine Atempause zu verschaffen, und stellte sich gegen Bundeskanzler Olaf Scholz. Das Thema Umweltschutz brachte er in die Breite der Partei. Miersch, der einen intellektuellen Habitus pflegt, beschäftigt sich intensiv mit den Handlungsmöglichkeiten des Staates und tritt für eine Reform der Schuldenbremse ein.
Er hat mit den Grünen und der FDP auch das Heizungsgesetz im Parlament verhandelt und grundsätzliche Änderungen erstritten, die eine Verabschiedung im Bundestag erst möglich machten. Er ist gegen Atomkraft, stellt sich aber auch kontroversen Debatten vor Ort. «Ich habe angesichts der Demonstrationen der Landwirte dafür gekämpft, dass die Fraktionsspitzen von SPD, FDP und Grünen den Dialog mit den unterschiedlichen Verbänden in der Landwirtschaft suchen, um die Sprachlosigkeit zu überwinden», schreibt er auf seiner Website.
Noch ein Niedersachse in der Parteiführung
Miersch ist wie auch der SPD-Chef Lars Klingbeil in der niedersächsischen SPD gross geworden – vom Juso über Kommunalpolitik bis in den Bundestag. Ab 2005 wurde er in seinem Wahlkreis Hannover-Land stets direkt gewählt. Auch bei der nächsten Bundestagswahl will er wieder antreten.
Mit Miersch wird die niedersächsische Achse der SPD also weiter gestärkt. Neben Klingbeil gehören auch der Arbeitsminister Hubertus Heil und der Verteidigungsminister Boris Pistorius dazu. In normalen Zeiten hätte die niedersächsische Übermacht zu einem Aufschrei in der Partei geführt, weil der landespolitische Proporz nicht eingehalten wurde. Aber die Zeiten sind besonders.
Erstmals bewirbt sich Pistorius um ein Bundestagsmandat und kandidiert im Nachbarwahlkreis von Miersch. Sollte Pistorius Kanzlerkandidat werden, hilft sicherlich auch die regionale Verbundenheit für eine enge Zusammenarbeit.
Seit knapp zwanzig Jahren ist Miersch im Bundestag, seit 1990 SPD-Mitglied. Zunächst übernimmt er das Amt des Generalsekretärs kommissarisch, muss also noch auf einem Bundesparteitag gewählt werden. Doch dem jetzigen desolaten Zustand der Partei geschuldet, dürfte das reine Formsache sein. Schon einmal hatte der Streit um den Posten des Generalsekretärs die Partei fast zerrissen. Das war 2005 – am Ende trat der Parteichef Franz Müntefering zurück. So etwas soll nach dem Willen der Sozialdemokraten nicht wieder passieren.